Berlin – Schon mehr als 35 Jahre gehört Dieter Fox formal nicht mehr dazu. Doch verbunden fühlt er sich der GSG 9 bis heute. In seinem Wohnzimmer hängt das Tätigkeitsabzeichen mit Bundesadler und Eichenlaub in Gusseisen an der Wand. Dass er dabei sein wird, wenn die Spezialeinheit der Bundespolizei an diesem Freitag in Bonn den 50. Jahrestag ihrer Gründung begeht, steht für den 75-Jährigen außer Frage. Wie ihm geht es vielen, die einmal Teil der Einheit waren.
Seit 1982 gibt es die GSG 9 Kameradschaft e.V., der sich die meisten Ausgeschiedenen angeschlossen haben. Zur Jahresversammlung des Vereins am Standort der GSG 9 in Sankt Augustin kommt der Kommandeur der Spezialeinheit - seit 2014 ist das Jerome Fuchs - jeweils als Ehrengast. „Es wird ja seit einiger Zeit immer negativ von Corpsgeist gesprochen, aber für mich ist dieser Begriff positiv besetzt”, sagt Fox. Dass zwischen Menschen, die sich in lebensbedrohlichen Situationen unbedingt aufeinander verlassen müssen, eine tiefe Verbundenheit entstehe, sei schließlich normal.
GSG 9 1972 nach Geiselnahme bei Olympischen Spielen gegründet
Die GSG 9 war am 26. September 1972 als Reaktion auf den misslungenen Polizeieinsatz bei den Olympischen Spielen in München innerhalb weniger Tage aus der Taufe gehoben wurde. Palästinensische Attentäter waren am 5. September 1972 in die Unterkunft der israelischen Sportler im Olympischen Dorf eingedrungen, hatten zwei Männer erschossen und neun Geiseln genommen. Rund 18 Stunden später endete ein Befreiungsversuch auf dem Flugplatz in Fürstenfeldbruck mit einem Blutbad. Alle neun Geiseln, ein Polizist und fünf Attentäter starben.
Fox gehörte zu den ersten Polizisten, die sich für den Dienst in der neuen Einheit bewarben. Seine Motivation: „Die deutsche Polizei war auf Terrorismus nicht vorbereitet, der Einsatz bei der Olympiade war hilflos, erbärmlich und katastrophal. Ich wollte mithelfen, das zu ändern.”
Die Ausbildung unter dem ersten Kommandeur Ulrich Wegener sei fordernd gewesen und improvisiert, erinnert er sich. Schließlich habe es damals in Deutschland keine Trainingsprogramme gegeben, an denen man sich habe orientieren können. „Da wir nichts hatten, haben wir uns, was Sport und Taktik angeht, bei den Fallschirmspringern der Wehrmacht bedient - natürlich ohne jede ideologische Nähe”, erzählt der ehemalige Polizist, der - obwohl inzwischen im Rentenalter - heute eine Sicherheitsfirma berät. „Wir waren gut - mit den Mitteln, die wir damals hatten. Heute ist die GSG 9 um Klassen besser.”
Gerufen in Amok- und Terrorlagen oder Razzien
Die GSG 9 hat in ihren Einsatzeinheiten Fallschirmspringer, Präzisionsschützen, Taucher und Bootsführer sowie Spezialisten für den Umgang mit chemischen, biologischen und radioaktiven Gefahrstoffen. Gerufen werden sie nicht nur in Amok- oder Terror-Lagen, sondern etwa auch wenn ihre Fähigkeiten bei Festnahmen und Durchsuchungen gebraucht werden - beispielsweise im Rocker-Milieu oder bei Exekutivmaßnahmen gegen Schleuserbanden.
Für viele Menschen ist der Name GSG 9 bis heute mit der Erstürmung des Flugzeugs „Landshut” der Lufthansa im Oktober 1977 verbunden. Ein palästinensisches Kommando hatte das Passagierflugzeug mit mehr als 90 Menschen in die somalische Hauptstadt Mogadischu entführt. Während der „Operation Feuerzauber” drangen Fox und weitere GSG-9-Beamte nachts in die Maschine ein und töteten drei der vier Entführer. Kein Polizist und keine der Geiseln kamen bei der Befreiungsaktion ums Leben. Die schwierige Operation fand auch außerhalb von Deutschland große Beachtung. „Was damals geleistet wurde, das öffnet uns bis heute international viele Türen”, sagt Kommandeur Fuchs.
Fox sagt, er sei „stolz, daran beteiligt gewesen zu sein”. Zu einigen der Geiseln von damals halte er bis heute Kontakt. Darüber, dass er bei einer anderen Operation, die unter dem Namen „Celler Loch” bekannt wurde, keine Rolle hatte, ist er nicht unfroh. In der Nacht zum 25. Juli 1978 wurde ein 40 Zentimeter großes Loch in die Außenwand des Hochsicherheitsgefängnisses in Celle gesprengt - die GSG 9 leistete dabei technische Hilfe. Jahre später stellte sich heraus: Hintergrund der vermeintlichen Befreiungsaktion war der Versuch des Verfassungsschutzes und der niedersächsischen Landesregierung, V-Leute in den engen Kreis der RAF-Terroristen einzuschleusen.
Dunkle Stunden in der Geschichte der GSG 9
Zu den dunkelsten Stunden in der Geschichte der Einheit gehört der von Pannen begleitete Einsatz im Bahnhof von Bad Kleinen in Mecklenburg-Vorpommern, wo 1993 die mutmaßlichen RAF-Terroristen Birgit Hogefeld und Wolfgang Grams festgenommen werden sollten. Dabei sterben zwei Menschen: Grams und der GSG-9-Beamte Michael Newrzella. 2004 werden im Irak zwei Beamte der GSG 9 getötet - ihr Konvoi war in einen Hinterhalt geraten.
In den Einsatzeinheiten der GSG 9 gibt es bislang keine Frauen. Das mag daran liegen, dass Polizeibeamte, die sich hier bewerben, alle - unabhängig vom Geschlecht - die gleichen extrem hohen sportlichen Voraussetzungen erfüllen müssen. Wer bei der GSG 9 der Bundespolizei arbeitet, darf über seine Tätigkeit im privaten Umfeld nicht viel erzählen. Im Einsatz sind die Polizisten maskiert. Bis auf die Führung zeigt niemand öffentlich sein Gesicht.
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