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Anne Spiegel unter DruckEntwarnung, als schon Menschen starben

Lesezeit 5 Minuten
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Der Druck auf Familienministerin Anne Spiegel (Grüne) wächst.

Mainz

Ein leichter Gang wird es nicht für Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne). Am heutigen Freitagabend muss sie in Mainz im Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe im Ahrtal mit ihren 134 Toten viele unangenehme Fragen beantworten. So etwa zu ihrem fragwürdigen Krisenmanagement als rheinland-pfälzische Umweltministerin vom 14. auf den 15. Juli 2021. Dabei geht es auch um die Frage, warum das untergeordnete Landesamt für Umwelt (LfU) in jener Flutnacht zeitweilig falsche Pegelstände an die Kommunen und Helfer weiterleitete. Bisher hatte das Umweltministerium mitgeteilt, dass die Meldekette zu kommunalen Behörden stets funktioniert habe.

Das Gegenteil scheint der Fall zu sein: Offenbar verfügte das LfU über völlig unzureichende Informationen zu den Starkregenflüssen in der Ahrregion. Diesen Schluss lassen nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ zumindest die Aussagen des Leiters der hydrologischen Abteilung im LfU, Thomas Bettmann, zu, die dieser bei der Staatsanwaltschaft Koblenz zu Protokoll gab. Demnach musste der für die Hochwasserprognosen zuständige Experte einräumen, dass sich am Abend des 14. Juli etliche Pannen ereigneten.

Experten wollten sich nicht festlegen

So hatte das LfU bereits um 18.10 Uhr eine Prognose an Umweltstaatssekretär Erwin Manz (Grüne) gemailt, der eine immense Katastrophe voraussagte. Demnach könnte der Ahr-Pegel auf knapp sieben Meter steigen. Gut drei Meter mehr als noch 2016 im Jahrhunderthochwasser. Allerdings wollten sich die LfU-Experten nicht festlegen. Zu unsicher seien die „metereologischen Vorhersagen.“ Bis heute ist ungewiss, wie die Ministeriumsspitze um Anne Spiegel mit dieser Meldung umgegangen ist. Antworten erwarten sich die Parlamentarier am Abend im Untersuchungsausschuss.

Nach Recherchen dieser Zeitung entdeckten die Ermittler Widersprüche zwischen Hochwassermeldungen des Landesamtes für Umwelt und den Erkenntnissen der lokalen Rettungseinheiten. Am späten Nachmittag des 14. Juli hatte LfU-Abteilungsleiter Bettmann etwa im Telefonat mit der jetzigen Landrätin von Ahrweiler, Cornelia Weigand, vor einem Rekord-Pegel von 5.50 Meter gewarnt. Kurz vor 19 Uhr ruderte der Chefhydrologe jedoch zurück. Demnach seien nur noch vier Meter zu erwarten, meldete die Behörde. Etliche Retter aus den betroffenen Gemeinden sowie Zeugen aus dem Krisenstab in Ahrweiler bekundeten, dass man auf Grund der Vorhersage aus dem LfU von einer zu bewältigenden Hochwasserlage ausgegangen sei.

Zeitgleich waren schon Menschen gestorben

Zu jener Zeit überfluteten die Wassermassen bereits die Feuerwehrzentrale in Altenahr. An der oberen Ahr waren längst Menschen gestorben. Bettmann rechtfertigte im Rückblick die Fehlanalyse mit Informationen des Deutschen Wetterdienstes (DWD), wonach sich „das Niederschlagsgebiet mehr in Richtung Nordrhein-Westfalen entwickeln“ würde und zu der neuen Hochwasserprognose geführt hätten.

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Rheinland-Pfalz, Rech: In der Ortsgemeinde an der Ahr sind nach wie vor zahlreiche Häuser unbewohnbar. (Archivbild)

Auf Vorhalt der Vernehmungsbeamten musste Bettman ferner einräumen, dass seine Mitarbeiter die Flut-Prognose für die kommenden 24 Stunden fälschlicherweise von 6,81 Meter auf 5,30 Meter abgesenkt hatten. Bei der manuellen Übertragung aus der Datenbank in die Tabelle sei es zu einem Fehler gekommen, gab er zu Protokoll.

Drei Stunden alte Daten

Zudem berichtete der Zeuge, dass die Voraussagen sich in erster Linie auf Daten der drei Pegelmessstationen an der Ahr und vor allem des Deutschen Wetterdienstes (DWD) stützten. Letztere seien allerdings bis zu drei Stunden alt gewesen. Für die eigenen Berechnungen vergingen demnach nochmals bis zu eineinhalb Stunden. Das heißt, dass die Prognosen weit hinter dem aktuellen Status in den Flutgebieten zurücklagen.

Zudem sei die LfU-Abteilung nicht in der Lage gewesen, so Bettmann, etwaige „Rückstaueffekte“ an Brücken mit einzukalkulieren. Wie sich später herausstellte, sorgten weggeschwemmte Bäume, Häuser und Fahrzeuge dafür, dass die Flutwelle auf eine Höhe von mehr als acht Metern anschwoll.

Ein weiteres Problem bahnte sich für die Behörde an, als um 20.45 Uhr des 14. Juli die wichtige Pegelmessstation Altenahr ausfiel.

Verantwortliche von prekärer Lage überrascht

Mails, die dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorliegen, belegen, dass die Verantwortlichen erst am späten Abend des 14. Juli von der prekären Lage überrascht wurden. So teilte Staatssekretär Manz der Chefin der Landesumweltbehörde um 21.33 Uhr mit, dass in der Vulkaneifel inzwischen der Katastrophenfall ausgerufen worden sei. Diese sagte umgehend eine neue Hochwasser-Prognose zu. Inzwischen seien Informationen eingetroffen, dass ein Rückhaltebecken im Eifelort Adenau übergelaufen sei, sodass eingeschlossene Menschen aus Häusern gerettet werden müssten.

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Um 22.14 meldete Chefhydrologe Bettmann, dass die damalige Verbands-Bürgermeisterin aus Altenahr von Personen berichtete, die wegzuschwemmen drohten. Erst um 22.31 mailte Staatssekretär Manz, dass man nun auch das Innenministerium über den Hilferuf Weigands informiert habe. „Alle sind hochgradig alarmiert“, schrieb der Grünen-Politiker. Zudem fehlten Hilfskräfte. Auf die Rückfrage, ob auch die Bundeswehr angefordert worden sei, entgegnete Manz, dass alles mobilisiert wurde, was möglich wäre.

Spiegel scheint nicht erreichbar gewesen zu sein

Danach endete der Austausch. Die Flut raste derweil die Ahr hinunter. Auch eine Kommunikation mit der damaligen Umweltministerin Spiegel ist nicht belegt. Die Grünen-Politikerin, so berichtet die „Rhein-Zeitung“, scheint an jenem Juli-Abend nicht mehr erreichbar gewesen zu sein. Während die ersten Landkreise bereits den Katastrophenfall ausgerufen hatten und der Altenahr-Pegel nicht mehr funkte, versuchte Staatssekretär Manz am 14. Juli um 22.24 Uhr vergebens, seine Chefin zu erreichen. Am nächsten Morgen soll sein Anruf laut dem Zeitungsbericht um 7.52 Uhr erneut erfolglos geblieben sein.

Eine Stunde später meldete sich die Ministerin dann. Während die ersten Meldungen über das enorme Ausmaß des Flutdramas das Landeskabinett erreichten, trieb Spiegel vor allem die Sorge um ihr politisches Image um. Kurz vor neun Uhr simste sie am 15. Juli an ihre Mitarbeiter: „Das Blame Game (durch den SPD-Koalitionspartner Anm. der Red.) könnte sofort losgehen, wir brauchen ein Wording, dass wir rechtzeitig gewarnt haben, wir alle Daten immer transparent gemacht haben, ich im Kabinett gewarnt habe, was ohne unsere Präventionsmaßnahmen und Vorsorgemaßnahmen alles noch schlimmer geworden wäre etc.“