Münster/Kreis Erkelenz – Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Münster hat Eckardt Heukamp nicht überrascht. Der letzte Landwirt von Lützerath im Rheinischen Revier muss seinen Betrieb räumen. Die Energiekonzern RWE Power darf nach dieser Eilentscheidung seinen Hof abbaggern, um den Braunkohletagebau Garzweiler II zu erweitern, selbst wenn das für die Sicherheit der Stromversorgung nicht notwendig sein sollte.
Die vorbereitenden Arbeiten sollten ursprünglich am 1. November 2021 beginnen. Dabei sollten der denkmalgeschützte Hof abgebrochen und Flächen gerodet werden. Für eine Besitzeinweisung - das ist im Bergrecht die Vorstufe der Enteignung - reiche es bereits aus, „dass die Versorgung des Energiemarktes mit Braunkohle gefährdet ist“, heißt es in einer Presseerklärung des Gerichts.
1,5-Grad-Ziel spielte für Gericht keine Rolle
Fragen des Klimaschutzes und die Zusicherung der Bundesregierung, das Ziel des Pariser Klimaschutzabkommens, die Erderwärmung bis 2030 auf 1,5 Grad zu begrenzen, haben für den Beschluss keine Rolle gespielt. Die Beschwerde des Landwirts von Lützerath enthalte „klimapolitische Forderungen, die im geltenden Recht keine Grundlage haben und an den Gesetzgeber zu richten wären“, so das Gericht.
In einem solchen Verfahren sei die Wahrscheinlichkeit zu verlieren grundsätzlich höher als zu obsiegen, sagt Heukamps Anwältin Roda Verheyen. „Das war meinem Mandanten auch klar. Aber die Begründung überrascht mich schon.“
Das Oberverwaltungsgericht sei auf ihre Argumentation gar nicht eingegangen. „Wir haben vorgetragen, dass sie den Beschluss des Verwaltungsgerichts Aachen für rechtswidrig halten, weil es Klimaschutzziele nicht geprüft hat, die nach dem Bundesklimaschutzgesetz zwingend eingehalten werden müssen“, sagt Verheyen. „Diesen Ansatz hat das Oberverwaltungsgericht nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Das ist schon hart für mich.“
Aufgeben scheint keine Option
Dabei habe sie das Szenario des von der Bundesregierung angestrebten vorgezogenen Kohleausstiegs im Jahr 2030 „über Seiten ausgeführt.“ Daraus gehe eindeutig hervor, dass mit dem Tagebau Garzweiler II die Mengenziele des Bundesklimaschutzgesetzes gar nicht eingehalten werden können. Weil der Beschluss nicht mehr anzufechten ist, bleibt Landwirt Heukamp laut Verheyen nur noch die Möglichkeit der Klage vor dem Bundesverfassungsgericht, weil er sich durch die Besitzeinweisung in seinen Grundrechten verletzt sieht. „Wir müssen das erst einmal verarbeiten. Herr Heukamp steckt mitten in diesem Konflikt und muss drüber nachdenken, was er jetzt machen möchte“, sagt Anwältin Verheyen.
Aufgeben offenbar nicht. „Ich werde doch jetzt nicht meine Kisten packen und gehen“, sagt er. „Allen ist klar, dass der Kohleausstieg für den Klimaschutz vorgezogen wird und es deshalb eine neue Leitentscheidung braucht. Warum sollte ich gehen, wenn sich in ein paar Monaten herausstellt, dass mein Dorf bleiben kann? Ich erwarte von der Landesregierung um Ministerpräsident Wüst, dass sie ein Abrissmoratorium für Lützerath beschließt, bis es eine neue Leitentscheidung gibt.“
Die fordert die Initiative „Alle Dörfer bleiben“ schon lange. RWE dürfe nur noch so viel Kohle verbrennen, wie mit der Einhaltung der 1,5 Grad-Grenze vereinbar ist.
In der aktuellen Leitentscheidung der Landesregierung ist das Ende der Braunkohleverstromung mit dem 31. Dezember 2038 angegeben. Es soll regelmäßig überprüft werden, ob er um drei Jahre vorgezogen werden kann. Die Ampelkoalition in Berlin hatte Ende 2021 angekündigt, man strebe an, den Ausstieg schon 2030 zu schaffen. Daran will sie trotz der Energiekrise, die der russische Angriffskrieg auf die Ukraine ausgelöst hat, festhalten. Das hat auch NRW-Ministerpräsident Wüst bekräftigt.
Druck auf Landesregierung
Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts erhöht den Druck auf die Landesregierung. Klimaaktivisten und Bürgerinitiativen haben für den 23. April zu einer Großdemonstration in Lützerath aufgerufen. Nach der im Kohleausstiegsgesetz verankerten Garantie für den Erhalt des Hambacher Forsts steht Lützerath im Zentrum des Protestes der Klimaschützer. Die Aktivistinnen Greta Thunberg und Luisa Neubauer waren schon an der Abbruchkante von Garzweiler.
Ein Szenario wie bei der Räumung des Hambacher Forsts im Herbst 2018, bei dem drei Wochen lang Tausende Polizisten im Einsatz waren, soll sich in Lützerath nicht wiederholen. Das Verwaltungsgericht Köln hatte den Einsatz im September 2021 als rechtswidrig eingestuft. Die von der Landesregierung angeführte Begründung, wonach die Baumhäuser gegen Vorschriften des Brandschutzes verstießen, sei nur „vorgeschoben“ gewesen.