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MigrationspolitikScholz warnt vor „Scheinlösungen“ – SPD-Politiker attackiert Merz als „gewissenlos“

Lesezeit 5 Minuten
29.01.2025, Berlin: Friedrich Merz, CDU-Vorsitzender und Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, antwortet im Bundestag auf die Rede des Bundeskanzlers. Der Bundeskanzler hatte in einer Regierungserklärung Stellung zu aktuellen innenpolitischen Themen wie dem Messerangriff in Aschaffenburg Stellung genommen. Foto: Michael Kappeler/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Friedrich Merz, CDU-Vorsitzender und Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, am Mittwoch (29. Januar) im Bundestag.

Olaf Scholz hat in seiner Regierungserklärung vor „rechtswidrigen Vorhaben“ der Union in der Migrationspolitik gewarnt.

Im Bundestag hat Kanzler Olaf Scholz (SPD) am Mittwoch eine Regierungserklärung insbesondere zur Migrationspolitik abgegeben. Auf der Tagesordnung stehen später am Nachmittag zwei Entschließungsanträge der Union mit dem Ziel, die Zuwanderung zu begrenzen und unter anderem Schutzsuchende an den deutschen Grenzen zurückzuweisen. Anlass ist der tödliche Messerangriff von Aschaffenburg vor einer Woche.

Scholz sprach sich in seiner Rede deutlich gegen eine Verschärfung des Asylrechts aus, wie es die Union befürwortet. „Das Recht auf Asyl ist fester Bestandteil unserer Rechts- und Werteordnung. Daran dürfen wir nicht rütteln“, sagte Scholz. Das Asylrecht sei „die unmittelbare Antwort auch auf das Grauen der NS-Herrschaft“, stellte Scholz klar. Zuvor hatte im Bundestag ein Gedenken an die Verbrechen des Nationalsozialismus stattgefunden. Es dürfe nie wieder passieren, dass „Schutzsuchende an den deutschen Grenzen abgewiesen werden“, so Scholz.

Bundeskanzler zur Migrationspolitik: „Wir haben ein Vollzugsdefizit“

Die Taten von Mannheim, Solingen, Magdeburg und zuletzt Aschaffenburg seien „abscheuliche und monströse“ Verbrechen, sagte der Kanzler. Er trauere mit den Angehörigen, und er spüre eine tiefe Verunsicherung in der Bevölkerung. „Wieder war der Täter jemand, der unseren Schutz missbraucht hat“, führte der SPD-Politiker weiter aus.

dpatopbilder - 29.01.2025, Berlin: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nimmt in einer Regierungserklärung Stellung zu aktuellen innenpolitischen Themen wie dem Messerangriff in Aschaffenburg Stellung. Foto: Michael Kappeler/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Mittwoch (29. Januar) bei seiner Regierungserklärung.

Scholz sagte aber auch, dass die bestehenden Gesetze in der Migrationspolitik ausreichten. Sie hätten nur konsequenter angewendet werden müssen. „Wir haben ein Vollzugsdefizit“, so Scholz. Die Taten hätten verhindert werden können. Scholz griff im Fall von Aschaffenburg die bayerische Staatsregierung an. Dort werfe man „Nebelkerzen“, indem man auf den Bund zeige. Dabei sei die Anwendung der geltenden Gesetze, also auch die Abschiebung von abgelehnten Asylbewerbern, Sache der Länder.

Scholz warnt vor „Erosion des Rechtsstaats“

Scholz verwies darauf, dass es unter seiner Regierung bereits Erfolge gegeben habe wie Abschiebungen nach Afghanistan oder eine Straffung der Asylverfahren sowie Grenzkontrollen. Klar sei aber auch: „Über geltendes Recht kann und darf man nicht gehen“. „Scheinlösungen“ wie von der Union gefordert, beschädigten den Rechtsstaat und die Verfassung, außerdem das Ansehen Deutschlands in der Welt.

Der Bundeskanzler teilte im letzten Teil seiner Rede weiter gegen die Union aus. Er warnte vor Populismus und davor, sich vor den Karren der Populisten spannen zu lassen. Die habe eine „Erosion des Rechtsstaats“ zur Folge. „Ein deutscher Bundeskanzler darf kein Zocker sein“, rief Scholz. Eine Abschaffung des Asylrechts wäre weder unter Konrad Adenauer noch Willy Brandt oder Helmut Schmidt möglich gewesen. Auch Helmut Kohl und Angela Merkel seien da klar gewesen, so Scholz.

Die Union dürfe nicht auf die Unterstützung der AfD für ihr „rechtswidriges Vorhaben“ setzen. Dies sei ein „schwerer Fehler“, so Scholz, der zudem vor einer schwarz-blauen Regierung warnte. Unionschef Friedrich Merz warf Scholz Wortbruch vor, indem er mit den nun aktuellen Anträgen entgegen seinen Beteuerungen Stimmen der AfD in Kauf nehmen würde.

Merz wendet sich zunächst an AfD

Oppositionsführer Merz war nach Scholz der nächste Redner im Bundestag. Zunächst wandte er sich an die AfD und attackierte die Rechtspopulisten scharf. Auch er berief sich auf die Gedenkstunde im Bundestag zum 80. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz. „Ich will es einfach an die Adresse dieser Fraktion sagen und an Sie, Herr Gauland, das war Ihr Fliegenschiss, von dem Sie vor Jahr und Tag gesprochen haben“, so Merz. Der jetzige AfD-Ehrenvorsitzende Alexander Gauland hatte im Juni 2018 gesagt: „Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in über 1000 Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte.“ Später relativierte Gauland seine Äußerung als „missdeutbar“.

Anschließend verteidigte Merz das Unionsvorhaben, die Verschärfung des Asylrechts auch mit AfD-Stimmen durchzusetzen. „Ja, es kann sein, dass die AfD hier im Deutschen Bundestag am Freitag erstmalig die Mehrheit für ein notwendiges Gesetz ermöglicht“, so der Unionschef. „Die Bilder, die wir gegebenenfalls von jubelnden und feixenden AfD-Abgeordneten sehen, die werden unerträglich sein“, sagte Merz weiter. Allerdings gehe es ihm um die Sache. Wirksame Maßnahmen zur Begrenzung der irregulären Migration zu ergreifen sei für ihn eine „Gewissensfrage“.

„Was muss eigentlich in Deutschland noch passieren? [...] Wie viele Kinder müssen noch Opfer solcher Gewalttaten werden, bevor Sie auch der Meinung sind, dass es sich hier um eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung handelt?“, fragte Merz in Richtung Kanzler.

Alice Weidel: Scholz und Merz haben versagt

Die AfD-Chefin Alice Weidel warf sowohl Scholz als auch Merz Versagen in der Migrationspolitik vor. Scholz hinterlasse ein „auf die Spitze getriebenes Migrationschaos“, sagte Weidel. Sie sprach von einem „politisch gewollten Kontrollverlust“, der Menschenleben koste und „verletzte, geschundene, traumatisierte Körper und Seelen“ hinterlasse, so die AfD-Chefin.

Merz attestierte Weidel, keinen wirklichen Politikwechsel zu wollen. Sie warf Merz vor, sich „bei den Grünen und der SPD anzubiedern und sich darauf festzulegen, mit diesen Parteien auch zu koalieren“. An Merz gewandt sagte Weidel: „So lange Sie sich an ihre Brandmauer klammern, solange wird es auch weitere Brandmauer-Tote geben.“ Dennoch werde ihre Fraktion am Mittwoch für den Unionsantrag zur Asylverschärfung und am Freitag für den Unions-Gesetzentwurf zur Migrationspolitik stimmen.

Ralf Stegner: „Bodenlose Rede von Friedrich Merz“

Auch auf der Plattform X, ehemals Twitter, vertraten Politiker der unterschiedlichen Parteien ihre Meinung, teilweise sehr meinungsstark und polemisch. Ralf Stegner, der zum linken Flügel der SPD gehört, zog besonders heftig vom Leder gegen Friedrich Merz.

Stegner nannte die Rede des Oppositionschefs „gewissenlos“ und „bodenlos“, sie sei eine „Schande für das Parlament“. Die ehemalige Grünen-Chefin Ricarda Lang kritisierte die Union ebenfalls – allerdings mit deutlich diplomatischeren Tönen.

Merz verlöre die Autorität vor denen in seiner Partei, die sich in Zukunft für eine Koalition mit der AfD aussprechen würden, schrieb Lang.

Aber auch der Bundeskanzler wurde mit Kritik überzogen. Der Bundesvorsitzende der Jungen Union Johannes Winkel prangerte an, dass Scholz sich in einer „historischen Debatte“ darin verliere, die bayerische Innenpolitik anzugreifen. Zudem wurde Scholz für seinen Verweis auf die Kirchen kritisiert. Diese hatten die Unionsvorschläge attackiert – dies hatte der konfessionslose Scholz erwähnt. Hier gäbe es „wundersame neue Bündnisse“, scheibt ein User ironisch. (mit dpa)