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„Für euch ist Jagdzeit angesagt“Rocker greifen in Köln mit Brutalität nach der Macht

Lesezeit 6 Minuten
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Einschusslöcher in einer Glasscheibe vor einer Spielhalle im Köln-Buchheim nach einer Schießerei Anfang 2019.

  1. Schüsse aus fahrenden Autos, tödliche Messerstiche: Zwischen Rockergruppen wird Gewalt mit Gewalt vergolten.
  2. Die Revierkämpfe in NRW halten an. Gerade in Köln wird mit Brutalität nach der Macht gegriffen.
  3. Dabei sitzt der Rocker-Nachwuchs längst nicht mehr auf dem Zweirad, sondern in getunten Luxuskarren. Erschütternde Einblicke in die Szene.

Köln – Der Post auf dem Facebook-Account war eindeutig. Nachdem Angreifer einen 63-jährigen Rocker der Freeway-Riders-Motorcycle-Gang in der Nähe seines Vereinsheims in Gelsenkirchen erstochen hatten, drohte die Gegenseite den Tätern mit Vergeltung für den Tod ihres Kumpels: „63, ein stolzes Alter und von Ratten genommen … für euch ist jetzt Jagdzeit angesagt ihr Hunde“, schrieb ein Kuttenträger an jenem 13. Oktober 2018.

Bereits kurz nach dem gewaltsamen Tod von Johannes R. schien in der Rockerszene die Nachricht rund zu sein, wer hinter der Messerattacke stecken könnte. In abgehörten Telefonaten machten führende Freeway-Rider die rivalisierende Rocker-Truppe der Bandidos für das Verbrechen verantwortlich sei.

Weitere fünf Monate sollten vergehen, ehe die Mordkommission der Polizei ausreichend Beweise zusammengetragen hatte, um vier tatverdächtige Bandidos zu verhaften. Eine DNA-Spur im Fluchtfahrzeug brachte den Durchbruch. Seit Mitte Oktober müssen sich die Männer wegen Totschlags vor dem Essener Schwurgericht verantworten.

Alles zum Thema Herbert Reul

Anhaltende Revierkämpfe in NRW

Der Fall dokumentiert einmal mehr die anhaltenden Revierkämpfe in NRW. Einen Monat vor der tödlichen Messerattacke hatte ein Freeway-Rider in Hagen einem Bandido aus dem fahrenden Auto in den Bauch geschossen und schwer verletzt. Besorgt resümierte das Düsseldorfer Landeskriminalamt (LKA) in seinem neuen Lagebild zur Organisierten Kriminalität (OK) die Rockerkriege im südöstlichen Ruhrpott sowie im Großraum Köln. „Während etwa die Hells Angels und Bandidos am Rhein um die Vormachtstellung stritten“, bekämpften sich die Freeway-Riders und Bandidos rund um Hagen mit Waffengewalt.

„Diese kriminellen Gruppierungen machen ihr Geld mit Drogen, Prostitution, Menschenhandel, Schutzgelderpressung und Waffenhandel“, erklärt NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) im Gespräch dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. In Dortmund liefern sich Bandidos und der kurdisch-libanesische Miri-Clan blutige Konflikte. Reul: „Die Sicherheitsbehörden nehmen die Rocker-Gangs genauso ernst wie kriminelle Clans.“

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Verstärkt stammt der Nachwuchs aus arabischen oder türkischen Migrantenkreisen. Inzwischen hocken die Protagonisten nicht mehr auf dem zweirädrigen „Bock“, sondern lenken hochgetunte Luxuskarren. In einem belauschten Telefonat tönt ein Kölner Hells-Angel, dass das C-Town-Charter, bestehend aus überwiegend türkischstämmigen Mitgliedern, die deutschen „Old-Schooler“ verdrängt habe. „Alles, was die Alten hatten, hat C-Town übernommen. Damit meine ich die illegalen Geschäfte und so.“

An Rhein und Ruhr dehnen insbesondere die 25 Sektionen der „Bandidos MC“ ihren Einfluss zunehmend aus. Die 820 Mitglieder mit dem „Fat-Mexican“-Aufnäher auf der Rückseite ihrer Lederweste avancieren zur führenden Macht unter den kriminellen Rocker-Gangs.

Im Kampf um ihre Einflussgebiete gehen die Bandidos rücksichtslos vor: Im August 2018 etwa wurden drei Rocker der Gruppierung „Living Dead“ durch fünf Bandidos in Herne krankenhausreif geschlagen. Eines der Opfer erlitt lebensgefährliche Kopfverletzungen und bleibt sein Leben lang ein Pflegefall.

Machtkämpfe zwischen Hells Angels und Bandidos in Köln

In Köln schwelt seit fünf Jahren ein Machtkampf mit den Hells Angels. Bandidos feuern aus dem fahrenden Auto auf der Zoobrücke auf den Wagen eines vermeintlichen Konkurrenten, Unbekannte durchlöchern die Schaufenster einer Bandido-Gaststätte in Köln-Buchheim.

Und im Oktober dieses Jahres ereignete sich Bemerkenswertes im Kölner Landgericht: Kripobeamte präsentieren Aykut Ö., 32, einen Haftbefehl. Der breitschultrige Chef der Kölner Bandidos sollte als Zeuge in einem Prozess aussagen, stattdessen wanderte er in Untersuchungshaft.

Die Vorwürfe drehen sich unter anderem um eine Schießerei Anfang 2019 in der Kölner City mit einem Gegner der Hells Angels. Der „Höllenengel“ soll Aykut Ö. beim zufälligen Zusammentreffen in einem Steuerberaterbüro mit seiner Pistole bedroht und mehrfach auf den Kopf geschlagen haben. Schnell verlagerte sich die Auseinandersetzung auf die Straße, beide Seiten schossen aufeinander. Niemand wurde verletzt. Im Frühjahr schlossen beide Parteien angeblich Frieden.

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Die Bandidos geraten immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt.

Nach Informationen dieser Zeitung beschwor der Bandido-Chef denn auch einen Augenzeugen in einem abgehörten Telefonat, seinen damaligen Widersacher von den Hells Angels im Prozess nicht zu belasten. In einem weiteren Prozess um versuchten Mord auf der Zoobrücke soll Ö. das 21-jährige Opfer zur Falschaussage veranlasst haben.

Somit sei das angeklagte Bandido-Mitglied mit einer vergleichsweise milden Strafe von vier Jahren Haft davon gekommen. Gottfried Reims, Strafverteidiger der Kölner Bandido-Größe Aykut Ö., wollte sich hierzu auf Anfrage nicht äußern.

In Köln jedenfalls registrierte die Polizei seit Mai 2017 zehn Zusammenstöße – in acht Fällen fielen Schüsse. Bereits im Frühjahr 2018 verübte ein Hells Angel einen Anschlag auf Bandido-Chef Aykut Ö.

In Humboldt-Gremberg durchschlug eine Kugel die Scheibe seines weißen Lamborghini und dann den Hals der Unterweltgröße. Sein Beifahrer wurde ebenfalls verletzt. Aykut Ö. indes überlebte den Anschlag.

Rocker-Präsident Aykut Ö.

Geschwächt durch Razzien der Polizei, haben die Hells Angels in der Domstadt offenbar wichtiges Terrain verloren. „In dieses Vakuum stoßen die Bandidos hinein“, befand Kölns Polizeipräsident Uwe Jacob bereits zu Jahresbeginn. Aykut Ö. gilt als Schlüsselfigur für diesen Trend: Mitte Februar 2019 wurden drei neue Bandido-Gruppen in Köln, Erftstadt und Leverkusen gegründet. Bei einem Treffen hochrangiger Rocker-Bosse in Bamberg soll der Türke Polizeierkenntnissen zufolge zum Anführer aller drei neuen Ableger gekürt worden sein.

Ende Januar 2020 jedoch läuft die Duldung des Rocker-Präsidenten in Deutschland ab. Die Stadt Köln würde den türkischen Staatsbürger dann gerne in seine Heimat ausweisen, weil er immer wieder straffällig geworden ist.

Seine Akte weist zehn Einträge auf: Die Palette reicht von Drogenhandel, über Förderung der Prostitution bis hin zu Diebstahl und schwerer Körperverletzung. Unter seiner Ägide soll der Krieg mit den Hells Angel eskaliert sein.

Dabei geht es unter anderem auch um die Macht an den Türen der Amüsierschuppen auf den Kölner Ringen, die einst durch den türkischen Rotlichtpaten Necati Arabaci, genannt Neco, kontrolliert wurden. Nach seiner Verurteilung schoben die Behörden den Türken in seine Heimat ab.

Der Nachfolger-Kampf um die „Vormacht“ in Köln wird höchst brutal ausgefochten. Im November 2015 beispielsweise brachen drei Albaner in eine Shisha-Bar in der Südstadt ein, das einer Angels-Größe gehörte. Der Rocker lobte 5000 Euro für Hinweise zu den Tätern aus.

Ein Bekannter steckte ihm die Namen. Daraufhin sammelte der Kölner Hells-Angels-Boss Erkan A. laut Polizei einige Mitstreiter um sich, um den Haupttäter namens Kush „dafür bluten" zu lassen. Kurz vor zwei Uhr morgens stürmten die Angreifer in ein Lokal, in dem ihre „Zielperson“ saß. Eine Pistole wechselte zwischen zwei Schützen hin und her.

Dann richtete ein Rocker die Waffe auf einen Gast, der auf einem Hocker an einem Spielautomaten saß. Vergeblich flehte dieser um Erbarmen, das Projektil traf ihn seitlich ins Gesicht. Am Ende lag der 29-jährige Albaner Kush tot in einer Blutlache, vier weitere Gäste überlebten teils schwer verletzt. Die Rocker hatten einem Opfer den Schädel eingeschlagen. So steht es in den Ermittlungsakten.

Nach den Schüssen im „No Name“ setzten sich drei mutmaßliche Hauptakteure in Richtung Türkei ab. Von dort aus instruierten sie Verwandte in belauschten Telefonaten, einen Kölner Anwalt einzuschalten. Der Verteidiger möge einen inzwischen inhaftierten Komplizen im Knast besuchen und ihm bedeuten, die „Klappe zu halten“. Doch der begann zu plaudern. Seit Anfang Oktober müssen sich drei der einst 13 Beschuldigten vor dem Kölner Schwurgericht verantworten.