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Kommentar

Ampelstreit und Regierungskrise
Besser ein Ende mit Schrecken

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Lesezeit 3 Minuten
Christian Lindner (FDP), Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD).

Christian Lindner (FDP), Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Können sie gut miteinander regieren? Aktuell spricht wenig dafür.

Besser als eine Fortführung des unwürdigen Schauspiels wäre es, vorzeitig die Reißleine zu ziehen, kommentiert Felix Huesmann.

Die Ampel ist 2021 als „Fortschritts­koalition“ angetreten. Mittlerweile sind von dem ungleichen Dreierbündnis aus SPD, Grünen und FDP nicht einmal mehr mühsam errungene Kompromisse und dringend benötigte Stabilität zu erwarten. Stattdessen wird der Streit der Koalitions-„Partner“ immer unerbittlicher. Die Fronten sind längst verhärtet.

Spätestens nach der Veröffentlichung des jüngsten Lindner-Wirtschafts­papiers ist klar: Die Koalitionäre müssen schnell klären, ob sie noch miteinander können und ob sie noch einen Modus finden, in dem sie Deutschland für ein weiteres Jahr regieren können, ohne dass das Land danach deutlich schlechter dasteht als jetzt.

Die Herausforderungen wachsen – es braucht Stabilität

Die politischen und wirtschaftlichen Heraus­forderungen für Deutschland, Europa und die Welt werden in dieser Zeit weiter zunehmen. Ohne politische Einigungen wird die deutsche Wirtschaft größeren Schaden nehmen. Und ohne eine zuverlässige und handlungsfähige Bundes­regierung droht Deutschland geopolitisch ins Hintertreffen zu geraten. Dabei wäre Deutschlands Rolle als verlässlicher und stabiler Partner besonders dann wichtig, falls Donald Trump die US-Präsidentschafts­wahl am Dienstag gewinnt – was alles andere als unwahrscheinlich ist. Für die Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen den russischen Angriffskrieg könnte die Unterstützung aus Deutschland dann mehr denn je überlebens­wichtig sein.

Auch innenpolitisch braucht Deutschland dringend eine Bundes­regierung, die die Bevölkerung nicht mit dauerhaftem und immer weiter eskalierendem Streit ermüdet, abschreckt und frustriert. Denn dieser Streit und die dadurch befeuerte Vorstellung, „die da oben“ beschäftigten sich nur mit sich selbst und nicht mit den Ängsten und Nöten der Menschen „da draußen“, beflügeln den Erfolg von Populisten und Extremisten. Deren wachsender Stimmanteil wird es künftig noch schwerer machen, stabile Regierungs­mehrheiten zu finden. Dieser Teufelskreis muss durchbrochen werden.

Die Zeichen stehen auf Eskalation

Am besten wäre es, wenn SPD, Grüne und FDP in der Bundes­regierung noch einmal zueinander finden und den Rest der Legislatur­periode besser regieren als bislang. Doch wenig spricht dafür, dass das gelingt. Die peinliche Posse um die zwei konkurrierenden Industrie- und Wirtschafts­gipfel von Bundes­kanzler Olaf Scholz und Bundes­finanzminister Christian Lindner in der vergangenen Woche sprach Bände. Lindners Wirtschafts­papier wischt nun die verbliebenen Zweifel hinweg – auch wenn er Wert darauf legt, dass das Papier nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sei. Die Zeichen stehen auf Eskalation.

Wenn die Ampel­spitzen nicht in den nächsten Tagen mit einem überraschenden und überzeugenden Plan daherkommen, wie sie das Blatt grundlegend wenden wollen, gilt das Sprichwort „Besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende“. Vorgezogene Neuwahlen wären auf kurze Sicht sicher ebenfalls nicht stabilitäts­fördernd, sie würden Deutschland viel mehr einige turbulente Monate bescheren. Und es ist auch keineswegs ausgemacht, dass die künftige – aller Voraussicht nach CDU-geführte – Bundes­regierung harmonischer und produktiver zusammenarbeiten wird.

Zumindest aber würde das unwürdige Schauspiel verkürzt, das die Ampel­koalition seit geraumer Zeit in der Öffentlichkeit aufführt. Lindners Auftreten nährt den Verdacht, er setze alles daran, dass der Bundes­kanzler ihn aus dem Amt entlässt und die Ampel­koalition so zu Fall kommt. Dann stünde Scholz möglicherweise als Buhmann da, nicht Lindner. Ehrlicher und fairer dem Land gegenüber wäre es, die Reißleine jetzt selbst zu ziehen – auch wenn das für die FDP ein riskanter Schritt wäre. Denn die Partei steht in den letzten Umfragen bei gerade mal 3 bis 4 Prozent.