IS-Kämpfer aus NRW in SyrienBehörden fürchten Rückreisewelle potenzieller Attentäter
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Königswinter – Der Mann mit dem Kampfnamen Abu Umar-al-Almani kennt keine Gnade: In den Überresten der antiken Ruinenstadt Palmyra ruft er in einem Video der Terror-Miliz „Islamischer Staat“ (IS) zum Angriff gegen die Kuffar (Ungläubige) auf: „Tötet sie überall dort, wo ihr sie findet!“ Kaum ist der Satz beendet, da erschießen Yamin Abou Z. und sein Emir zwei Gefangene. Zwar kursierten im vergangenen Jahr Meldungen, der Henker aus Königswinter sei durch kurdische Milizen getötet worden, doch den hiesigen staatlichen Stellen fehlt immer noch eine Bestätigung.
Allerdings erreichte die Staatsschützer nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ eine Nachricht von der Schwester des Dschihadisten. Yasmin Abou Z. sitzt demnach in einem kurdischen Gefangenen-Camp nahe der Stadt Qamischli an der nordsyrischen Grenze zur Türkei. In Briefen hat sie ihre Familie in Königswinter angefleht, ihr zu helfen. Sie beklagt die katastrophalen Lebensbedingungen im Lager. Die ärztliche Versorgung sei genauso schlecht wie die hygienische Lage. Die einstige Verehrerin des IS-Kalifen Abu Bakr al-Baghdadi zieht es mit ihrem Kind zurück ins traute Heim ihrer Familie in Königswinter. In jenen Staat der Kuffar, den sie einst so verteufelte.
Nun soll das Auswärtige Amt helfen, sie freizubekommen und zurückzuführen. In Berlin aber tut man sich schwer. Und das aus folgendem Grund: Nach dem Fall der letzten IS-Hochburg Rakka sollen bis zu 400 Dschihadisten aus Deutschland in Syrien unterwegs sein. Entweder konnten sie sich in die letzten Rückzugsgebiete der Terror-Brigaden in den Bergen Nordost-Syriens retten oder sie fielen irakischen Truppen in die Hände. Dreiviertel von ihnen besitzen einen deutschen Pass. Laut den hiesigen Nachrichtendiensten sitzen mindestens 35 Extremisten in kurdischen Lagern fest, 13 von ihnen stammen nach Recherchen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ aus NRW.
Nichts fürchten deutsche Stellen mehr, als eine große Rückreisewelle. Mangels Personal können Polizei und Verfassungsschutz beileibe nicht jeden der 700 islamistischen Gefährder bundesweit überwachen. Sollten nun auch noch Dutzende IS-Veteranen aus den Lagern und Gefängnissen gleichzeitig freikommen und nach Hause reisen, würde dies den Sicherheitsapparat vor große Herausforderungen stellen.
Deutsche Inhaftierte sollen nach und nach ausgeliefert werden
Zwar unterhalten die deutschen Stellen informell gute Beziehungen zu den kurdischen Freischärlern. Inzwischen sollen etwa Beamte des Bundesnachrichtendienstes und des Bundeskriminalamts vor Ort Vernehmungen durchführen. Allerdings, so war in Berliner Sicherheitskreisen zu erfahren, haben die Strafverfolger beim Außenministerium darauf gedrungen, die deutschen Inhaftierten in den Kurdenlagern nur nach und nach den Behörden hierzulande auszuliefern.
Zu den Gefangenen zählt beispielsweise der Bonner Terrorist Fared Saal, den die Bundesanwaltschaft wegen der Beteiligung an mehreren Massakern per internationalem Haftbefehl sucht. Oder ein Schüler aus der Gruppe um den mutmaßlichen deutschen IS-Statthalter Abu Walaa, der derzeit in Celle vor Gericht steht.
Vermeintlich desillusioniert
Zudem gehören auch Frauen wie Sara K. zu den Inhaftierten, deren Mann einst zur Führungsspitze der berüchtigten „Islamisten-Brigade“ in Dinslaken gehörte, oder eben Yasmin Abou Z., die Schwester des IS-Schlächters. Sie alle wollen zurückkehren. Vermeintlich desillusioniert, womöglich traumatisiert durch die Kriegserlebnisse.
Die Staatsschützer begegnen den Rückkehrwünschen mit enormen Vorbehalten: „Der Druck der Haft ist so groß, dass viele deutsche Dschihadisten zurückkehren wollen“, sagt Burkhard Freier, Chef des Verfassungsschutzes in NRW. „Auch hat der Mythos IS an Glanz verloren. Das heißt aber noch lange nicht, dass sie ihren radikalen Idealen abgeschworen haben, wenn sie zurückkommen.“ Vor allem die Frauen nicht. Sieben Mütter sind mit 13 Kindern im vergangenen halben Jahr nach NRW heimgekehrt. „Die Hälfte von ihnen ist wieder in die salafistische Szene eingetaucht“, weiß Freier.
Aufgefangen durch radikale „Schwesternnetzwerke“ um Führungsfiguren wie Filiz G., der Frau des ehemaligen Sauerländer Terrorchefs, der zahlreiche Bombenanschläge in Deutschland geplant hatte. Nach der Verhaftung des Hasspredigers Abu Walaa und seiner Getreuen predigen nun deren Partnerinnen in der Salafisten-Gemeinde die Kampfdoktrin gegen alle Andersgläubigen.
Gehirnwäsch bei geheimen Treffen
Mit Hilfe von sozialen Netzwerken, bei geheimen Treffen oder in Gebetsräumen werden die Frauen und ihre Kinder nach Erkenntnissen der Behörden einer Gehirnwäsche unterzogen. So postete eine Mutter stolz auf Facebook, dass ihre vierjährige Tochter schon ihrem jüngeren Bruder beim Essen mit den Worten zur Ordnung gerufen habe, er solle sich benehmen oder rausgehen und Ungläubige töten.
PR-Bilder des Islamischen Staates kursieren in den Chats radikaler, deutscher Muslima, in dem kleine Kinder, militärisch aufgereiht vorbeimarschieren. Unterschrift: „Die Schlächter von Morgen.“ Achtjährige Kinder absolvierten beim IS bereits eine militärische Schulung, manche erlernten beinahe spielerisch das Töten.
Bis zu 400 Minderjährige werden einreisen
Über kurz oder lang jedenfalls wird die große Rückreisewelle dann doch kommen. In dem Fall rechnet die deutsche Terrorabwehr zusätzlich mit bis zu 400 Minderjährigen aus Syrien und dem Irak, ein Drittel kommt nach NRW. „Viele von ihnen verroht, traumatisiert und vergiftet durch die Dschihad-Ideologie des IS“, weiß Verfassungsschützer Freier. Es werde Jahre dauern, diese Kinder und Jugendliche sowie deren Mütter mit Hilfe der örtlichen Jugendämter in ein normales Leben zu überführen.
Zumal derzeit in NRW die Zahl junger Radikaler sprunghaft ansteigt. Auch beim Präventionsprogramms „Wegweiser“ stellte sich heraus, dass gut drei Viertel der Indoktrinierten minderjährig war und jeder siebte der 700 Betreuten sich im Kindesalter befand. Vor dem Hintergrund plant Innenminister Herbert Reul (CDU) eine Gesetzesänderung, die es den Verfassungsschützern erlaubt, auch mögliche Extremisten unter 14 Jahren zu durchleuchten.
Dazu passt die Aussage eines Jugendlichen aus Ludwigshafen, der im Alter von zwölf auf dem Weihnachtsmarkt eine Nagel-Bombe deponiert hatte, die aber nicht detonierte. „Ich habe mich schon mit neun Jahren mit Bombenbau beschäftigt“, berichtete der Schüler den Ermittlern. Der Markt aber sei nicht seine erste Wahl gewesen.
Eigentlich habe er im November 2016 zunächst einen Bus als Ziel auserkoren. Nach eigenen Worten führte er bereits einen Sprengkörper mit sich, der sich aber nicht zünden ließ. Zwischenzeitlich habe er dann noch eine Kirche als Anschlagsort ausgewählt. Dabei habe er nach dem Vorbild des IS auch daran gedacht, dem Pfarrer die Kehle durchzuschneiden. Weil er die Messe aber verschlafen habe, sei er schließlich zum Weihnachtsmarkt gegangen.