Verkehrs-Experte Ingo Wortmann im Interview über drohende Einnahmeverluste und Bonitätsprüfungen bei Deutschlandticket-Käufern.
Verkehrs-Experte im InterviewDeutschlandticket vor dem Start – „Wir brauchen bei starker Auslastung höhere Taktungen“
Ab 1. Mai können Fahrgäste mit dem vergünstigten Deutschlandticket fahren. Ingo Wortmann ist Verbandspräsident der Verkehrsunternehmen und stellt im Interview eine Lösung für Kunden mit abgelehnten Bonitätsprüfungen in Aussicht. Außerdem sagt er, wie es mit dem Ticketpreis in Zukunft weitergeht.
Herr Wortmann, am 1. Mai startet das Deutschlandticket. Werden die Bahnen und Busse dann aus allen Nähten platzen?
Davon gehe ich nicht aus. Unsere Abfrage in der Branche nach aktuellen Verkaufszahlen läuft noch. Aber was ich höre ist, dass der Verkauf gut gestartet ist. Die Anzahl der verkauften Tickets wird man natürlich nicht mit den Stückzahlen beim 9-Euro-Ticket vergleichen können, denn dazu sind beide Angebote doch zu unterschiedlich.
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Erwarten Sie, dass viele Menschen dauerhaft vom Auto auf die Bahn umsteigen werden?
Ich rechne beim Deutschlandticket mit einem langsamen, aber stetigen Wachstum, weil die Menschen die Vorteile nach und nach sehen und deswegen umsteigen werden. Das ist anders als beim 9-Euro-Ticket, das zeitlich begrenzt war. Auch Personen, die vermehrt Homeoffice machen, können das Ticket dauerhaft nutzen, weil damit günstig Wochenendausflüge möglich sind.
Mehr Ausflüge am Wochenende, die zusätzliches CO2 ausstoßen, sind nicht besonders gut fürs Klima.
Das Ticket ist eine Chance, die Menschen nachhaltig vom Nahverkehr zu überzeugen. Urlaubsorte wie die Alpenregion in Bayern leiden unter dem Riesenandrang von Autos. Dem können wir mit dem Deutschlandticket begegnen. Wichtig ist, dass das Angebot standhält, damit niemand enttäuscht wird. Dafür brauchen wir bei einer starken Auslastung höhere Taktungen bei den Bahnstrecken und grundsätzlich einen Ausbau des Netzes - das muss finanziert werden.
Welche finanzielle Unterstützung brauchen die Verkehrsunternehmen dafür?
Ein von uns beauftragtes Gutachten von 2019 kommt zu dem Ergebnis, dass die Branche für nötige Angebotsausweitungen allein im Jahr 2030 etwa elf Milliarden Euro zusätzlich benötigt. Dabei geht es unter anderem um Taktverdichtungen, mehr Angebote im ländlichen Raum, die Bereitstellung von erheblich mehr Fahrzeugen und um die Einstellung von Arbeitskräften. Die Abstimmungen von Bund und Ländern müssen bald zu einem Ergebnis kommen, sonst ist die Angebotserweiterung bis 2030 nicht umsetzbar. Dann können wir unseren Beitrag zur Erreichung der Klimaziele nicht in dem Maße leisten wie es eigentlich nötig wäre. Geld ist jedoch nicht das einzige Problem.
Wo sehen Sie noch Herausforderungen?
Deutschland muss bei der Planung und Umsetzung von Verkehrsprojekten viel schneller werden, sonst scheitern wir beim Ausbau an den gesetzlichen Rahmenbedingungen. Zudem erleben wir einen Fachkräftemangel: Es ist sehr schwer, Ingenieurinnen und Ingenieure zu rekrutieren. Insgesamt haben wir in unserem bundesweiten Stellenmarkt aktuell über 3.000 offene Ingenieursstellen bei den Verkehrsunternehmen in Deutschland. Daher ist eine Ausbildungsoffensive für Ingenieure notwendig und mehr duale Studiengänge. Grundsätzlich müssen wir Fachkräfte aus dem Ausland anwerben, auch dafür müssen die gesetzlichen Rahmenbedingungen stimmen.
Viele Verkehrsunternehmen führen bei Erwerb des Deutschlandtickets Bonitätsprüfungen durch. Warum?
Das Deutschlandticket ist ein Abo und damit schließt der Fahrgast einen Vertrag mit uns ab. Mit den Bonitätsprüfungen schützen wir uns als Unternehmen und gehen sicher, dass wir das Geld auch bekommen. Weil das Deutschlandticket aus Finanzmitteln von Bund und Ländern gefördert wird, schützt man damit auch die dafür verwendeten Steuergelder. Wir sorgen dafür, dass die Kundinnen und Kunden mit wenig Geld nicht in eine Kostenfalle hineinlaufen. Die Bonitätsprüfung ist ein faires Instrument für alle Beteiligten.
Das sehen Menschen in einer schwierigen finanziellen Lage sicher anders, die das Ticket dann nicht bekommen. Ist das nicht ungerecht? Immerhin ist das Ticket auch als soziale Entlastung gedacht.
Nein, die Prüfungen gibt es ja beispielsweise auch bei Handyverträgen. Dennoch sehe ich das Problem, dass manche Kunden abgelehnt werden könnten. Für diese Fahrgäste werden wir über andere Lösungen nachdenken müssen, damit sie doch ein Ticket bekommen können, zum Beispiel in dem man per Vorkasse bezahlt. Solche Lösungen müssen auch mit dem Bund und den Ländern konsensfähig sein, denn letztlich zahlen sie einen großen Ausgleichbetrag für das Deutschlandticket aus ihren Haushalten.
Bund und Länder geben drei Milliarden Euro zur Finanzierung des Tickets. Werden die Mittel ausreichen oder wird der Ticketpreis doch später steigen?
Ich bezweifle angesichts der aktuellen und zurückliegenden Kostenentwicklungen, dass die drei Milliarden Euro pro Jahr die kompletten Einnahmeverluste, die durch dieses Tickets entstehen, decken werden. Wobei ich mich gerne vom Gegenteil überraschen lasse. Klar ist, dass wir eine Nachschusspflicht seitens Bund und Länder benötigen, aktuell haben wir die nur für 2023. Die Verkehrsunternehmen sind nicht in der Lage die Mehrkosten selber auszugleichen, sonst müsste das Deutschlandticket dementsprechend teurer werden.
Dann würde sich die soziale Entlastung weiter verringern.
Ob das politisch im Sinne der Entlastung der Bürgerinnen und Bürger gewünscht ist, steht auf einem anderen Blatt. Wir als Branche müssen wirtschaftlich handeln und planen, denn wir müssen unsere Angestellten sowie Energiekosten bezahlen und in das Angebot investieren. Wir benötigen jeden Euro aus den Ticketeinnahmen für den Betrieb.