Fakten von Populismus zu unterscheiden, ist nicht immer einfach. Wir schauen uns die Zahlen zu Versorgung, Infrastruktur und Zuwanderung ganz genau an.
Faktencheck zu ZUENein, unser Trinkwasser wird nicht knapp wegen der Geflüchteten
Ja, Nordrhein-Westfalen nimmt mehr Geflüchtete auf als jedes andere Bundesland in Deutschland. Doch, man kann sich trotzdem noch auf die Straße trauen. Auch als Frau. Auch in Orten, in denen Zentrale Unterbringungseinrichtungen des Landes (ZUE) stehen.
Wir überprüfen Vorbehalte zum Thema ZUE in der Region. Unser Faktencheck zeigt Zahlen und Fakten aus Statistiken und ordnet diese ein.
Wir schauen in insgesamt vier Teilen auf Daten für Kriminalität und insbesondere sexualisierte Gewalt, Infrastruktur (in diesem Teil), Religion und die Rente.
„Da werden hunderte Leute untergebracht, mehr als Einwohnende im Ort“
Check: teilweise korrekt, aber nicht im Verhältnis
Es stimmt, NRW nimmt mehr Geflüchtete auf als jedes andere Bundesland. Etwa ein Fünftel der Schutzsuchenden werden nach NRW geschickt. Ist dementsprechend die Dichte an Geflüchteten pro Einwohnenden hier auch am höchsten? Absolut nicht. Den größten Anteil an anerkannten Schutzsuchenden hat Bremen, dort machen sie 5,5 Prozent der Bevölkerung aus. Das hat das Statistische Bundesamt für das Jahr 2023 errechnet.
Es folgen Hamburg und Berlin mit je etwa 4 Prozent und das Saarland mit 4,6 Prozent. NRW liegt mit 3,5 Prozent im Mittelfeld, den niedrigsten Anteil an Geflüchteten in der Bevölkerung haben Brandenburg, Bayern und Mecklenburg-Vorpommern mit jeweils um die 2 Prozent.
Die Grundlage dafür, welches Bundesland wie viele Geflüchtete aufnehmen soll, ist der Königsteiner Schlüssel. Er geht zurück auf das Staatsabkommen der westdeutschen Bundesländer vom 31. März 1949, benannt nach dem Tagungsort: Königstein im Taunus. Der Schlüssel ist eine Berechnung, die unter anderem auch entscheidet, wie sich die Länder an Projekten des Bundes finanziell beteiligen müssen. Der Schlüssel wird jedes Jahr neu berechnet und orientiert sich an Steueraufkommen und Bevölkerungszahl.
NRW betreibt 29 Zentrale Unterbringungseinrichtungen (ZUE)
Bisher gibt es im Land 29 Zentrale Unterbringungseinrichtungen, die jeweils für 160 bis 1200 Personen ausgelegt sind. Das erklärt der Flüchtlingsrat NRW. Kommen Geflüchtete ins Land, müssen sie zunächst in der Landeserstaufnahmeeinrichtung in Bochum registriert werden. Anschließend werden die Menschen in Erstaufnahmeeinrichtungen oder eben Zentralen Unterbringungseinrichtungen untergebracht. Das genaue Verfahren erklärt die Bezirksregierung Köln auf ihren Internetseiten.
Dabei soll auf eine gleichmäßige Verteilung geachtet werden. Das einzig persönliche Merkmal der Geflüchteten, das mit einbezogen wird, sind Verwandtschaften, damit zum Beispiel Geschwister zusammen untergebracht werden können. Es gibt, so die Bezirksregierung, keinen Rechtsanspruch auf die Zuweisung in eine bestimmte Kommune in NRW.
In der Region kommen vier Geflüchtete auf 100 Bürgerinnen und Bürger
In der Region in und um Köln liegt der Anteil von Geflüchteten in der Bevölkerung geringfügig über dem NRW-Schnitt. Hier sind von 100 Menschen fast vier geflüchtet (3,9 Prozent). Knapp ein Prozent von ihnen kommen aus Syrien, etwas mehr als ein Prozent aus der Ukraine. Diese beiden Gruppen zusammen machen fast die Hälfte der Geflüchteten in der Region aus.
Zum Vergleich mit einer anderen Bevölkerungsgruppe: Einer Studie des Marktforschungsunternehmen „Ipsos“ zufolge, identifizieren sich mehr als doppelt so viele Menschen als Teil der LGBTQIA-Bewegung. Statistisch leben dementsprechend mehr homosexuelle Männer und Frauen in der Region, als Geflüchtete.
Geflüchtete in ZUE in Frechen und Niederkassel machen weniger als ein Prozent aus
Insbesondere wegen der ZUE in den Orten Frechen im Rhein-Erft-Kreis und Niederkassel im Rhein-Sieg-Kreis wurde in der jüngsten Vergangenheit diskutiert. Die ZUE in Frechen Königsdorf soll bis zu 300 Geflüchtete beherbergen können, die in Niederkassel Uckendorf bis zu 350.
Sowohl für Frechen, als auch für Niederkassel macht das weniger als ein Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Königsdorf würde um 2,5 Prozent wachsen. Uckendorf – der Ortsteil, der der in Niederkassel geplanten ZUE nahe liegt – ist allerdings deutlich kleiner. Hier macht eine voll belegte ZUE etwa ein Drittel der Bevölkerung aus.
2023 leben 3.117.975 Geflüchtete in Deutschland, der Großteil davon mit anerkanntem Schutzstatus. 189.420 Menschen, deren Schutzgesuch abgelehnt wurde, zählt das Ausländerzentralregister zum Stichtag 31. Dezember 2023 im Land. Von 100 Geflüchteten, die sich in Deutschland aufhalten, warten also zunächst 6 auf ihre Abschiebung, müssen das Land verlassen oder bekommen keinen Schutzstatus.
Unter denjenigen, die Schutz in Form von Asyl oder subsidiären Schutz bekommen sollen, sind die allermeisten aus der Ukraine, Syrien, Afghanistan oder dem Irak. Die Summe der Geflüchteten aus diesen Ländern macht zusammen drei Viertel der Schutzsuchenden mit anerkanntem Schutzstatus aus. Unter diesen Anerkennungen sind die allermeisten allerdings befristet - 87 Prozent, oder 2,2 Millionen. Nur etwa 340.000 Personen, die in Deutschland leben, haben einen unbefristeten Schutzstatus.
„Unsere Versorgung ist nicht mehr gesichert, mit so vielen Menschen: Einzelhandel, Wasser, Infrastruktur“
Check: stimmt nicht.
Wir haben alle Kommunen aus der Region, in denen ZUEs stehen, gefragt, ob sie Versorgungsengpässe hatten. In allen ist die eindeutige Antwort: Nein.
Insbesondere zur Wasserversorgung sind Sorgen unbegründet. Deutschland nutzt jährlich rund 12 Prozent des neu gebildeten Grundwassers – industrielle Nutzung inklusive. Das erklärt das Umweltbundesamt. Damit sind wir weit davon entfernt, dass das Trinkwasser knapp wird. Zumal dieses Trinkwasser nicht nur aus Grundwasserbrunnen, sondern gerade im Rheinland auch aus Rheinuferfiltrat und darüber hinaus aus Talsperren gewonnen wird.
Auch Engpässe im Einzelhandel oder sonstiger Stress auf der Infrastruktur in den Orten ist den Kommunen nicht bekannt. In Schleiden habe man eine Bushaltestelle zur Optimierung vor der ZUE eingerichtet, schreibt eine Sprecherin. Sonst sei aber nichts aufgefallen.
„Kommunen müssen sehr viel Geld allein für Security ausgeben“
Check: fast vollständig falsch.
Die Zentralen Unterbringungseinrichtungen werden vom Land betrieben. Den Kommunen entstehen keinerlei Kosten im Zusammenhang mit den Einrichtungen, auch nicht für den Sicherheitsdienst. Das bestätigen unter anderem die Städte Sankt Augustin und Schleiden. Für Schleiden erklärt eine Sprecherin, es blieben „nur“ die Personalkosten für etwaige Ordnungsamtseinsätze im Zusammenhang mit der ZUE“ bei der Stadt.
Das Ordnungsamt sei mehrfach in der Unterkunft im Einsatz gewesen, so die Sprecherin weiter. Bewohnerinnen und Bewohner hätten krankheitsbedingt sich selbst und andere gefährdet und mussten entsprechend untergebracht werden. Und weiter: „Dies überrascht jedoch nicht, da viele Geflüchtete traumatische Erlebnisse nur unzureichend verarbeiten können.“
Nicht jedes Mal rückt die Feuerwehr allerdings umsonst an. Im November vergangenen Jahres wurde ein 35-Jähriger verhaftet, nachdem er ein Feuer gelegt haben soll. Der Mann hatte die Unterkunft angezündet, als andere Bewohnerinnen und Bewohner noch schliefen. Unter anderem deswegen ist er neben Brandstiftung auch wegen versuchten Mordes angeklagt.
ZUE Schleiden berichtet von außergewöhnlich vielen Fehl-Feueralarmen
Als ein „großes Übel“ bezeichnet die Sprecherin die häufigen Fehlalarme der Brandmeldeanlage. Seit Bestehen der Unterkunft habe es 87 Alarme gegeben. 2014 wurde 10 Mal die Feuerwehr gerufen, in nur zwei Fällen habe es auch tatsächlich gebrannt. Darüber, ob die Fehlalarme jedes Mal absichtlich ausgelöst wurden, will die Stadtsprecherin nicht spekulieren.
Es habe inzwischen eine gemeinsame Runde mit unter anderem Bürgermeister Ingo Pfennings, auch Vorsitzender der freiwilligen Feuerwehr Schleidens, Bezirksregierung, Sicherheitsdienst und Polizei gegeben. Man habe eine „deutliche Verbesserung“ bei den Fehlalarmen festgestellt. 2022 war 22 Mal die Feuerwehr gerufen worden, 2023 16 Mal und im vergangenen Jahr nur noch 10 Mal. Ordnungsamt und Feuerwehreinsätze zahlt die Kommune.
Sicherheitsdienste in ZUE: Vom Land bezahlt, dürfen keine Waffen tragen
In jeder ZUE wird außerdem Sicherheitspersonal eingesetzt. Die Bezirksregierung Köln sieht für Unterkünfte mit Kapazitäten für bis zu 400 Personen vor, dass durchgängig (also sowohl 365 Tage im Jahr, als auch 24 Stunden am Tag) vier Sicherheitsleute anwesend sein müssen. Pro 100 Bewohnerinnen und Bewohner eine Sicherheitskraft mehr, bis zu Belegungszahlen über 1100, dann eine zusätzliche Person pro 50 Geflüchtete.
Geflüchteteneinrichtungen sollen von den Sicherheitsdiensten gegen „Eindringen und Übergriffe von außen“ geschützt werden, außerdem sollen die Kräfte auch bei internen Streits und Konflikten eingreifen. Die Regierung macht auch klar: Sicherheitsfirmen haben keine polizeilichen Befugnisse. Sie dürfen weder Schuss- noch Schlagwaffen tragen. Der Tarifvertrag für Sicherheitsdienste in NRW der Gewerkschaft Verdi fordert für Pfortendienste und die Sicherung sonstiger Einrichtungen 13,90 bis 15,09 Euro pro Stunde Lohn.
„Die Leute vandalisieren und vermüllen den Ort“
Check: stimmt nicht.
Auch hierzu haben wir alle Städte und Kommunen mit ZUE in der Region angefragt. Keine bestätigt höhere Ausgaben für Müllentsorgung oder das Beseitigen von Vandalismus-Schäden. Die Stadt Schleiden antwortet: „Schäden aufgrund von Vandalismus durch Bewohnerinnen und Bewohner der ZUE außerhalb der Anlage sind [...] nicht bekannt.“
Ein Sprecher für die Stadt Sankt Augustin bestätigt auch: „Besondere Auffälligkeiten durch Vandalismusschäden oder ähnliches im öffentlichen, städtischen Bereich sind nicht zu verzeichnen.“ Es sei aber auch ohnehin schwer, einzelne Schäden oder Graffitis konkret zuzuordnen.