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Trotz Regeln und PolizeiBallermann bleibt voll – Partyurlaub ungebrochen

Lesezeit 10 Minuten
Schluck aus der Pulle: Verstöße gegen die überarbeiteten Benimmregeln am Ballermann können sehr teuer werden. Und doch wird an der Playa de Palma auch in diesem Jahr weitergefeiert.

Schluck aus der Pulle: Verstöße gegen die überarbeiteten Benimmregeln am Ballermann können sehr teuer werden. Und doch wird an der Playa de Palma auch in diesem Jahr weitergefeiert.

Neue Benimmregeln, mehr Polizeipräsenz, noblere Hotels und Restaurants: Die Playa de Palma befindet sich im Umbruch. Trotzdem ist Mallorcas berühmteste Partyzone brechend voll. 

Düsseldorf, halb fünf am Morgen, am Airport stehen die Maschinen noch am Boden, aber der Durst ist längst im Steigflug. Eine Reisegruppe reiferen Alters trinkt sich mental bereits nach Mallorca. Der Kapitän hat alle Mühe, den Vorsprung wieder reinzuholen, bringt den Airbus A320 nach einem feuchtfröhlichen Flug aber gerade noch rechtzeitig auf der Landebahn in Palma in Parkposition. Es ist jetzt kurz vor neun. Zehn Stunden später werden wir die Truppe wiedersehen. Mit leuchtenden Plastik-Wackelpenissen als Kopfschmuck, den sie sich von den illegalen Straßenhändlern an der Playa de Palma aufschwatzen haben lassen, schaukeln sie durch den Bierkönig, den sagenumwobenen Sauftempel in der Schinkenstraße.

Es ist Ende März und die Bude ist voll. Die Nebensaison? Ein Etikettenschwindel. Schon Wochen vor dem Opening, dem offiziellen Auftakt, zu dem die Großraumdiskotheken mit den Stars des Mallorca-Partyschlagers die Hauptreisezeit einläuten, die Arenal in den alljährlichen Ausnahmezustand versetzen wird, pumpen die Leitungen an der Playa unter Volllast.

Noch mehr Polizei, Überwachungsdrohnen - Big Brother am Ballermann

Dabei sollte es das alles hier doch eigentlich nicht mehr geben. Immer strengere Benimmregeln, das Sterben der Billighotels, das Sterben des Sangria-Eimers, der Tod des Freibiers, genervte Anwohner, die Proteste Zehntausender gegen den Massentourismus auf der Mittelmeerinsel - den Schlagzeilen nach müsste die deutsche Exzess-Enklave zwischen Bierstraße und Megapark längst abgewickelt sein. Aber der Ballermann lebt.

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Der Inselregierung ist das Image der Playa de Palma als Promillehochburg gleichwohl weiterhin ein Ärgernis.

Der Inselregierung ist das Image der Playa de Palma als Promillehochburg gleichwohl weiterhin ein Ärgernis. Die fortschreitende Umgestaltung des Urlaubsorts bleibt das erklärte Ziel der Stadtverwaltung von Palma. Vor Kurzem kündigte Bürgermeister Jaime Martínez zudem für diesen Sommer einen „Wendepunkt“ beim Kampf gegen Kriminalität und die Auswüchse des Sauftourismus an, präsentierte Anfang April dann Details zum neuen, verschärften Sicherheitskonzept: 170 zusätzliche Polizisten, Drohnen über der Playa, Überwachungskameras in der Schinkenstraße - Big Brother am Ballermann. Ist er das nun also endgültig, der Anfang vom Ende der ausgelassenen Party?

Nichts ist so alt wie der Abgesang auf den Ballermann. Wer sich vor Ort dieser Tage umschaut, kann aber kaum anders, als zu der Feststellung zu gelangen: Sein immer wieder angekündigter Untergang wird ein weiteres Jahr auf sich warten lassen müssen.

Wer davon, was der Durst der Deutschen zu ertragen imstande ist, ein Lied singen kann, wortwörtlich, ist Tim Bibelhausen. Er ist 53 und besser bekannt als Tim Toupet, seit 1996 von Beruf Friseurmeister mit eigenem Salon in Pulheim bei Köln, seit 2003 im Zweitberuf Schlagersänger und seit mittlerweile 20 Jahren eine Institution am Ballermann. „Du hast die Haare schön“, „Ich bin ein Döner“, „Inselverbot“, sein neuester Song heißt „Fit for Malle“ - Tim Toupet gehört im Bierkönig praktisch zum Inventar. Um die 40 Mal wird er in diesem Jahr dort auf der Bühne stehen.

Vor seinem Auftritt um 22 Uhr im zweistöckigen alten Bereich, den man wahlweise als innersten Kreis der Gaudi-Hölle oder als holzvertäfelte Herzkammer der gepflegten Eskalation begreifen kann, nimmt Toupet in einer Ecke des angrenzenden Biergartens Platz. „Ich muss“, sagt er, „immer grinsen, wenn ich in Deutschland angesprochen werde von Leuten, die nicht so im Thema drin sind, und es dann heißt: Oh, bei euch am Ballermann, dieses Jahr wird es ja hart. Dann sage ich: Ja, ich glaube, dieses Jahr ist wirklich das letzte Jahr - so wie jedes Mal in den 20 Jahren, wo ich mitreden kann.“

Neben Tim Toupet steht ein Glas Sangria, irgendwer hat es ihm in die Hand gedrückt. „Unterm Strich“, sagt er, „hat sich hier nichts geändert.“

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Tim Bibelhausen, besser bekannt als Tim Toupet, ist seit 2003 im Zweitberuf Schlagersänger und seit mittlerweile 20 Jahren eine Institution am Ballermann.

Er hat recht, könnte man sagen: Die Playa de Palma unterliegt dem Wandel - und zwar seit ewigen Zeiten. Insofern hat sich hier tatsächlich nichts geändert. Es war um die Jahrtausendwende, als das Beschallungsverbot im Freien nach Mitternacht dem deutschen Malle-Gefühl scheinbar den Todesstoß versetzte. Dann ging es dem Eimersaufen an den Kragen, den Trinkgelagen am Strand, zuletzt auch denen auf offener Straße, mit immer höheren Bußgeldern. Aktuell wartet man in der Gemeinde Palma auf das Inkrafttreten der neuen Benimmregeln. Wer sich etwa beim Wildpinkeln erwischen lässt oder mit einem Megafon Einheimische nervt, schlafende Hotelgäste traktiert, muss tief wie nie in die Tasche greifen.

Dazu verändert sich das Bild der Playa. Abgewohnte Low-Budget-Absteigen weichen modernisierten Hotels mit Vier-Sterne-Standard. Die schrumplige Billigbratwurst gibt es zwar immer noch. Aber immer mehr hochpreisige Restaurants mit kleiner Karte. Es gibt das Oberbayern, den Bierkönig, die Rutschbahn, das Bamboleo, das Bolero - kultisch verehrte Plätze des „alten“ Ballermanns. Und es gibt die schicken neuen Adressen wie Hello The Club, mit angesagten House-DJs. Ein paar Meter weiter treten Almklausi, Schäfer Heinrich und Dragan der Autohändler auf.

Der Ballermann kämpft selbst darum, von seinem Image wegzukommen

Der Ballermann wird nicht nur, aber insgesamt dann doch nobler, das kann man kritisieren, wenn man denn will. Dass er versucht, zivilisierter zu werden, kann aber im Grunde nur bedauern, wer meint, im Kaufpreis einer Pauschalreise sei das Anrecht auf asoziales Verhalten inkludiert.

Samstag, halb elf, Tag zwei auf Mallorca. Die Ersten, die vor Stunden noch angezündet durch den Bierkönig zottelten, sind schon wieder im Einsatz. In der Bierstraße, von der Schinkenstraße aus einmal nach rechts, geradeaus und dann nach links, steht frisch gezapftes Kölsch auf den Tischen. Im Et Dömsche, erst seit wenigen Tagen wieder geöffnet, schält sich Karnevalsmusik aus den Boxen, „Nie mehr Fastelovend“, „Kölsche Jung“, die einschlägigen Titel. Das erste Glas geht zu Boden, zerspringt zu Splittern. Carlos Lucio nimmt einen Schluck Kaffee, Filterkaffee, deutsche Art. „Die Spanier verstehen das natürlich nicht“, sagt er, „aber ich liebe sowas.“

Lucio ist mit einer Deutschen verheiratet, Isabel Glück, die mal den Miss-Germany-Wettbewerb gewonnen hat, vor allem aber dafür bekannt ist, als Isi Glück im Megapark einer der gefeierten Stars zu sein. Lucio war dort als Direktor ihr Chef. 2023 kündigte er, mitten in der Saison. Nach einem Intermezzo als Geschäftsführer einer Speditionsfirma kehrte er, gebürtiger Mallorquiner, 2024 beruflich an die Playa zurück, eröffnete in der Bierstraße das Sommerland, übernahm das Et Dömsche. In wenigen Tagen soll, wo vorher das runtergefeierte Las Palmeras stand, sein dritter Laden an den Start gehen, das zweite Sommerland. Viel Holz, viel Grün, freundliches Ambiente. Lucio hat für die letzten Arbeiten Handwerker aus Deutschland einfliegen lassen. Auf Mallorca sind die gerade kaum mehr zu bekommen.

Man nennt ihn schon den neuen Bierstraßenkönig. Kann er nichts mit anfangen. Lucio googelt das korrekte deutsche Wort, das ihm gerade nicht einfällt. „Demütig“, sagt er, „demütig“ sei er.

Und doch ist Carlos Lucio, 45, jemand mit Ambitionen. Er hat den Megapark zum Erfolg geführt, jetzt will er seine Vision von einer neuen Playa de Palma vorantreiben. Und ein guter Teil dieser Vision ist die alte Playa de Palma, von Anfang der Neunziger. Die ohne Malle-Prolls im Borat-Mankini, ohne Kotzelachen auf den Gehwegen. „Ich erinnere mich an Leute, die zusammen singen, in einer positiven Atmosphäre“, sagt er, „das ist mir im Kopf geblieben.“ Lucio ist in Arenal aufgewachsen, seine Schule befand sich oberhalb der Schinkenstraße, sein erstes Bier hat er im Bierkönig getrunken. „Ich sage besser nicht, wie alt ich war.“

Eine zeitgemäße Playa de Palma

Dahin will er zurück. Feiern mit lauter Musik, Alkohol, zur Not mag man das eben Sauftourismus nennen, aber mit Anstand. Ohne vermüllte Strände, von Dönerresten gepflasterte Straßen, den Gestank von Urin. Lucio hat schon 2021, damals noch als Megapark-Manager, einen Ethikkodex der großen Lokale am Ballermann auf den Weg gebracht, mit dem sich die Läden verpflichteten, selbst mehr für die Sicherheit und das Niveau des Nachtlebens an der Playa zu leisten, um den Ballermann überlebensfähig zu machen. Seitdem sind unter anderem barfuß und oberkörperfrei in den Gaststätten tabu.

Lucio will eine Playa de Palma zum Wohlfühlen, keine Hochsicherheitszone, deshalb sieht er das mit der Aufstockung der Polizeikräfte kritisch. „Die Leute“, sagt Lucio, „müssen frei sein.“ Er will eine zeitgemäße Playa de Palma, „nicht Luxus, aber Qualität“, darum investiert er, wie viele andere Gastronomen und Hoteliers. Seit Kurzem ist er Mitglied bei „Palma Beach“, einer Initiative für hochwertigeren Tourismus. Gegründet hat sie Juan Ferrer, Sohn der Bierstraßen-Legende Toni Ferrer, der 1979 das erste deutsche Fassbier auf die Insel brachte. Die Kontinuität ist dem Wandel an der Playa de Palma immer irgendwie eingeschrieben.

Aaron Müller verfiel auf Mallorca dem Alkohol. Heute ist er trocken - und DJ im Bierkönig

Es geht immer weiter auf Mallorca. Das gilt für den Ballermann wie für die Menschen, die ihn zu dem machen, was er ist. Aaron Müller zum Beispiel. Die Insel verschlang ihn, spuckte ihn aus - und doch kam er zurück. Müller, 40 Jahre alt, soff sich als DJ in Cala Ratjada im Nordosten der Insel buchstäblich auf die Straße, landete in Deutschland in der Entzugsklinik. Heute ist er trocken, rührt seit vier Jahren keinen Tropfen an. Seit drei Jahren ist er DJ im Bierkönig. Auch an diesem Abend wieder. Wir treffen uns zum Frühstück im Café Mohn um halb eins, die Tage beginnen spät in diesem Job. Müller isst Rührei mit Schinken. „Meine Zeit ist vorbei“, sagt er und meint den Alkohol.

„Es hat schon viele Nerven gekostet, vor allem die Leute in meinem Umfeld. Für die tut es mir unheimlich leid. Aber auch die sind jetzt stolz, dass ich es geschafft habe. Dass ich trotzdem noch hier bin.“ Er bleibt nüchtern, die Gäste sind es selten bis nie. Im Laufe eines Abends kann das manchmal lästig werden, „die feuchte Aussprache“, sagt Müller. Aber er liefert, was das Volk verlangt. Der Refrain eines seiner neueren Titel, an denen er selbst beteiligt ist, geht so: „Für immer stramm / Ein Leben lang für immer stramm / Für ein Bierchen würd ich alles geben / Mein Leben, mein Leben“. Müller sagt: „Du musst nicht saufen, um etwas witzig zu finden.“

Sind ja genug andere da, die es tun. Alles wird teurer, ja, aber das Stammpublikum kommt trotzdem. Der Veränderungen an der Playa? Sichtbar. Spürbar, im Portemonnaie. Aber auch eine Bereicherung, findet Müller. „Ich sehe viele, die laufen mit einem Sauf-T-Shirt rum. Einen Tag später siehst du sie fein essen mit ihrer Frau in einem Restaurant. Und abends stehen sie mit Badelatschen im Bierkönig. Das hast du doch sonst nirgends.“

Mallorca-DJ, das ist Müllers Traumjob, weiterhin, auch wenn schon etwas Entscheidendes abhanden gekommen sei in seinen bald 20 Jahren auf der Insel. „Diese Unbekümmertheit“, sagt Müller, „kein Social Media, keine Angst vorm nächsten Schnappschuss, der direkt im Internet landet.“ Einmal sei er nackt am Strand aufgewacht. Niemand habe draufgehalten. Andere Zeiten.

„Ich bin froh“, sagt Aaron Müller, „dass ich die alten Zeiten noch mitbekommen habe. Ich bin aber auch froh, dass ich jetzt noch dabei sein darf.“

Zurück im Bierkönig, Freitagabend. Der halbe Liter Bier 6,50 Euro. Der Liter Wodka-Lemon 20,50 Euro. Kellner, die schneller servieren und abkassieren als ihre Schatten. Eine Junggesellenabschiedstruppe, bei der es nicht überraschen würde, wenn keiner von ihnen mehr wüsste, wer eigentlich heiratet. Männer in beflockten Trikots mit Trinker-Alias und der frivolen 69 als Nummer. Ein älteres Pärchen, das sich leicht irritiert unterhalten lässt vom Auftritt eines Sängers, der Lieder wie „Ich sauf dich schön“ mitgebracht hat. Ein Medley mit Klassikern von Klaus Lage bis Wolfgang Petry stimmt sie aber gnädig. Die Luft ist stickig. Es ist, zur Erinnerung, Ende März. Und der Beginn einer langen, langen Saison.

„Dass man hier hinfährt und weiß, was man bekommt, nämlich einfach eine gute Zeit zu haben“, sagt Tim Toupet, „das wirst du nicht kaputt kriegen.“ Dann ist er an der Reihe, ab auf die Bühne. Einmal Abriss mit allem bitte. Der Ballermann, er ist noch nicht am Ende.