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Infografik

Faktencheck zu ZUE
Nein, der Staat bezahlt nicht Geflüchteten statt Rentnern die neuen Zähne

Lesezeit 8 Minuten
Zwei Frauen in medizinischer Kleidung stehen vor einem Mann und halten ihm Zahnprothesen an den Mund.

Tatsächlich steht im Asylbewerberleistungsgesetz explizit, dass Zahnersatz nur mit absoluter medizinischer Notwendigkeit vom Staat gezahlt wird. (Symbolbild)

Fakten von Populismus zu unterscheiden, ist nicht immer einfach. Wir schauen uns die Zahlen zu Religion, Rente und Zuwanderung ganz genau an.

Ja, Nordrhein-Westfalen nimmt mehr Geflüchtete auf als jedes andere Bundesland in Deutschland. Doch, man kann sich trotzdem noch auf die Straße trauen. Auch als Frau. Auch in Orten, in denen Zentrale Unterbringungseinrichtungen (ZUE) stehen.

Wir überprüfen Vorbehalte zum Thema ZUE in der Region. Unser Faktencheck zeigt Zahlen und Fakten aus Statistiken und ordnet diese ein.

Wir schauen in insgesamt vier Teilen auf Daten für Kriminalität und insbesondere sexualisierte Gewalt, Infrastruktur, Religion und die Rente (in diesem Teil).

„Das sind alles nur junge, muslimische Männer…“

Check: stimmt nur in Teilen

Ein Geflüchteter in Deutschland ist am wahrscheinlichsten ukrainisch, 32 Jahre alt und männlich. Er ist damit deutlich jünger als die deutsche Gesamtbevölkerung: fast 13 Jahre, die Deutschen sind Ende 2023 im Durchschnitt 44,6 Jahre alt. Männlich ist auch nur gerade so wahrscheinlicher als weiblich für diese fiktive Person – 49 Prozent der Schutzsuchenden in Deutschland sind weiblich. Und wenn er nicht aus der Ukraine käme, dann am wahrscheinlichsten aus Syrien, Afghanistan, dem Irak oder der Türkei.

Es stimmt, dass vor allem junge Menschen auf der Flucht nach Deutschland kommen. 2023 wurden 72 Prozent der Erstanträge auf Asyl von einem Menschen unter 30 gestellt, wie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in ihrem jährlichen Bericht auswertet. Das hat viele Gründe. Ein wichtiger: Vor allem junge Menschen machen sich auf den gefahrvollen, manchmal Monate, manchmal Jahre dauernden Weg nach Europa und Deutschland, weil ihre Familien und sie sich die damit verbundenen Strapazen am ehesten zutrauen.

In fast allen Altersgruppen überwiegt außerdem die Zahl der Männer, die neue Asylanträge stellen. Einzige Ausnahme sind Menschen über 60. Fast ein Drittel der neu ankommenden Geflüchteten sind minderjährig. Tatsächlich ist die drittgrößte Altersgruppe unter den Erstanträgen die der ganz jungen Kinder unter 4 Jahren.

In der Statistik zu Asylerstanträgen tauchen Ukrainerinnen und Ukrainer übrigens nicht auf. Ihnen wird nach einem Beschluss des Rats der Europäischen Union besonderer Schutz und damit eine vorübergehende Aufenthaltserlaubnis, aktuell bis März 2026 gewährt. Sie müssen nicht direkt einen Asylantrag stellen, sondern können das auch zu einem späteren Zeitpunkt tun.

Seit der Invasion der Ukraine durch Russland im Februar 2022 sind mindestens 1,6 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer nach Deutschland eingereist, 1,15 Millionen von ihnen sind am Stichtag 31.12.2023 noch hier. Sie sind meistens zwischen 27 und 64 Jahre alt und tendenziell eher weiblich, anders als die meisten anderen Geflüchtetengruppen.

Von 100 Menschen, die 2023 ihren ersten Antrag auf Asyl in Deutschland stellten, waren fast 80 muslimisch, berichtet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Zehn zählten sich zum Christentum, vier gehörten keinem Glauben an. Jeweils etwa ein Antragsteller war jesidisch oder Hindu, die restlichen vier verteilten sich auf andere Religionen.

Insbesondere unter den syrischen Geflüchteten ist der Islam die wichtigste Religion, ebenso für Menschen aus der Türkei oder Somalia. Die meisten christlichen Erstantragssteller kamen 2023 aus Georgien und Eritrea. Die meisten religionslosen Geflüchteten kamen aus dem Iran nach Deutschland.

Weniger als die Hälfte der Deutschen ist Mitglied einer christlichen Kirche

In Deutschland wird die Zugehörigkeit zum Islam sowie zu den meisten Glaubensgemeinschaften abgesehen von der katholischen und evangelischen Kirche nicht standesamtlich erfasst. Es gibt also keine amtlichen Statistiken dazu, Zahlen beziehen sich immer auf Studien, Angaben von Vereinen oder Selbstauskünfte der religiösen Gemeinschaften.

Zahlen der Deutschen Bischofskonferenz und der Evangelischen Kirche in Deutschland sehen die Anteile ihrer Mitglieder an den Deutschen bei jeweils 24 und knapp 22 Prozent – zusammen also etwa 46 Prozent. Die Forschungsgruppe „fowid“ von der Giordano-Bruno-Stiftung geht von fast genauso vielen Religionslosen aus. Auf die restlichen 8 Prozent verteilen sich dann die Gläubigen und Anhängenden aller anderen Glaubensgemeinschaften.


„Der Staat bezahlt denen bereitwillig die Zähne und für die Rentnerinnen und Rentner bleibt nichts übrig“

Check: kaum Zusammenhang

Um diese Aussage – unter anderem getätigt vom Kanzlerkandidat der CDU/CSU, Friedrich Merz – zu überprüfen, gehen wir schrittweise vor. Zunächst: Bekommt man einfach so in Deutschland Asyl? Wenig überraschend ist die Antwort: Es kommt darauf an. Wie zuvor bereits geschrieben, haben etwa Ukrainerinnen und Ukrainer aufgrund des andauernden und akuten Kriegsgeschehens in ihrer Heimat einen besonderen Schutzstatus. Um sich in Deutschland aufhalten zu dürfen, brauchen sie nicht unmittelbar Asyl.

Generell soll das Asylrecht in Deutschland Menschen schützen, die in ihrem Heimatland politisch verfolgt werden. Das heißt, dass ihnen aufgrund ihrer Rasse (im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention), Nationalität, politischen oder religiösen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe (beispielsweise der LGBTQIA-Community) schwere Menschenrechtsverletzungen drohen.

Asyl in Deutschland: Nur wenn es keine Chance auf Schutz in der Heimat gibt

Außerdem ist eine notwendige Bedingung für Asyl in Deutschland, dass es für die Verfolgten in ihrer Heimat keine Fluchtalternative innerhalb des Herkunftslandes gibt. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge schreibt dazu explizit: „Es muss sich vielmehr einerseits um eine gezielte Rechtsgutverletzung handeln, andererseits muss sie in ihrer Intensität darauf gerichtet sein, die Betroffenen aus der Gemeinschaft auszugrenzen.“

Gibt es also nicht-staatliche Organisationen, die beispielsweise Homosexuelle schützen oder Teile des Landes, in denen Minderheiten nicht verfolgt werden, kann ein Asylantrag schon abgelehnt werden.

Es gibt dann die Möglichkeit, trotzdem subsidiären Schutz zu bekommen. Der wird dann gewährt, wenn zwar die Kriterien für Asyl nicht erfüllt sind, aber dem oder der Geflüchteten wahrscheinlich beachtlicher Schaden droht. Beispielsweise, wenn die Todesstrafe auf ihn wartet, oder sie gefoltert werden könnte. Ausgeschlossen wird Schutz für Personen, die in ihrer Heimat schwere Verbrechen begangen haben, die den Grundsätzen der Vereinten Nationen widersprechen, oder die sonst eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellen. Armut, Naturkatastrophen und Bürgerkriege sind übrigens auch keine anerkannten Asylgründe.

Deutschlands Gerichte entscheiden häufiger positiv für Asyl, als im EU-Schnitt

Gewährt Deutschland häufig Asyl? 2023 entschieden die Gerichte in erster Instanz zu 62 Prozent positiv für die Schutzsuchenden. Das ist mehr als der EU-Durchschnitt von 53,1 Prozent, aber nicht der Spitzenwert in Europa.

Sowohl Österreich als auch die Schweiz und Bulgarien schützten einen höheren Anteil an Antragstellern und Antragstellerinnen. Allerdings ist die Asyl-Gesetzgebung in den Ländern nicht einheitlich und somit nicht eins zu eins vergleichbar. 23 Prozent der Entscheidungen deutscher Gerichte über Asylanträge waren Ablehnungen.

Sowohl mit Asyl als auch mit subsidiärem Schutz wird den Geflüchteten der Aufenthalt in Deutschland erst einmal nur für drei Jahre gestattet. Nach fünf Jahren kann die Niederlassung erlaubt werden, wenn zum Beispiel nachgewiesen wird, dass eine Geflüchtete ihren Lebensunterhalt finanziert und gutes Deutsch spricht.

Asylbewerber in ZUE dürfen per Gesetz nicht arbeiten gehen

Bei beiden Schutzformen ist prinzipiell gestattet, dass die Menschen arbeiten gehen und selbst Geld verdienen – aber erst, wenn ihr Verfahren abgeschlossen und ihr Schutzstatus geklärt ist. Das dauert in Deutschland im Durchschnitt fast 19 Monate, also etwas mehr als eineinhalb Jahre. 11,9 Prozent der Verfahren dauern aus verschiedenen Gründen mehr als vier Jahre, erklärt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.

Das Asyl-Gesetz legt fest: „Für die Dauer der Pflicht, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, darf der Ausländer keine Erwerbstätigkeit ausüben.“ (§ 61). Geflüchtete sind verpflichtet, bis zu einer Entscheidung der Gerichte in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, maximal aber 18 Monate.

Mindestens in den ersten Monaten, eventuell sogar in den ersten Jahren haben Geflüchtete in Deutschland also keine andere Möglichkeit, außer sich auf die Grundsicherung des Staats zu verlassen. Erst wenn Schutzsuchende außerhalb der Unterkünfte leben, können Leistungen für den Lebensunterhalt vollständig in Geld ausgezahlt werden. Das letzte Wort darüber, wie Leistungen ausgegeben werden, haben die Länder und Kommunen.

NRW gibt 2023 sechs Milliarden Euro für Asylbewerberleistungen aus

2023 bekamen rund 523.000 Geflüchtete in Deutschland Asylbewerberleistungen. Der Staat gab dafür insgesamt sechs Milliarden Euro aus – das sind 2,9 Prozent weniger als im Vorjahr, obwohl die Zahl der Leistungsempfangenden steigt. Zu mehr als drei Vierteln floss dieses Geld in die Regelleistungen, also Leistungen für Unterkunft, Ernährung und Lebensunterhalt. Das berichtet das Statistische Bundesamt.

Geflüchtete, die Leistungen beziehen, müssen diese übrigens zurückzahlen, wenn es in der Familie beispielsweise Vermögen gibt, das in gleichem Maße die Grundbedürfnisse sichern kann. Im Jahr 2023 nahm der Staat so 308,8 Millionen Euro wieder ein.

Gesetzgeber legt fest: Zahnersatz für Geflüchtete nur, wenn unaufschiebbar

Aber sind da denn nun die Zähne mit inbegriffen? Das Asylbewerber-Leistungsgesetz adressiert das konkret: „Eine Versorgung mit Zahnersatz erfolgt nur, soweit dies im Einzelfall aus medizinischen Gründen unaufschiebbar ist.“ (§4) Generell sollen Geflüchtete natürlich notwendige medizinische Versorgung bekommen, so wie sie jedem und jeder in Deutschland zusteht.

Gibt der Staat trotzdem mehr Geld für Geflüchtete als für Rentnerinnen und Rentner aus? Während Altersarmut ein großes und relevantes Thema ist, hängt das Risiko für den oder die Einzelnen von einigen Faktoren ab – beispielsweise unbezahlte Care-Arbeit von Frauen.

Generell gab das Land NRW 2023 1,13 Milliarden Euro für Asylbewerberleistungen aus. Und rund 2,54 Milliarden Euro für Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, wie der Landesbetrieb IT.NRW mitteilt. Unter den 184.205 Personen, die diese Leistung empfingen, waren 120.740 Deutsche. Angenommen, alle Rentnerinnen und Rentner bekämen gleichviel Geld vom Staat, gab NRW 1,66 Milliarden Euro für die Grundsicherung Deutscher aus. Mehr als 50 Millionen Euro mehr, als für die Asylbewerberleistungen.

Der Betrag, den NRW für die Asylbewerberleistungen ausgibt, macht 44,5 Prozent dessen aus, was das Land für die Grundsicherung im Alter nur von Deutschen ausgibt. Andersherum gerechnet: Auf jeden Grundsicherungsempfänger in NRW kommen mehr als 5 Empfänger von Asylbewerberleistungen. Auf jeden Euro, den NRW für die Asylbewerberleistungen ausgibt, kommen 2,25 Euro für die Grundsicherung im Alter – mehr als das Doppelte.