Zwischen Joe Biden und Benjamin Netanjahu läuft ein existenzieller Machtkampf – mit globalen Folgen.
Aus Streitigkeiten wurde FeindschaftBiden gegen Netanjahu – Ein Kampf um die Zukunft der Welt
Im Fernsehsender NBC beschrieb Joe Biden jüngst den israelischen Premierminister wie einen dummen Jungen. „Er schadet Israel mehr, als er seinem Land nützt.“
Diplomaten in aller Welt zogen die Augenbrauen hoch: Wann je hat ein amerikanischer Präsident solche Töne angeschlagen gegenüber dem Regierungschef einer verbündeten Nation? Biden schuf Klarheit. Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu, das weiß man jetzt, ist im Weißen Haus endgültig unten durch.
Biden äußert sich abwertend über Netanjahu
Der amerikanische Präsident pflegt normalerweise einen abgeklärten, ruhigen Stil, auch und gerade im Umgang mit schwierigen Gesprächspartnern im Ausland. Im Fall des 74 Jahre alten Netanjahu aber verlor der 81 Jahre alte Biden jüngst die Fassung: Immer wieder, schimpfte Biden im Beisein von Mitarbeitern, habe er Netanjahu in den zurückliegenden Wochen zu einer Feuerpause in Gaza aufgerufen, immer wieder aber habe der ihn einfach abblitzen lassen.
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Dies alles geschehe, obwohl er, Biden, direkt nach dem Hamas-Blutbad im Oktober 2023 nach Israel gereist sei. In seiner Schimpftirade benutzte Biden, wie drei Zeugen übereinstimmend berichteten, mit Blick auf Netanjahu das Wort „Arschloch“.
Vieraugengespräch in Israel war Beginn von Machtkampf
Tatsächlich hatte Biden im Oktober in Israel gegenüber Land und Leuten eine über das erwartete Maß hinausgehende Anteilnahme gezeigt. Der US-Präsident schob damals sogar Sicherheitsbedenken beiseite; dem Secret Service gefiel es nicht, dass Biden ein Land im Kriegszustand in einer immer noch gefährlichen Situation besuchte.
Das Vieraugengespräch mit Netanjahu in Jerusalem jedoch half Biden kein bisschen. Im Gegenteil: Es war der Beginn eines Machtkampfs, der inzwischen so eskaliert ist, dass ihn wohl nur einer von beiden politisch überleben kann.
Bidens „Liebe“ ist zu Ende
Netanjahu vertraute damals dem Gast aus den USA an, Israel werde jetzt mit einer nie dagewesenen militärischen Anstrengung versuchen, die Hamas ein für allemal zu vernichten. Biden warnte davor. Der Plan sei unrealistisch und politisch schädlich, für beide Länder.
In einer einfühlsamen öffentlichen Rede versuchte Biden damals, ganz Israel zu umarmen. Er verglich den Schmerz für Israel nach der Hamas-Attacke mit dem Schmerz der USA nach dem Terrorangriff aufs World Trade Center. Zugleich aber riet Biden zu Besonnenheit: „Auch wenn Sie Wut spüren, lassen Sie sich nicht von ihr auffressen.“
Eine Mahnung zur Mäßigung war das Letzte, was Netanjahu hören wollte. Immer wieder betonte der Premier in den vergangenen Monaten: „Wir lassen uns von nichts und niemandem in unserem Kampf gegen die Hamas aufhalten.“
Das Problem zwischen den beiden Männern ist keine Frage der Wellenlänge. Sie verstehen einander gut. Nur sind sie einfach unterschiedlicher Ansicht – und zwar über alle Aspekte des Nahostkonflikts, egal ob es um Stilistisches geht oder um Inhalte, um das eine oder andere aktuelle Detail oder um die ganz große Vision für die Zukunft. Und dieser Dissens, auch das ist belastend, besteht bereits seit mehr als 40 Jahren.
Eine lange Vergangenheit
Erste Begegnungen zwischen beiden gab es in den Achtzigern. Biden saß damals als junger Senator aus Delaware im Auswärtigen Ausschuss des amerikanischen Senats, Netanjahu, den viele schon damals „Bibi“ nannten, war als israelischer Diplomat unterwegs. Biden wurde zum Anwalt der Zweistaatenlösung für Israelis und Palästinenser – Netanjahu glaubte daran nie.
Lange pflegten beide Männer immerhin eine Kultur des Miteinanderredens. Überliefert ist aus jener Zeit das ironische Biden-Zitat: „Bibi, ich stimme mit keiner einzigen deiner Ansichten überein – aber ich liebe dich.“
Das Ende dieser „Liebe“ war erreicht, als im Dezember 2023 Biden Netanjahu in ernstem Ton bat, die Vielzahl der Luftangriffe einzustellen und nur noch gezielte Antiterroraktionen vorzunehmen. Begründung: Die Zahl der zivilen Opfer auf palästinensischer Seite sei schlicht und einfach viel zu hoch.
Biden schickte seinen Verteidigungsminister Lloyd Austin nach Israel. Der sollte den israelischen Offizieren erläutern, wie „ein stärker fokussiertes Vorgehen“ aussehen könnte. Austin war zeitweilig für mehr als 100?000 US-Soldaten im Irak zuständig und kennt sich aus mit solchen Dingen. Die Israelis hörten sich alles geduldig an und nickten höflich – veränderten aber nicht ihr Vorgehen.
Netanjahu weiß: Biden wackelt
Aktuell will Netanjahu den Krieg auch noch in Rafah eskalieren lassen, in einer Region im Süden des Gazastreifens, in der mehr als eine Million Flüchtlinge unterwegs sind. Biden und seine Leute mochten es anfangs gar nicht glauben, als sie das hörten. Erstmals stellten sich die USA mit Militäraktionen vor Ort quer: Hilfsgüter segeln an Fallschirmen zu Boden, an der Küste von Gaza soll ein provisorischer Landungskai für zivile Lieferungen gebaut werden. Beides befahl Biden dem US-Militär, ohne nach der Zustimmung Israels zu fragen.
Parallel dazu geriet Netanjahu politisch unter amerikanischen Beschuss wie noch nie. US-Senator Chuck Schumer aus New York, Mehrheitsführer im Senat und ein Vertrauter Bidens, empfahl den Israelis öffentlich, doch bitte auf Neuwahlen zuzusteuern und den gegenwärtigen Premier abzuschütteln. Biden sprach von einer „guten Rede“.
Immer wieder Unstimmigkeiten
Die Regierung in Jerusalem war entsetzt. Beleidigt ließ Netanjahus Regierung verlauten, dies sei nicht der Umgangston, den man sich zwischen zwei Demokratien wünsche.
Biden aber lehnt es ab, sich von Netanjahu Tipps in Sachen Umgangston geben zu lassen. In Washington wird dieser Tage an die eigentümliche USA-Reise Netanjahus im Jahr 2015 erinnert. Biden war damals Vizepräsident der USA, Chef im Weißen Haus war Friedensnobelpreisträger Barack Obama.
Netanjahu hielt es damals für unnötig, bei seinem Washington-Aufenthalt auch dem Weißen Haus einen Besuch abzustatten. Der israelische Premier warf Obama und Biden seinerzeit eine zu lasche Linie gegenüber dem Iran vor – und hielt lediglich eine Rede vor dem von Republikanern dominierten Kongress.
Die Demokraten sahen darin eine Ohrfeige für ihre Partei kurz vor Beginn des Wahljahrs 2016 – an dessen Ende sich Donald Trump durchsetzte. Diese alten Szenen führen derzeit zu neuen Spekulationen: Setzt Netanjahu wie damals auf einen Sieg Trumps?
Bidens Umfragewerte sind schwach. Und der Eindruck, dass er mit seinen 81 Jahren eben doch zu alt sein könnte für weitere vier Jahre im Amt, lässt viele Wählerinnen und Wähler in den USA nicht los.
Dies unterhöhlt aus Sicht Netanjahus auch Bidens außenpolitische Autorität: Warum sollte Israel jetzt auf die Vorhaben eines alten Mannes im Weißen Haus Rücksicht nehmen, der schon Anfang November abgewählt sein könnte?
Hinzu kommt ein beinahe teuflischer weiterer Aspekt: Je schlimmer es im Gazakrieg zugeht, umso mehr gerät Biden in Schwierigkeiten. Die Proteste linker Wählerinnen und Wähler in den USA gegen den Gazakrieg spalten die US-Demokraten. Bei den Vorwahlen in Michigan schrieben mehr als 13 Prozent der Demokraten „unentschieden“ auf den Wahlzettel, statt Biden anzukreuzen. Wenn diese Unzufriedenen bei der Präsidentschaftswahl im November zu Hause bleiben, verliert Biden die entscheidenden Swing States. Diese Konstellation könnte Netanjahu dazu verleiten, durch eine harte Hand in Gaza zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen und neben der Hamas auch seinen Kritiker Biden zu schwächen.
Biden weiß: Netanjahu wackelt
Umgekehrt kennt allerdings auch das Weiße Haus die innenpolitische Stimmungslage in Israel genau. Zu Ostern gingen erneut Zehntausende Netanjahu-Gegner in Jerusalem auf die Straße und forderten Neuwahlen. Zur gleichen Zeit war der Premier unpässlich, er wurde wegen eines Leistenbruchs unter Vollnarkose operiert, war aber am Montagmorgen wieder ansprechbar.
Biden weiß: Würde in Kürze in Israel gewählt, wäre es um Netanjahu geschehen. Dessen konservativer Likud-Block hat nach jüngsten Umfragen schon seit Februar keine Mehrheit mehr. Wie unter anderem die Zeitung „Haaretz“ berichtet, könnte Netanjahus Rivale Benny Gantz mit 37 Sitzen für seine Partei der Nationalen Einheit rechnen. Likud käme auf nur 18 Sitze. Dies beflügelt in der US-Administration alle, die derzeit nahöstliche Zukunftsszenarien ohne Netanjahu entwerfen. In den Washingtoner Korridoren der Macht wird geflüstert, Netanjahu könne man am Ende ebenso wenig gebrauchen wie die Hamas.
Ein neuer Optimismus in Washington stützt sich auf die kooperativer denn je agierenden Golfstaaten, auf Saudi-Arabien sowie auf die harte Anti-Hamas-Linie Ägyptens. Schon kurz vor Ostern kursierten Hinweise, die USA arbeiteten bereits an Plänen für eine multinationale Friedenstruppe im Gazastreifen. Washington wolle dabei keine eigenen Soldaten stationieren, aber bei Finanzierung und Ausrüstung einer solchen Truppe helfen.
Der amerikanische Präsident würde von einer friedlichen Lösung auch innenpolitisch massiv profitieren. Biden als Friedensbringer – damit könnte die gegenwärtige Krise sogar noch in etwas Positives oder gar Visionäres umgedreht werden.
Das allerdings werden jene Weltmächte zu verhindern versuchen, die in den nächsten Monaten möglichst viel globales Chaos stiften wollen, um Biden zu blamieren und einen Trump-Sieg im November zu beflügeln. Der mit Russland verbündete Iran zum Beispiel könnte von heute auf morgen den Nahostkonflikt noch weiter eskalieren lassen, indem er die vom ihm unterstützten Hisbollah-Milizen im Libanon zum Kampf gegen Israel aufruft.
Bidens Kampf um die Zukunft
Für Netanjahu wäre eine weitere Verdüsterung der Landschaft machtpolitisch kein Problem. Er könnte, vorläufig jedenfalls, erst mal weiterregieren, als harter Hund, den man in schwierigen Zeiten braucht.
Es ist diese perfide Verstrickung von blutigem Terror, Wahlkampf und Weltpolitik, die den amerikanischen Präsidenten derzeit an Grenzen stoßen lässt. Es geht um weit mehr als nur um Netanjahu. Erstmals begegnet der alte Hase Biden im Nahen Osten etwas viel Größerem als dem Nahostkonflikt. Biden hat es zu tun mit einem Kampf um die Zukunft der Welt – bei dem er selbst ins Visier mächtiger und kaltblütiger Feinde geraten ist, die ihn politisch beseitigen wollen.