Es war ein ungewohnt emotionaler Auftritt von Bundeskanzler Scholz am Mittwochabend bei Sandra Maischberger in der ARD.
Auftritt bei MaischbergerScholz macht Merz Vorwürfe – „Wir alle haben verloren“
„Mit 'Ja' haben gestimmt 348, mit 'nein' haben gestimmt 345, es gab 10 Enthaltungen. Damit ist der Entschließungsantrag angenommen“, verkündet am späten Mittwochnachmittag Bundestags-Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt das Ergebnis einer namentlichen Abstimmung. Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik wird ein von der Union eingebrachter Antrag mit den Stimmen der AfD beschlossen. Die AfD-Abgeordneten feiern. Abgeordnete von Union und FDP applaudieren. Doch Freude ist auf den Gesichtern vieler Unionsabgeordneter nicht zu sehen.
Es geht um einen Entschließungsantrag der Unionsparteien, der eine härtere Migrationspolitik fordert. Wirkung hat er nicht. Die Bundesregierung muss ihn nicht umsetzen. Die nächste auch nicht, selbst wenn sie von dem Kanzlerkandidaten der Union, Friedrich Merz, angeführt würde. Das ist so bei Entschließungsanträgen. Die Abstimmung ist dennoch so etwas wie eine Zeitenwende des Parlamentarismus.
„Das ist ein Tabubruch, wahrscheinlich ein ganz bedeutender Tag in der Geschichte der Bundesrepublik“
„Wir alle haben verloren“, sagt ein ungewohnt emotionaler Noch-Bundeskanzler Olaf Scholz am Mittwochabend bei Sandra Maischberger im Ersten. „Denn das ist ein Tabubruch, wahrscheinlich ein ganz bedeutender Tag in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Ich hoffe, er wird sich nicht fortsetzen in der gleichen Richtung, denn das war ein Konsens, den wir in der ganzen Nachkriegsgeschichte, in der ganzen Zeit, wo wir die Demokratie in Deutschland wiedererobert haben, hatten: den Konsens nämlich, dass es keine Zusammenarbeit der demokratischen Parteien mit der extremen Rechten gibt. Heute ist das passiert.“
Dennoch sind auch Scholz und die Ampelregierung nicht ganz unschuldig an dem Ergebnis der Abstimmung. In den letzten drei Jahren war immer klarer geworden: Deutschland ist in Sachen Migrationspolitik an eine Grenze gekommen. Die Zahl der Zuwanderer in das Sozialsystem Deutschlands war seit 2015 deutlich angestiegen, hinzu kamen nach dem russischen Angriff auf die Ukraine Kriegsflüchtlinge aus dem Land. Zwar versuchte auch die Ampelkoalition zuletzt, den Zustrom von Migranten zu begrenzen, doch der kurzfristige Erfolg blieb aus.
Scholz über Merz: „Deshalb, finde ich, kann ich ihm nicht mehr trauen“
Doch Scholz ist sicher: Merz und die Union hätten nicht mit der AfD stimmen müssen. Während der Ampelkoalition habe es Gespräche gegeben, bei denen Merz immer gleich vom Verhandlungstisch aufgestanden sei. „Diesmal hat er gleich eröffnet. Er hat einen Vorschlag, dem kann man zustimmen, und wer ihm da zustimmt, ist ihm sowieso egal. Das war die Eröffnung letzte Woche am Donnerstag. Und damit war alles klar. Es ist bewusst kalkuliert hingenommen worden, dass es eine Zustimmung von dort, von der AfD gibt. Und das die von der SPD und von mir nicht zu bekommen war, weil da auch rechtswidrige, verfassungswidrige, europarechtswidrige Teile drin sind, war sowieso klar“, sagt Scholz, spürbar aufgewühlt.
„Niederträchtig und Infam“ nennt Merz während der Bundestagsdebatte eine Bemerkung in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers. Scholz hatte gesagt, er traue Merz nach der Wahl eine Koalition mit der AfD zu. Merz habe immer wieder erklärt, dass das, was am Nachmittag im Bundestag passiert sei, nicht geschehen würde, so Scholz bei Maischberger.
Er habe sich auch mit SPD-Fraktionschef Mützenich darauf verständig, dass man nie Situationen herstelle, in denen Mehrheiten nur mit den Stimmen der AfD zustande kommen würden. Davon sei Merz jetzt abgewichen, kritisiert Scholz. „Es muss Merz um das politische Symbol gegangen sein“, unterstellt der Bundeskanzler. „Deshalb, finde ich, kann ich ihm nicht mehr trauen, was ich bis vor einer Woche getan habe.“
Olaf Scholz fürchtet „eine schwarz-blaue Koalition“
Merz hatte den Entschließungsantrag gestellt, um die AfD zu schwächen. Das hatte der Unionskanzlerkandidat immer wieder klargestellt. Doch viele Beobachter fürchten jetzt, dass der Schuss nach hinten losgegangen sein könnte. Auch Merz schien sich am Ende nicht mehr ganz sicher zu sein. Für eine am Freitag abzustimmende Gesetzesvorlage zur Migrationspolitik hatte er noch am Mittwoch Verhandlungen mit der SPD angeboten.
Da war Scholz bereits auf einer Wahlkampfveranstaltung. Den Sinneswandel von Merz hatte er nicht mitbekommen. Merz hatte während der Antwort auf die Regierungserklärung des Kanzlers die SPD noch zur Zustimmung aufgefordert. Die lehnt Scholz ab, unter anderem, weil das Gesetz den Bundesrat nicht passieren würde und weil es teilweise Verfassungswidrig sei.
Am Ende werden die Bürgerinnen und Bürger am 23. Februar bei der Bundestagswahl das letzte Wort haben. „Natürlich spielt es eine Rolle, ob man befürchten muss, dass es hinterher eine schwarz-blaue Koalition, eine schwarz-blaue Mehrheit gibt im Bundestag, die dann Konsequenzen hat“, sagt Olaf Scholz im ARD-Talk. Und weiter: „Angesichts der vorherigen Ansichten, exakt nicht zu tun, was heute passiert ist, kann man nicht mehr darauf vertrauen, dass das, was jetzt angekündigt wurde, auch dann nicht gilt.“
Der Kanzler glaubt noch an den Wahlsieg: „Das kann noch klappen“
An einer Koalition unter Führung von Merz will Scholz sich nicht beteiligen. Doch schon jetzt ist klar: Merz hat durch die Zusammenarbeit mit der in Teilen rechtsextremen AfD viel Porzellan zerschlagen. Das wird mögliche Koalitionsverhandlungen mit der SPD nach den Bundestagswahlen erschweren. Aber Scholz glaubt ohnehin nicht, dass es dazu kommen muss. Der Kanzler ist optimistisch, glaubt an einen Wahlsieg der SPD. „Das kann noch klappen“, sagt er bei Maischberger. (tsch)