Hochwasser an der AhrUmweltministerium warnte wohl nicht ausreichend vor der Flut
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Mainz – Am Freitag wird Anne Spiegel zurück an ihre alte Wirkungsstätte nach Mainz zurückkehren. Im rheinland-pfälzischen Untersuchungsausschuss des Landtags soll die heutige Bundesfamilienministerin über ihr Krisenmanagement in der Flutnacht vom 14. auf den 15. Juli im Ahrtal berichten. Die Grünen-Politikerin amtierte seinerzeit noch als Umweltministerin im Kabinett der Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD). Die bisherigen Nachforschungen der Parlamentarier nebst den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Koblenz legen nahe, dass ihr Haus sowie das untergeordnete Landesamt für Umwelt (LfU) ein denkbar schlechtes Bild während der Katastrophe abgegeben haben.
Das LfU meldete zeitweilig viel zu niedrige Pegelstände, so dass Feuerwehren und der Krisenstab im zentralen Landkreis Ahrweiler von einer entspannten Hochwasserlage ausgingen. Kurz vor 17 Uhr am 14. Juli hatte das Ministerium noch eine Pressemeldung herausgegeben, dass nicht mit einem Extremhochwasser zu rechnen sei. Da starben bereits die ersten Menschen am Campingplatz Stahlhütte an der Oberahr, und im Eifelort Schuld drohten die ersten Häuser wegzubrechen.
Brisante SMS-Protokolle liegen dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vor, die belegen, wie unangemessen die Umweltministerin und ihre Mitarbeiter in der dramatischen Situation handelten. Zugleich wird deutlich, dass Anne Spiegel ähnlich wie ihr Innenressort-Kollege Roger Lewentz (SPD) ahnungslos war, wie die Flutwelle sich im Ahrtal ihren Weg bahnte.
Nur eine Stunde nach der fatalen Hochwasser-Entwarnung aus dem Hause Spiegel ruderte ihr Staatssekretär um 18 Uhr am 14. Juli in einer Mitteilung an die Pressesprecherin zurück. Die Pressemitteilung habe sich überholt, hieß es. „Wir haben ein Extremereignis an der Ahr. Dort wurde ein Campingplatz aus der Luft evakuiert.“ Rückfrage Pressestelle: „Müssen wir jetzt was machen?“ Antwort Staatssekretär Erwin Manz: „Heute nicht.“ Bei Fragen zu Pegelständen solle man bitte auf das Landesumweltamt verweisen.
Dass man dort meist völlig veraltete Daten vom Deutschen Wetterdienst herausgab, und später dann auch wichtige Messstationen ausfielen, wurde nicht bekannt. Vom späten Nachmittag bis in die Nacht tobte die Flut das Ahrtal hinunter. Viele Anwohner wurden vermisst, die ersten Toten geborgen.
Am Morgen darauf schickte eine Ministeriumssprecherin an den Vize-Regierungssprecher Dietmar Brück eine Textnachricht: Die Lage durch den Starkregen sei ernst. Man müsse schnell reagieren. Brück antwortete im großen Verteiler unter anderem auch an Ministerin Anne Spiegel. „Die Starkregen-Katastrophe wird das beherrschende Thema dieser und nächster Woche sein. Anne braucht eine glaubwürdige Rolle.“ Der Vorschlag des Presse-Experten: Die Anteilnahme übernehme Regierungschefin Dreyer. Das grüne Umweltministerium aber sollte über die Hochwasserlage und Warnungen informieren. Warnungen, die während der Flutkatastrophe allerdings weitgehend ausgeblieben waren.
Medienwirksame Ortstermine
Zugleich solle Ministerin Spiegel medienwirksame Ortstermine durchführen: „Anne bei Reparaturarbeiten, bei Hochwasserschutzprojekten, dort wo neue Gefahren drohen, Besuch mit Journalisten bei Hochwassermeldezentren.“ Während sich die Horrormeldungen über das Ausmaß der Naturgewalten häuften, dachte Brück strategisch weiter. Politisch müsse man aufpassen, dass der Koalitionspartner der SPD, angeführt von der Ministerpräsidentin und deren Innenminister, nicht mit einem Fünf-Punkte-Plan gegen Starkregen allein davon preschten. „Da müssen wir dazu; und selber überlegen.“
Laut der vorliegenden SMS-Protokolle gab es noch weitere Vorschläge: „Annes Rolle muss meines Erachtens immer mit einer konkreten Rolle oder Zuständigkeit verbunden sein, es darf nicht nach politischer Instrumentalisierung aussehen.“ Neben der Strategie kommt Mitgefühl für die Opfer in den Nachrichten kaum zum Tragen.
Bedenken wegen möglicher Schuldzuweisung
Vielmehr blieb die Grünen-Spitze in Rheinland-Pfalz am Morgen nach der Katastrophe in einen Modus, der die Öffentlichkeit im Blick hatte. Um 8.07 Uhr stimmte Ministerin Spiegel dem Grünen-Vize-Regierungssprecher zu. Die Spitzenpolitikerin sinnierte darüber, wie man die Schuld an dem Flutdesaster von sich lenken und etwaige Attacken durch den sozialdemokratischen Koalitionspartner abfedern könnte.
Spiegels Aussagen machen deutlich, dass die Regierungsspitze Mainz genau wusste, dass Vieles schief gelaufen war: „Lieber Dietmar, dass deckt sich mit meinen Überlegungen, plus: das Blame-Game (Schuldzuweisungen Anm. der Red.) könnte sofort losgehen, wir brauchen ein Wording, dass wir rechtzeitig gewarnt haben, ich im Kabinett.“ Zudem will die Ministerin herausstreichen, dass „ohne unsere Präventions- und Vorsorgemaßnahmen alles noch viel schlimmer geworden wäre etc.“
Dabei trieb die Grünen-Politikerin vor allem die Sorge um, dass SPD-Innenminister Roger Lewentz ihr in die Parade fahren könnte. „Ich traue es Roger zu, dass er sagt, die Katastrophe hätte verhindert werden können oder wäre nicht so schlimm, wenn wir als Umweltministerium früher gewarnt hätten und dass es an uns liegt, weil wir die Situation unterschätzt hätten.“ Spiegel schlug vor, einen „Mini-Krisenstab zusammenzutrommeln und uns die Themen vorzunehmen, um handlungsfähig zu sein.“
Warum die Alarmierung ausblieb, ist unklar
Als ihr Staatssekretär Erwin Manz am frühen Abend des 14. Juli dann vom Landesumweltamt eine neue Warnmeldung über einen Pegelhöchststand in Altenahr erhielt, informierte er seine Chefin per Mail. Bis heute bleibt unklar, warum die Ministerin nicht die gesamte Landesregierung alarmierte. Vielmehr agierte die Regierungsspitze die ganze Katastrophennacht über in einer Art Blindflug.