Eine Polizeistreife in der Düsseldorfer Altstadt (Archivbild)
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Düsseldorf – Das klingt wie eine Kapitulation der Stadtspitze vor der seit Jahren zunehmenden aggressiven Stimmung und den Gewaltausbrüchen in der Düsseldorfer Altstadt.
„Das ist ein Massenphänomen, das schaffen wir nicht mehr allein – weder personell noch von den rechtlichen Voraussetzungen“, klagt Düsseldorfs Oberbürgermeister Stephan Keller (CDU) und richtet sich mit diesem Appell direkt an Innenminister Herbert Reul (CDU). „Wir brauchen eine viel robustere Polizei. Die Eingriffsschwelle muss deutlich niedriger sein. Da müssen wir gemeinsam deutlich früher reingehen.“
Zwei Opfer von Messer-Attacken in Düsseldorfer Altstadt
Der Schock sitzt tief in der Altstadt, seit am Burgplatz Mitte Oktober ein 19-Jähriger durch einen Stich ins Herz tödlich verletzt und nur eine Woche später ein Minderjähriger in unmittelbarer Nähe niedergestochen wurde.
Das – darin sind sich die vier Teilnehmer an der Diskussionsrunde des „Express“ im Apollo-Varieté-Theater am Montagabend einig – ist nur der traurige Höhepunkt zunehmender Randale an der „längsten Theke der Welt“, vor allem an den Wochenenden.
Kerzen am Tatort: In der Düsseldorfer Altstadt wurde Mitte Oktober ein junger Mann mit einem Messer attackiert; kurz danach starb er in einer Klinik.
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Dass der öffentliche Raum vor allem am Rheinufer immer mehr zur Partymeile wird, beobachten Stadtverwaltung, Polizei und Altstadtwirte seit 2017 zunehmend mit Sorge. Dabei gehe es weniger um den Altstadtkern, sondern um den Bereich drumherum, sagt Oberbürgermeister Keller. „Das sind zu 80 Prozent Menschen mit Migrationshintergrund, die von außerhalb nach Düsseldorf kommen, um Theater zu machen und zu provozieren, die keinen Fuß in die Altstadt setzen.“
Reul: „Die Polizei macht sich hier keinen fröhlichen Tag"
Mit diesem Problem stehe Düsseldorf nicht allein da, sagt Innenminister Reul: „Wir hatten das bei der Silvesternacht in Köln, wir haben vergleichbare Probleme in Dortmund.“ Dem Vorwurf, die Polizei greife zu spät und nicht hart genug durch, müsse er aber energisch widersprechen. „Die Polizisten sind nicht hier, um sich einen fröhlichen Tag zu machen. Die greifen ein, die schauen nicht einfach zu. Die Tätergruppen sind nicht alle identisch."
Und es stellten sich viele Fragen: „Woher kriegen sie den Alkoholnachschub? Warum wird heute bei jeder aggressiven Handlung gleich das Messer gezückt?“
Darauf kann Isa Fiedler, seit 23 Jahren Wirtin einer Altstadtkneipe und Sprecherin der rund 300 Altstadtwirte, eindeutige Antworten geben. Den Alkoholnachschub lieferten die Büdchen und ein Supermarkt, die Szene versuche ganz bewusst zu provozieren. „Wir müssen diese Szene vom Nachschub abschneiden“, sagt Fiedler und fordert ein Alkoholverkaufsverbot „an bestimmten Tagen und zu bestimmten Zeiten. Irgendwann ist auch der größte Rucksack mal leer.“
Wirtin: „Verkaufsverbot von Alkohol zu bestimmten Zeiten"
Die Anwesenheit der Polizei sei nicht das Problem. „Die Streifen laufen regelmäßig durch die Altstadt." Sie habe aber beobachtet, dass es vor allem die ortsansässigen Polizisten der Inspektion Mitte seien, „die sofort einschreiten". Bei den Hundertschaften, die von außerhalb kommen, sei das nicht der Fall. Genau das müsse aber geschehen.
„Wir müssen niederschwellig einschreiten", sagt Fiedler. „Das hier sind lauter junge Männer voller Testosteron, die ständig ihre Grenzen austesten. Da muss man schon gegen eine Beamtenbeleidigung vorgehen. Das ist der wesentliche Ansatz."
Anwohnerin: „Es wird alles ausgereizt bis zum Letzten"
Das könne sie nur unterstreichen, sagt Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Altstadt-Anwohnerin und FDP-Bundestagsabgeordnete. „Was sich da seit 2017 entwickelt hat, ist mit Ansage geschehen. Das fängt im Sommer freitags um 17 Uhr an und endet Sonntagabend. Das ist Provokation pur. Diese Gruppen kennen ihre Rechte sehr genau. Es wird alles ausgereizt bis zum Letzten.“
Immerhin sei es gelungen mit ein paar simplen Pollern und Schranken die Autoposer-Szene in den Griff zu bekommen, lobt Strack-Zimmermann. Allerdings erst, nachdem die Alarmstufe Rot gezündet war und sie sich im Sommer zwei Stunden lang auf der Kö austoben konnte, „weil das ja instagramable ist“, räumt Oberbürgermeister Keller ein.
Er könne nur davor warnen, sich allzu große Hoffnungen auf eine schnelle Lösung zu machen, sagt Innenminister Reul. Das Problem sei nicht von heute auf morgen zu lösen. Lösungsansätze gebe es genug, vieles sei auch schon umgesetzt. Eine gemeinsame Anlaufstelle von Polizei und Ordnungsdienst „wie auf der Kölner Domplatte“ sichert Reul zu. Die Videoüberwachung sei bereits ausgebaut worden, aber rechtlich auch problematisch durchzusetzen.
Das Ausleuchten des Rheinufers durch Flutlicht sei ein weiterer Baustein. Messerverbotszonen seien „hochinteressant“, sagt der Innenminister. „Dafür brauchen wir eine Rechtsgrundlage und müssen in jedem Gebiet neu begründen, warum das erforderlich ist. Wir müssen sorgfältig darüber nachdenken, mit welchen Instrumenten man auch eine Wirkung erzielen kann. Sonst sind die Bürger nachher noch mehr enttäuscht“, sagt Reul. Das Allerwichtigste sei, über Jahre dranzubleiben.
OB Keller: „Wir müssen uns diese Räume zurückerobern"
„Wir müssen jetzt Dinge ausprobieren. Auch auf die Gefahr hin, dass wir vielleicht juristisch mal Schiffbruch erleiden“, sagt Oberbürgermeister Keller. Beim Thema Alkoholverkaufsverbot sei man zwar immer wieder von Gerichten zurückgewiesen worden, „weil wir nachweisen mussten, dass bestimmte Gewalttaten auf ein bestimmtes Büdchen zurückzuführen sind. Das ist doch irre. Das schaffen wir nie. Wir brauchen dafür eine gesetzliche Grundlage.“ Und das sei Aufgabe des Landes. „Wir müssen die Städte in die Lage versetzen, das Verkaufsverbot im Bedarfsfall auch durchzusetzen.“
Ein Teil der Strategie müsse sein, dem Abdriften der Altstadt „mit positiven Veranstaltungen etwas entgegenzusetzen“, sagt Keller. „Zum Beispiel durch qualitätsvolle Gastronomie. Das kann auch im öffentlichen Raum funktionieren. Wir müssen uns als Stadtgesellschaft diese Räume zurückerobern.“
Das, ergänzt Reul, sei in Köln am Ebertplatz recht gut gelungen. Mag sein, kann man da als Zuhörer der Talk-Runde denke, doch mit den Problemen, die Düsseldorf in der Altstadt hat, ist das kaum zu vergleichen.