Duisburg – Schüsse fallen, Schreie und Rufe sind zu hören, Menschen flüchten und gehen hinter parkenden Autos in Deckung. Patronenhülsen liegen verstreut auf der Straße. 19 Stellen werden von der Polizei später mit Kreidekreisen markiert. Mindestens ein Auto weist ein Einschussloch auf.
Bei Schüssen auf offener Straße sind im Duisburger Norden am Mittwochabend vier Menschen verletzt worden. Zwei Schwerverletzte werden ins Krankenhaus gebracht, sind aber laut Polizei nicht in Lebensgefahr. Zwei weitere Menschen sind eigenständig zum Arzt gegangen. Der Tatort, der Altmarkt im nördlichen Duisburger Stadtteil Hamborn, ist noch am Donnerstag mit Flatterband abgesperrt. Die Feuerwehr hat ihn in der Nacht mit Scheinwerfern ausgeleuchtet, um die Spurensuche zu unterstützen.
Konflikt zwischen Hells Angels und Clan
Vier Minuten nach dem ersten Notruf um 20.40 Uhr sei die Polizei vor Ort gewesen, berichtet NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) am Donnerstag. 15 Menschen werden vorübergehend festgenommen. Sie zählen entweder zur Rockergruppe Hells Angels und deren Umfeld, oder zu einem türkisch-arabischen Clan, dessen Namen der Minister nicht nennt. Wie in diesen Kreisen üblich: Mit der Polizei reden will offenbar keiner von ihnen. Bevor die Schüsse fielen, waren 80 bis 100 Menschen aneinandergeraten: Im Polizeideutsch ist das eine „Tumultlage“, wie sie im Ruhrgebiet zuletzt deutlich seltener vorkam als früher.
Bei der Schießerei habe es sich um einen Konflikt zwischen der Rockergruppe Hells Angels und einem kriminellen türkisch-arabischen Clan gehandelt, berichtet der Innenminister. Es seien mindestens 19 Schüsse gefallen. Was Auslöser der Schießerei war, wisse man noch nicht. Eine 15-köpfige Mordkommission hat die Ermittlungen aufgenommen.
Immer wieder Duisburg
„Die Bilder sind schockierend“, sagt Reul. „Der gestrige Abend führt uns vor Augen, wie wichtig es ist, bei diesem Problem am Ball zu bleiben. Clan-Kriminalität ist keine PR-Erfindung, sondern ein Riesenproblem, dass die Menschen besonders im Ruhrgebiet in Angst und Schrecken versetzt. Totschweigen ist keine Lösung“, sagt er.
Immer wieder Duisburg. Vor ein paar Jahren eskalierte dort der tödliche Rockerkrieg zwischen Hells Angels und Bandidos, verlief die Grenze zwischen den Einflusssphären beider Rockergruppen mitten durch die Industriestadt. Rocker starben, tätowierte Gliedmaßen schwammen im Hafenbecken. Dann kehrte Ruhe ein.
Motiv noch unklar
Nun also Rocker gegen Clans. Für den Innenminister ist das kein ganz neuer Konflikt und auch keine neue Dimension. Schon vor einigen Jahren kämpften Rocker mit und gegen Clan-Angehörige etwa in Erkrath bei Düsseldorf. Und wie damals schweigen die Beteiligten eisern, wenn es darum geht, etwas über die Hintergründe zu erfahren. Der neue Duisburger Polizeipräsident Alexander Dierselhuis, der erst am 1. April seine neue Position angetreten hat und als Experte für Clan-Kriminalität gilt, bricht eine Dienstreise ab und kehrt nach Duisburg in sein Präsidium zurück.
„Es liegen diverse Videos vor, die teilweise sehr gute Qualität haben, so dass wir hoffnungsvoll sind, über die 15 Tatverdächtigen hinaus noch weitere ermitteln zu können“, sagt der Polizeichef. Zur Motivlage könne man „noch nichts Finales“ sagen, sagt auch Dierselhuis. „Was die genaue Ursache des Streit war, müssen die weiteren Ermittlungen ergeben.“
„Vorfälle dieser Art, dieser Intensität, hat es in Duisburg lange nicht gegeben“, sagt der Polizeipräsident. Von einer weiteren oder gar dauerhaften Eskalation geht er aber nicht aus: „Da spricht nach dem aktuellen Ermittlungsstand nichts dafür. Die Gewalt so auf die Straße zu tragen, ist für die Organisierte Kriminalität geschäftsschädigend. Deswegen gehe ich eher davon aus, dass man wieder zurückfahren wird.“ Auch der Innenminister glaubt nicht, dass sich die Lage nun noch weiter Hochschaukeln wird.
Im Zusammenhang mit den Schüssen gibt es in der Nacht einen Einsatz von Spezialkräften in Duisburg. Das SEK verschafft sich gewaltsam Zutritt zu einem Haus, das einer Großfamilie gehören soll. Die Verdächtigen waren aber schon geflohen, niemand wird dort angetroffen. Auch in umliegenden Städten seien Kräfte im Zusammenhang mit den Schüssen in Hamborn zum Einsatz gekommen, so die Polizei. „Bei uns haben in dieser Nacht nur wenige geschlafen“, berichtet ein Polizeisprecher der „WAZ“.
Die Behörden suchen Zeugen, die Angaben zum Tatgeschehen oder zu beteiligten Personen machen. Für die Ermittler seien „insbesondere Fotos oder Videoaufnahmen von Interesse“. Sie könnten auch anonym zur Verfügung gestellt werden. (dpa)