Köln/Bochum – Ein kleiner Leitungsschacht in Herne löste am Wochenende ein bundesweites Bahnchaos aus. Neben dem Karower Kreuz in Berlin hatten Unbekannte auch die Lichtwellenleiterkabel im Westfälischen Herne durchtrennt und somit die Kommunikation im nördlichen Schienennetz gekappt. Dadurch fiel auch das Backup-System aus. Nichts ging mehr. Insbesondere Fernzüge mussten in den Bahnhöfen bleiben, weil der unverzichtbare Zugfunk in die Fahrstände nicht mehr gewährleistet war. Tausende Bahnkunden blieben auf der Strecke.
Inzwischen ist klar: Ein gezielter Sabotageakt legte die Deutsche Bahn im Norden lahm. Der Fall zeigt erneut, wie leicht es ist, durch Anschläge auf Schwachstellen kritische Infrastrukturen massiv zu treffen.
Bahn-Sabotage in Norddeutschland: Kein Bekennerschreiben
Neben dem Landeskriminalamt Berlin hat in NRW die Polizei in Bochum die Ermittlungen von der für den Bahnverkehr zuständigen Bundespolizei übernommen. „Unsere Staatsschutzabteilung hat eigens eine Ermittlungskommission eingerichtet, die den Fall untersucht“, berichtete Behördensprecher Frank Lemanis dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.
Eine politisch motivierte Tat sehen die Strafverfolger als eines der wahrscheinlichsten Motive an. Für einen Anschlag durch staatliche Stellen aus dem Ausland gebe es bisher noch keine Anhaltspunkte, hieß es. Auch fand sich kein Bekennerschreiben – weder im Internet noch anderswo.
Derzeit versuche man mit allen technischen Hilfsmitteln den Tatort zu durchleuchten, teilte der Erste Polizeihauptkommissar mit. „Dabei sind auch Drohnen und ein 3-D-Scanner im Einsatz, um noch Spuren zu entdecken.“ Kein einfaches Unterfangen: Die Kabelkanäle wurden längst wieder repariert. Der Bahnverkehr musste so schnell wie möglich wieder laufen. Das erschwert die Tatortarbeit der Ermittler.
Zurzeit versuchen die Staatsschützer aus Bochum etliche logistische Fragen zu klären. Wer hätte wissen können, an welchem Ort man zuschlagen musste, um die Bahn so schwer zu treffen? Denn derart gezielte Attacken setzen Insiderwissen voraus. Der Kabelkanal in Herne liegt eher verborgen ein Stück weit unter der Erde.
Experten: Kein hundertprozentiger Schutz vor Sabotage
Zudem machen sich die Sicherheitsbehörden derzeit ein Bild darüber, an welchen Stellen die Bahn weitere Kommunikationsleitungs-Knotenpunkte vorhält. Eine Sprecherin der Bundespolizei in Sankt Augustin sagte dieser Zeitung, dass man in NRW gerade dabei sei, diesen Punkt zu klären, um weitere Sicherungsmaßnahmen zu treffen. Allerdings sind sich alle Experten bei der Deutschen Bahn wie in den Anti-Terror-Behörden einig, dass es bei einem Schienennetz von 34.000 Kilometern Länge keinen hundertprozentigen Schutz vor Saboteuren geben kann.
Der Kabel-Angriff ist laut IT-Sicherheitsexperten womöglich „nur ein Testdurchlauf gewesen sein, um die Auswirkungen einer solchen Sabotage zu sehen“, sagte Michael Wiesner, Sprecher des Expertengremiums Arbeitsgruppe Kritische Infrastrukturen (AG Kritis) der Funke Mediengruppe. Die AG Kritis ist eine unabhängige Arbeitsgruppe aus Fachleuten, die sich mit der IT-Sicherheit kritischer Infrastrukturen befassen.
Angesichts der diffusen Erkenntnislage hat die Bundesanwaltschaft das Verfahren noch nicht an sich gezogen. Derzeit stehe man zwar mit den Ermittlungsbehörden in Kontakt, war zu vernehmen. Bisher sei aber noch unklar, wer dahinterstecke. Insoweit sei eine Zuständigkeit der Karlsruher Strafverfolger noch nicht gegeben.
Einzeltäter bei Bahn-Sabotage nicht ausgeschlossen
Theoretisch kann es sich auch um einen Einzeltäter handeln, der aus rein kriminellen Beweggründen einen Anschlag gegen die DB ausführt. Ähnliche Fälle gab es bereits. So hatte ein notorischer Betrüger und Einbrecher im März 2020 auf 80 Metern an der ICE-Hochgeschwindigkeitsstrecke Frankfurt-Köln die Schienen-Schrauben gelöst. Der Mann scheiterte damit, die Bahn zu erpressen. In Briefen an das Bundeskanzleramt hatte er den Anschlag einer islamistischen Terrorzelle auf eine Zugstrecke angekündigt, den nur er verhindern könne. Dafür forderte er mehrere Milliarden Euro.
Als eine Reaktion auf den Erpressungsversuch ausblieb, schritt er zur Tat. Damals wurde die Katastrophe verhindert, weil mehrere Lokführer ein seltsames Verhalten ihrer Schnellzüge meldeten. Die Strecke wurde daraufhin sofort gesperrt. Bei ihrer Überprüfung entdeckten die Kontrolleure den Sabotageakt. Bis dahin waren bereits mehr als 400 Züge mit bis zu 300 Stundenkilometern über die lose Schiene gerast. Nach Berechnungen eines Gutachters hätte es nur noch fünf bis 30 Züge gebraucht, bis ein Zug entgleist wäre. In der Nähe befanden sich eine Brücke und eine Tunneleinfahrt.
Den Bahn-Attentäter aus dem Jahr 2020 plagte schließlich das Gewissen. Er meldete sich bei der Polizei und offenbarte den Beamten seine Tat, allerdings noch anonym. Das Telefonat konnten die Ermittler zum Delinquenten zurückverfolgen. Ein Spezialeinsatzkommando der Polizei nahm den Tatverdächtigen in einem Hotel in Pulheim fest. Ende 2021 verhängte das Landgericht Wiesbaden knapp zehn Jahre Haftstrafe wegen versuchten Mordes.
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Ein Jahr zuvor wurde ein 44-jähriger islamistischer Terrorist in Wien zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Im Auftrag der Terrormiliz „Islamischer Staat“ versuchte der Iraker im Jahr 2018 ICE-Züge auf der Strecke München-Nürnberg und in Berlin entgleisen zu lassen. Dabei setzte der Asylbewerber Keile und Stahlseile ein. Die Terrorpläne scheiterten allein, weil er mit fehlerhaften Konstruktionen operierte. Wäre das nicht der Fall gewesen, hätte es zahlreiche Tote gegeben.