Die Flut-Katastrophe ist jetzt acht Wochen her. Welche Sofortmaßnahmen sind nach den Erfahrungen vom August jetzt einzuleiten?
Heinen-Esser: Das nächste Hochwasser kann schneller kommen, als uns lieb ist. Deswegen müssen wir jetzt Tempo machen, um bei künftigen Gefahrenlagen schneller zu werden. Der zentrale Punkt ist, dass wir Wettervorhersagen und die Prognosen von Hochwässern enger verzahnen müssen. Bislang können wir oftmals erst dann gezielt warnen, wenn die Pegel schon bedrohlich angestiegen sind. Wir müssen die Prognosetools verbessern, um so früh und genau wie möglich vorhersagen zu können, wann und wo Hochwasser droht. Jede gewonnene Minute kann helfen, Leben zu retten.
Zeit können wir durch zusätzliche Pegel und genauere Modelle gewinnen. Nehmen wir die Bodenfeuchte: Wir brauchen an allen Flussläufen Messstationen, die uns Informationen über den Zustand der Böden liefern. Die Feuchtigkeit der Böden wurde bislang als Parameter bei der Berechnung der Hochwassergefahr nicht ausreichend berücksichtigt. Das Juli-Hochwasser hat es in Nordrhein-Westfalen noch nie gegeben. Es hat sich teils auch deshalb mit einer so gefährlichen Wucht entwickelt, weil die Böden den Starkregen durch die Regenfälle in den Vorwochen nicht mehr aufnehmen konnten. Neben dem Bau von neuen Messstationen müssen wir aber auch Meldewege schneller und weniger störungsanfällig machen.
Nach unseren bisherigen Analysen haben die Meldeketten grundsätzlich funktioniert. Aber jede Bezirksregierung hat eigene Richtlinien für den Aufbau der Meldewege an die Leitstellen in den Kreisen und Städten. In Leverkusen oder Solingen ist zum Beispiel der Wupperverband für die Warnung an die Kommunen zuständig. Ich möchte die Meldeordnungen jetzt landesweit vereinheitlichen. Wir müssen alle Kommunikationswege nutzen, damit Warnungen der Bezirksregierungen unmittelbar bei den verantwortlichen Mitarbeitern in den Kommunen ankommen. Wir können uns auch nicht darauf verlassen, Mitarbeiter über Handy zu erreichen, da es vorkommt, das Funkmasten ausfallen. Ein qualitativ verbessertes Meldewesen soll den Hochwasserschutz auf ein neues Niveau heben.
Neue Prognosesysteme für alle Flüsse
Wann soll die neue Struktur einsatzbereit sein?
Mein Ziel ist es, dass wir in spätestens einem Jahr verbesserte Prognose-Tools haben und auch die Meldewege weitgehend vereinheitlicht sind. Am Rhein können wir mit bestehenden Hochwasservorhersagesystemen Wasserstand und Abfluss sehr genau prognostizieren. Wir müssen auch an den kleinen Flüssen zu längeren Vorwarnzeiten kommen. Da steigt das Hochwasser oft extrem schnell. Der Deutsche Wetterdienst arbeitet an Projekten zur verbesserten Vorhersage von Sturzfluten. Beim Landesumweltamt ist bereits ein Tool im Testbetrieb, das verbessere Prognosen an Flüssen ermöglichen soll. Mein Ziel ist es, dass wir den Menschen mehr Zeit geben können, um sich selbst und ihr Hab und Gut in Sicherheit bringen zu können.
Brauchen wir mehr Talsperren für den Hochwasserschutz?
Nein, das glaube ich nicht. Nötig ist vielmehr, beim Wassermanagement den Klimawandel noch stärker zu berücksichtigen. Der Klimawandel kann sowohl Trockenzeiten als auch Starkregen bringen. Die Talsperrenbetreiber müssen sich darauf einstellen, dass es auch im Sommer Hochwasser geben kann. In den zurückliegenden Trockenjahren galt es als Ziel, möglichst viel Wasser zu horten. Das hat dazu geführt, dass die Talsperren vor dem Juli-Hochwasser gut gefüllt waren. In der Folge fehlten teils Kapazitäten, um die massiven Niederschläge aufzufangen.
Staatsanwaltschaft ermittelt
Am Unterlauf der Wuppertalsperre sind Milliardenschäden entstanden. Erwarten Sie, dass das Missmanagement bei den Wasserverbänden personelle Konsequenzen hat?
Mit den Betreibern der Talsperren, Wasserverbände und Kommunen erfolgt derzeit eine detaillierte Aufarbeitung. Zudem ermittelt die Staatsanwaltschaft. Generell müssen wir das bisherige Talsperrenmanagement auf die Anforderungen des Klimawandels überprüfen.
Die Klimawandel sorgt für neue Aufgaben in der der öffentlichen Verwaltung. Mitarbeiter, die für die Wasserwirtschaft zuständig sind, kann man aber in den Kommunen zum Teil an einer Hand abzählen…
Das ist ein großes Problem. Wenn es um praktischen Hochwasserschutz geht, können sie keinen Juristen gebrauchen. Da werden Techniker und Ingenieure und qualifizierter Nachwuchs benötigt. Die Leistungsfähigkeit der Wasserwirtschaft ist nicht selbstverständlich und auch kein Selbstläufer. Wir müssen jetzt dafür werben, dass an den Hochschulen mehr Wasserwirtschaftler ausgebildet werden. Das ist ein Job mit echter Zukunftsperspektive. Nicht nur wegen der Hochwasser-Thematik. Auch lange Perioden der Trockenheit stellen uns vor große Herausforderungen.
Neubau nur mit Schutzmaßnahmen
Würden Sie als Eigentümerin ein zerstörtes Haus an gleicher Stelle wieder aufbauen?
Eine schwierige Frage. Das muss sich jeder gut überlegen. Ich würde den Wiederaufbau auf jeden Fall mit Hochwasserschutzmaßnahmen am Gebäude flankieren. In der Vergangenheit war es attraktiv, an einem Fluss zu leben. Ich könnte mir vorstellen, dass viele Menschen bei der Beurteilung von Wohnlagen künftig auch die Sicherheitsaspekte stärker mit in Erwägung ziehen.
Ein Grund für die Hochwasserfahr ist die zunehmende Flächenversiegelung. Planen Sie, den Neubau von Wohnsiedlungen und Gewerbegebieten zu stoppen?
Aktuell kommen pro Tag durchschnittlich 8,1 Hektar Siedlungs- und Verkehrsfläche hinzu. Die Chancen, Flächenverbrauch zu stoppen, sind noch lange nicht ausgereizt. Unser ressortübergreifendes Flächensparprogramm wird dazu beitragen, den Flächenverbrauch zu reduzieren. Wenn man zum Beispiel auf der grünen Wiese einen Baumarkt errichtet, kann man für die Autos eine Tiefgarage bauen, anstatt Parkplätze vor der Tür zu schaffen, durch dien eine riesige Fläche versiegelt wird.
Kandidatur für den Landtag
Die Bilder vom Einsturz der Kiesgrube in Blessem sind um die Welt gegangen. Werden künftig noch Kiesgruben in Hochwassergebieten genehmigt werden können?
Das wird derzeit genau geprüft. Man kann sich sicher sein, dass sich die zuständigen Behörden laufende Genehmigungsverfahren für Kiesgruben, die in von Hochwasser bedrohten Gebieten errichtet werden sollen, sehr kritisch anschauen werden.
Wie groß ist die Gefahr, dass der U-Ausschuss zur Flut die schwarz-gelbe Regierung vor der Landtagswahl in Bedrängnis bringt?
Alle haben ein hohes Interesse an Aufklärung. Wir müssen die Hochwasserkatastrophe offen und transparent aufarbeiten. Und das tun wir. Ich scheue es nicht, wenn Pannen und Probleme aufgedeckt werden. Nur so können wir gemeinsam besser werden.
Sie wollen für den Landtag kandidieren. Haben Sie Angst, ihr Amt als Umweltministerin nach der Landtagswahl zu verlieren?
Ich möchte sehr gerne Ministerin bleiben. Ich fühle mich wohl in der Landespolitik. Ein Mandat gäbe mir die Möglichkeit, mich noch stärker für die Belange von Köln zu engagieren. Diese Chance würde ich gerne nutzen.