Vor-Ort-Besuch in Dubai: Die Klimakonferenz ist ein Verhandlungsmarathon. Kurz vor Schluss gibt es Überraschungen. Der erste Abschlussentwurf fällt in Deutschland und der EU durch.
DubaiAuf der Zielgerade des Klimagipfels – Das Pro-Öl-Lager lässt die Muskeln spielen
Wer unter dieser Kuppel sitzt, hat die Stadt der Zukunft gesehen, und ihr Name ist „Expo City Dubai“. Am anderen Ende des Messegeländes knallt auch an diesem Dezembermorgen unerbittlich die arabische Sonne auf Delegierten, die auf abgesperrten Betonstraßen zu den riesigen Kongresshallen, wo die letzten Stunden der großen Klimaschutzverhandlungen beginnen.
Doch hier ins Zentrum der einstigen Expo 2020 haben die Vereinigten Arabischen Emirate eine 67 Meter hohe, lichtdurchlässige Kuppel gesetzt, deren verschnörkeltes Gitter an eine Moschee erinnert und Licht und Hitze zu Schatten und Windhauch verwandelt. Aus Lautsprechern plätschern sphärische Musik und Regenwaldgeräusche.
Vom Kuppeldach könnte man den Beton-und-Glas-Dschungel der Wolkenkratzer Dubais sehen, aber hier unten fällt der Blick auf Palmen und grünes Buschwerk, das eine schattige Allee säumt. Sternförmig führen von hier begrünte, überdachte, vom Windhauch durchwehte Gehwege weiter zu den Messegebäuden, Pavillons, Cafés und Restaurants, in denen sich derzeit Tausende Menschen aus aller Welt tummeln.
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Marathon-Verhandlung am Golf – Proteste von Umweltschützern, Machtpoker der Staaten
Rund 90.000 Teilnehmer sind für die UN-Weltklimakonferenz nach Dubai gekommen, eine Minderheit davon verhandelt, wie es mit dem internationalen Klimaschutz weitergeht. Die einen kämpfen für einen international verbindlichen Ausstiegsplan aus der Verbrennung von Kohle, Öl und Gas. Die anderen sind hier, um genau das zu verhindern. Die Bundesregierung kündigte am Donnerstag an, den ausgehandelten Entwurf so nicht unterzeichnen zu wollen – ebenso wie die EU.
Ein paar Hundert Meter weiter können sie alle sehen, was sich schon jetzt nicht vermeiden lässt: wie aussehen wird, wenn sich die Großstädte in aller Welt in den nächsten Jahrzehnten diese Expo-City zum Vorbild nehmen, um die steigende Hitze auszuhalten. Sonnensegel, Bäume, Schneisen für den Wind. So lässt sich der Klimawandel aushalten. Wenn man das Geld dafür hat. Die sphärischen Klänge sind freilich optional.
Vom anderen Ende des Geländes wehen allerdings ganz andere Töne herüber: „Kick, kick, kick! Kick Polluters out!“, skandiert eine pan-afrikanische Aktivisten-Gruppe auf einer der sieben ausgewiesenen Protestflächen des Geländes: Werft die Verschmutzer raus! Sie fordern, Mineralölkonzerne wie Total & Co. dürften „Afrika nicht vergasen!“ Die Profite fließen in den Norden, den Schaden hat der Süden: durch Klimawandel wie durch zerstörte Natur. In ihren Ländern fehlt das Geld, um sich mit der Erderwärmung einzurichten, ist ihre Botschaft. Nach ein paar Minuten müssen sie die Fläche räumen, die nächste Protesttruppe ist dran.
Es ist die 28. Konferenz der Vertragsstaaten („Conference of the Parties“, kurz COP), die im Wüsten- und Öl-Emirat Dubai gerade auf ihr großes Finale zusteuert. Planmäßig sollte sie an diesem Dienstag mit einer Abschlusserklärung enden, in der sich alle 197 teilnehmenden Staaten zu einem konkreten Weg zur Begrenzung des Klimawandels bekennen. Das Problem: Einstimmigkeit ist dabei Pflicht. Als Ziel steht seit der COP von Paris vor acht Jahren fest, dass die Erderwärmung auf 1,5 bis 2 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit begrenzt werden soll. Danach würden Meereis, Gletscher und Polkappen so stark abschmelzen, dass die Klimafolgen gravierend und nicht mehr umkehrbar wären.
Doch die Verhandlungen in Dubai stocken. Das liegt daran, dass hier nicht nur die Welten der Reichen und Armen aufeinanderprallen. Auch die Gewinner und Verlierer der Ölproduktion müssen sich einigen, die Kohle-Junkies mit den Vorreitern in Wind- und Solarkraft. Große Hoffnung prallen auf starke Beharrungskräfte, und auch dafür steht Dubai sinnbildlich: Wie soll man ein Land, das sich binnen so kurzer Zeit einen so berauschenden Luxus geschaffen hat wie dieses Emirat davon überzeugen, die Finger vom schwarzen Gold zu lassen?
Der Countdown der COP wird vom UN-Generalsekretär höchstpersönlich eingeläutet: Überraschend verkündet Antonio Guterres per Twitter, dass er am Montagmorgen, dem laut Plan vorletzten Tag der Konferenz, nach Dubai zurückkehren und persönlich in die Verhandlungen einsteigen wird. Die kleine Ecke für Medien-Statements in der Lobby des Plenarsaals ist hoffnungslos überlaufen, als er sich nach seiner Ankunft erklären will. Die Staaten müssten sich jetzt zusammenzuraufen – und den fossilen Ausstieg beschließen, fordert er: „Jetzt ist es an der Zeit für maximalen Ehrgeiz und maximale Flexibilität.“
Ob die ganze Konferenz gescheitert sei, wenn sie keinen konkreten Abschied von den Fossilen beschließt, wird er gefragt. Guterres wird kurz zögerlicher. Die COP habe ja verschiedene Aspekte. „Aber“, sagt er wieder lauter, „ein zentraler Baustein für ihren Erfolg ist ein Konsens, dass es einen Ausstieg aus den fossilen Energien geben muss.“ Anders sei das 1,5-Grad-Ziel nicht zu schaffen.
So gab es denn auch keine Abweichler, als bei einem hochrangigen COP-Meeting am Wochenende die Frage im Raum stand, ob sich nach wie vor alle Staaten zum 1,5-Grad-Ziel bekennen, das sie vor acht Jahren in Paris beschlossen hatten. Reihum hatte einer nach dem anderen Ja gesagt: Wenn man so persönlich zusammensitzt wie bei diesen Konferenzen, begibt sich niemand gern in die Rolle des Buhmanns.
COP28: Erster Textvorschlag spricht von Verminderung der Treibhausgabe – nicht vom Verzicht
So drehen sich die Verhandlungen zum großen Finale nun nur noch darum, ob das Ziel auch dann zu schaffen ist, wenn man weiterhin Öl, Gas und Kohle verbrennt. Der UN-Generalsekretär sagt Nein. Aber er kommt den Öl- und Kohlestaaten entgegen: Nicht alle Staaten müssten beim Ausstieg gleich schnell vorgehen. Wichtig sei, weltweit 2050 auf netto null bei klimaschädlichen Emissionen zu kommen. Das eröffnet neue Kompromissmöglichkeiten.
Doch als COP-Präsident Sultan Ahmed al-Dschaber sechs Stunden später auf Basis der Textvorschläge und nach vielen Gesprächen einen Kompromissvorschlag vorlegt, ist nur von Verminderung der Treibhausgabe die Rede – nicht vom Verzicht. So ist schon am frühen Abend klar, dass die nächste Nachtschicht kommt. Schockiert ist davon niemand: „Wir haben unsere bequemen Schuhe an und eine großartige Kaffeemaschine“, sagt EU-Klimakommissar und Chefverhandler Wopke Hoekstra zum Einstieg in die heiße Phase.
Die dramatischen Nachtsitzungen, das Beinahe-Scheitern, das mehrfache Verlängern der Verhandlungen: es gehört alles längst zum Ritual der COPs. Wenn es seit der ersten COP, 1995 in Berlin, Durchbrüche gab, dann stets in den Verlängerungen.
Doch nicht nur der Hauch der Geschichte liegt in Dubais Luft. Die deutsche Chefverhandlerin, Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) merkt das, seit sie am vorigen Freitag ins EU-Verhandlungsteam eingestiegen ist. Zum Beispiel daran, dass sie bislang auf jeder ihrer Pressekonferenzen nicht nur übers Klima, sondern auch über Krieg sprechen musste. Bei ihrem ersten Auftritt zielte darauf sogar die Auftaktfrage der Medien: Wie Baerbock bei den Gesprächen mit arabischen Ministern hier in Dubai auch die humanitäre Lage in Gaza bespreche, wird gefragt. Die Außenministerin bestätigt: Es geht um Hilfslieferungen, Schutzzonen und Feuerpausen, sagt sie.
Zwei Pressekonferenzen später berichtet sie von einem Besuch in einem Dubaier Verteilzentrum des Welternährungsprogramms WFP. Von dort gehe die Hilfe nach Gaza, die durchkomme. Der Bedarf sei riesig, viele Regale leer. Für den Termin am Morgen musste sie aus den COP-Verhandlungen aussteigen. Aber sie könne sich die Krisen nun mal nicht aussuchen, um die sie sich gerade kümmern müsse: „Die Krisen überlappen sich maximal.“ Am späten Abend steigt Baerbock erneut aus den Verhandlungen aus. Sie besucht eine der Hunderten jüdischen Familien in Dubai, um mit ihr Chanukka zu feiern.
Klimakonferenz in Dubai: Russland und Iran kämpfen für Kohle und Öl
Als am Montagabend die COP-Verhandlungen in die Schlussphase treten, geht für Alina Abramenko trotz allem der letzte ganze Tag in Dubai zu Ende. Zwei Wochen lang hat sie auf dem Konferenzgelände den ukrainischen Pavillon mitbetreut - einer von Hunderten Ausstellungsräumen, in denen die Staaten der Welt zeigen, was sie für den Klimaschutz tun.
Bei der Ukraine prangt neben der Nationalflagge ein großes Zitat von Wolodymyr Selenskyj an der Wand: „Unserem Land zu helfen, den Krieg zu beenden, lehrt uns, wie man alle Kriege beendet.“ Die ganze Ausstellung dreht sich um den russischen Angriff: Die Treibhausgase durch die Gefechte, die Umweltverschmutzung durch die Waffen und vor allem die Katastrophe, die der zerstörte Staudamm bei Cherson in diesem Sommer auslöste. Zehntausende verloren ihr Zuhause, Dutzende starben, die Region ist zerstört.
Alina Abramenko hilft am planmäßigen Abschlusstag noch beim Einpacken und fliegt dann zurück nach Kiew. In der Nacht zuvor wurde ihre Heimatstadt erneut von russischen Raketen angegriffen, sie hat von Dubai aus Kontakt zu ihrer Familie gehalten und ohnmächtig gebangt. Hat die Ukraine derzeit nicht andere Sorgen als ihre Klimapolitik? „Unsere Delegation hat im Vorfeld darüber diskutiert“, sagt sie. „Aber als wir uns entschieden haben, den Zusammenhang von Krieg und Naturzerstörung zu thematisieren, waren alle dafür.“
Der russische Pavillon ist zu Fuß fast 20 Minuten entfernt. Zum Krieg findet sich dort kein Wort. Bei Gebäck wird über „Russlands neue Klima-Doktrin“ informiert und „Nuklearkraft für ein besseres Leben“ beworben. Es gehe viel um die Wirtschaft, sagt der Delegierte im Pavillon. Beim Publikum bestehe großes Interesse. Keine weiteren Vorkommnisse.
Von Störungen kann man auch im israelischen Pavillon nichts berichten. Die pro-palästinensischen Demonstrationen spielen sich draußen auf den Protestflächen ab. Es sind nicht wenige, aber hier drinnen merkt man davon nichts. Vor der Tonanlage steht der Chanukka-Leuchter, gegenüber steht ein großes Poster: „Bringt sie heim!“ Es ist der Slogan für die Freilassung der Hamas-Geiseln. Ihre Fotos liegen in einem Ordner dahinter. Am Freitag hat das „Climate Action Network“ Israel wegen des Krieges zum „Fossil des Tages“ gekürt, im Plenarsaal skandierten einmal Hunderte NGO-Vertreter „Waffenruhe jetzt!“
Es ist nicht die erste COP, auf die die Weltlage Schatten wirft. Aber so stark wie in diesem Jahr hat sich Geopolitik und Klimaschutz vielleicht noch nie vermischt. Iran und Russland setzen sich gemeinsam für Kohle und Öl ein. China hat sich etwas bewegt, es will seine nachhaltige Wirtschaft verstärken. Die USA versuchen, den westlichen Alliierten nicht in den Rücken zu fallen, aber gleichzeitig seine Flüssiggas-Industrie zu retten. Annalena Baerbock hat sich lange mit dem amerikanischen Verhandlungsführer John Kerry unterhalten, und davor mit dessen indischem Kollegen. Indien will nun doch für seine Kohleindustrie kämpfen. Es wird noch eine lange Nacht. Mindestens eine.