Wo Nordrhein-Westfalen im Länder-Vergleich liegt und was Innenminister Herbert Reul zu der Entwicklung sagt.
„Zuhause ist mehr Gewalt eingezogen“Bundesländer melden starken Anstieg bei häuslicher Gewalt
Die Zahl der Opfer häuslicher Gewalt in Deutschland hat einem Bericht zufolge im vergangenen Jahr deutlich zugenommen. Wie die „Welt am Sonntag“ unter Berufung auf die Innenministerien und Landeskriminalämter der 16 Bundesländer berichtete, wurden bundesweit 179.179 Opfer polizeilich registriert. Das entspricht demnach einem Anstieg von 9,3 Prozent gegenüber dem Pandemie-Jahr 2021.
Partner, Ex-Partner, Familienangehörige sind Täter
Als Täter werden dem Bericht zufolge Partner, Ex-Partner und Familienangehörige erfasst. Zwei Drittel der Opfer sind Frauen. Die Dunkelziffer ist hoch, weil sich viele nicht trauen, Anzeige zu erstatten.
Beim Vergleich der Bundesländer verzeichnet das Saarland dem Bericht zufolge mit 19,7 Prozent (3178 Opfer) den stärksten Zuwachs. Dahinter kommen Thüringen (plus 18,1 Prozent, 3812 Opfer) und Baden-Württemberg (plus 13,1 Prozent, 14.969 Opfer). Insgesamt melden demnach 15 Bundesländer deutlich mehr Opfer. Deren Zahl sank nur in Bremen (minus 13,6 Prozent, 2615 Opfer).
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NRW weist plus 8,5 Prozent Zuwachs auf
Nordrhein-Westfalen weist 37.141 Opfer (plus 8,5 Prozent) aus. Auffällig ist, dass im bevölkerungsreichsten Bundesland die Zahl der Körperverletzungen bei häuslicher Gewalt im Fünf-Jahres-Vergleich um 26,2 Prozent gestiegen ist. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) sagte dazu: „Die Zündschnur ist bei vielen Menschen kürzer geworden und der allgemeine Ton rauer. Das gesellschaftliche Klima hat sich verändert.“ Dies mache auch an den Haustüren nicht Halt. „Zuhause ist mehr Gewalt eingezogen.“
Die Daten der Länder fließen laut „Welt am Sonntag“ in ein Lagebild ein, das vom Bundeskriminalamt erstmals erstellt wird und am 3. Juli von dessen Präsident Holger Münch, Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Familienministerin Lisa Paus (Grüne) in Berlin vorgestellt wird. Zudem lassen sie derzeit eine große sogenannte Dunkelfeldstudie erstellen.
Scham- und Schuldgefühle verhindern oft Anzeigen
„Häusliche Gewalt geschieht oftmals im verdeckten, im privaten Bereich“, sagte Paus der Zeitung. „Scham- und Schuldgefühle der Betroffenen führen häufig dazu, dass die Taten im Dunkeln bleiben und nur selten polizeilich angezeigt werden. Dieses Dunkelfeld ist ungleich größer als das Hellfeld.“ Sie plant auch eine staatliche Koordinierungsstelle, die häusliche Gewalt ressortübergreifend bekämpfen soll.
Faeser fordert mehr Kontrollen der Polizei, wenn diese Täter nach gewaltsamen Übergriffen aus der Wohnung verwiesen hat. „Das muss konsequent kontrolliert werden, damit Täter nicht schnell wieder zurückkehren“, sagte die SPD-Politikerin. Denn häusliche Gewalt sei keine Privatsache, sondern ein gravierendes gesellschaftliches Problem. „Gewalt fängt nicht erst mit Schlägen oder Misshandlungen an: Es geht auch um Stalking und Psychoterror.“
Die Präsidentin des Deutschen Caritasverbandes, Eva Maria Welskop-Deffaa, macht Nachwirkungen der Corona-Pandemie für den Anstieg der Gewalt verantwortlich. „Offenkundig hat die angespannte Lebenssituation der Corona-Jahre sich in erhöhter familiärer Gewaltbereitschaft niedergeschlagen“, sagte sie der Zeitung.
Maria Loheide, Vorständin Sozialpolitik bei der Diakonie, nannte die Zunahme bei den Gewaltopfern erschreckend. „Ein Grund für den Anstieg könnte sein, dass das Bewusstsein für häusliche Gewalt insgesamt gestiegen ist und nach den unsicheren Jahren der Pandemie Frauen jetzt eher Fälle von Gewalt anzeigen“, sagte sie der Zeitung. (afp)