Fakten von Populismus zu unterscheiden, ist nicht immer einfach. Wir schauen uns die Zahlen zu Kriminalität und Zuwanderung ganz genau an.
FaktencheckNein, die Kriminalität im Ort steigt nicht, nur weil eine ZUE eröffnet
Ja, Nordrhein-Westfalen nimmt mehr Geflüchtete auf als jedes andere Bundesland in Deutschland. Doch, man kann sich trotzdem noch auf die Straße trauen. Auch als Frau. Auch in Orten, in denen Zentrale Unterbringungseinrichtungen (ZUE) stehen.
Wir überprüfen Vorbehalte zum Thema ZUE in der Region. Unser Faktencheck zeigt Zahlen und Fakten aus Statistiken und ordnet diese ein.
Wir schauen in insgesamt vier Teilen auf Daten für Kriminalität (in diesem Teil) und insbesondere sexualisierte Gewalt, Infrastruktur, Religion und die Rente.
„Die Kriminalität im Ort steigt massiv...“
Check: stimmt nicht.
„Nach Aussagen und Erfahrungen der Polizei ist tatsächlich keine Straftathäufigkeit rund um die Flüchtlingsunterkünfte zu beobachten. Insgesamt ist auch die Kriminalitätslage in den Flüchtlingseinrichtungen nahezu gänzlich unauffällig“, schreibt die Bezirksregierung Köln zu dieser Hypothese. Deckt sich das mit den Fakten?
Blicken wir in die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) – eine Quelle, die wir noch häufiger nutzen werden. In der Region um Köln sind aktuell vier ZUE in Betrieb: In Bonn Bad Godesberg (seit 2014), Sankt Augustin und der Stadt Euskirchen (beide seit 2015), sowie in Schleiden (seit 2018). Die folgende Grafik zeigt die Entwicklung des kriminellen Geschehens in den jeweiligen Kreisen seit 2013:
Die Eröffnung der Einrichtungen hat, wie klar zu sehen ist, keinen Einfluss darauf, wie viel Gewalt die Polizei in den Kreisen registriert. Diese Zahl, oben in Rot dargestellt, bleibt in Rhein-Sieg und Euskirchen gleich für die betreffenden Jahre. In Bonn steigen die Gewalttaten zwar, aber im zweistelligen Bereich. Insgesamt ist der Trend bis zu den Pandemiejahren überall rückläufig.
Hat die Region vielleicht nur Glück und bundesweit sieht das Bild anders aus? Das Bundeskriminalamt schreibt in einem 2023 herausgegebenen Papier mit dem Titel „Kriminalität im Kontext von Zuwanderung“, dass die gestiegenen Geflüchtetenzahlen in Deutschland durchaus mit mehr Tatverdächtigen aus dieser Gruppe korreliere. Außerdem würden auch mehr Geflüchtete Opfer von Straftaten.
Haben wir eine halbe Million gewalttätige Geflüchtete? Nein!
402.514 Zuwanderinnen und Zuwanderer zählt die PKS als Tatverdächtige für eine Straftat in 2023. Heißt das, wir haben 2023 fast eine halbe Million gefährliche, gewalttätige Geflüchtete in Deutschland? Nein! Zunächst: 56 Prozent dieser Gruppe zählt als Tatverdächtige, weil sie gegen Ausländerrecht verstoßen haben sollen.
Das kann also die illegale Einreise bezeichnen, oder Verstöße gegen die räumliche Beschränkung des Aufenthalts. Bleiben noch 178.581 Menschen, die die Polizei für andere Straftaten verdächtigt. Verdächtigt ist hier das wichtige Stichwort, denn die PKS bezeichnet stets nur genau das: einen Verdacht.
Polizeiliche Kriminalitätsstatistik kann nichts über Urteile aussagen
Während die Statistik eine wichtige Quelle dafür ist, wie häufig bestimmte Verbrechen zur Anzeige gebracht werden, kann sie nichts über die Täterinnen und Täter aussagen. Im Rechtsstaat Deutschland ist man unschuldig bis zum Beweis der Schuld. Zu dem Zeitpunkt, an dem die Polizei ihre Daten sammelt, um daraus die Statistik zu generieren, hat noch kein Richter und keine Richterin über die tatsächliche Schuld der Verdächtigen entschieden.
Natürlich gibt es auch Statistiken zu verurteilten Straftätern und Straftäterinnen in der Bundesrepublik. Könnte man dann also einfach die Verdächtigenzahlen für beispielsweise 2015 mit den Verurteiltenzahlen für das gleiche Jahr vergleichen? Nein, nicht problemlos.
Geht beispielsweise im November eine Anzeige bei der Polizei ein, ist es durchaus möglich, dass noch im gleichen Jahr ein Tatverdächtiger ermittelt wird. Dass das Gerichtsverfahren aber noch im selben Jahr abgeschlossen wird, ist unwahrscheinlich. Eine Verlaufsstatistik, die jeden einzelnen Fall durch die Instanzen verfolgt und aufzeichnet, gibt es nicht. Um beide Kategorien trotzdem vergleichen zu können, haben wir uns in beiden Statistiken die Entwicklung über zehn Jahre zwischen 2012 und 2022 angesehen.
Mit einem Durchschnittswert für beides ergibt sich eine Verurteilungsquote von etwa 26,5 Prozent. Das heißt, etwas mehr als jeder oder jede vierte Tatverdächtige wird auch tatsächlich verurteilt. 178.581 Zuwanderinnen und Zuwanderer werden 2023 von der Polizei für eine Straftat außerhalb des Ausländerrechts verdächtigt. Wenn rund ein Viertel von ihnen tatsächlich verurteilt werden, sind das etwa 47.300 kriminelle Personen. Weit entfernt von fast einer halben Million.
Übrigens: Die Verurteilungsquote, wenn man sie wie hier berechnen will, ist etwas höher für Deutsche als für Nicht-Deutsche (im Sinne der Statistik: Menschen, die nicht die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen). Der Unterschied macht nur zwei Prozentpunkte aus: Der Anteil der deutschen Tatverdächtigen, die von den Gerichten für schuldig gesprochen werden, liegt bei 27 Prozent, für Nicht-Deutsche bei 25 Prozent.
Deutsche und Nicht-Deutsche im Land haben unterschiedliche Demografie
Die Gruppe der Menschen, die auf der Flucht aus ihrem Heimatland nach Deutschland kommen, ist natürlich ganz anders demografisch zusammengesetzt als die Deutschen, die ihr ganzes Leben in diesem friedlichen Land leben. Besonders deutlich sind die Unterschiede in der Altersstruktur und dem Geschlechterverhältnis zwischen der Deutschen und Nicht-Deutschen Bevölkerung.
Ein Gedankenexperiment: Stellen wir uns vor, die Altersstruktur der deutschen Bevölkerung wäre identisch mit der der nicht-deutschen. Wie würde sich das auf die Kriminalstatistik auswirken? Ausgehend von den Zahlen von 2023 gäbe es in diesem Fall mehr Tatverdächtige, aber weniger Verurteilungen.
Mehr Männer, mehr Straftaten
Das deutet darauf hin, dass der höhere Anteil von verurteilten Straftätern unter Nicht-Deutschen nicht allein durch die Altersstruktur erklärt werden kann. Wenn eine jüngere Bevölkerungsstruktur dazu führt, dass der Unterschied zwischen Tatverdächtigen und Verurteilten größer wird, zeigt das vor allem eines: Junge Menschen werden überdurchschnittlich häufig verdächtigt, ohne dass Gerichte diese Vorwürfe bestätigen.
In der Tat ist die Diskrepanz zwischen Verdacht und Urteil sowohl bei Deutschen, als auch bei den Nicht-Deutschen in einer Altersgruppe besonders groß: fünf Prozent der jugendlichen Deutschen zwischen 14 und 18 Jahren wurden 2023 von der Polizei einer Straftat verdächtigt, aber nur 0,5 Prozent auch verurteilt. Bei den Nicht-Deutschen Jugendlichen gehen die Zahlen sogar noch weiter auseinander: elf Prozent tauchen in der PKS als Tatverdächtige auf, aber nur ein Prozent wird von einem Gericht für eine Straftat schuldig gesprochen.
Auch das Geschlechterverhältnis hat Einfluss auf die Kriminalität: Gäbe es unter den Deutschen genauso viele Männer wie unter den Nicht-Deutschen in Deutschland, sähen wir sowohl mehr Tatverdächtigungen, als auch mehr Verurteilungen.