Ein Video-Clip zeigt, wie Annalena Baerbock beim Besuch in Kiew Weltpolitik und Emotionen vereint – eine subjektive Betrachtung ihrer Rhetorik.
Kiew/Berlin – Annalena Baerbock ist als erstes deutsches Kabinettsmitglied in die Ukraine gereist. Für ihren Besuch in Kiew und das Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj gab es viel Lob für die Außenministerin – auch von anderen Parteien. Doch warum gibt es so viel Zuspruch für Baerbock? Was an ihrem Auftreten macht sie beliebt? Erklärungsansätze findet man in einem gut zweiminütigen Videoausschnitt eines Statements beim Kiew-Besuch.
Der Militär-Experte der Bundeswehr, Carlo Masala, teilte den Clip zu Baerbocks Besuch in Butscha, nahe Kiew, der tausendfach geliked wurde. Die Außenministerin sah sich in einer Kirche in Butscha ausgestellte Bilder an, die das Massaker in der ukrainischen Kleinstadt zeigen. Kurz darauf tritt sie vor die Kameras und Mikrofone und es wird klar: Der Außenministerin gelingt es, Weltpolitik und Emotionen zu vereinen.
Emotionale Rede nach Besuch in Butscha
„Wenn die Sonne an diesem Tag hereinscheint, dann glaubt man in einer ganz normalen Kirche zu sein. Und zugleich ist es ein Ort, wo die schlimmsten Verbrechen geschehen, die man sich nur vorstellen kann, und deswegen ist es mir unglaublich wichtig, heute hier zu sein“, sagte Baerbock. In Butscha wurden massenweise Zivilistinnen und Zivilisten ermordet, die Bilder von den in den Straßen liegenden Leichen gingen um die Welt und wurden als Kriegsverbrechen verdammt. Baerbock wirkt ernst und berührt – und authentisch. Man kann fühlen, wie nah ihr die Bilder gehen.
Baerbock atmet einmal tief ein. „Wie groß der Schmerz ist“, sagt die Außenministerin weiter, „und diesen Schmerz kann niemand nehmen. Den Schmerz von Vätern, von Müttern, von Tanten, von Onkels, von Freunden, von Nachbarn, von Arbeitskollegen“ – kurze Pause – „aber wir können für Gerechtigkeit sorgen.“ Es ist ein rhetorischer Kniff von Baerbock. Sie teilt das Menschliche, zeigt Empathie. Und dann bietet sie eine Lösung aus dem Drama. Baerbock wurde von der ukrainischen Generalstaatsanwältin mitgebracht, die für Gerechtigkeit sorgen soll.
„Butscha ist ein Vorort von Kiew, es ist wie Potsdam vor Berlin“, sagt Baerbock und zeigt erneut die Nähe. „Man sieht Spielplätze, man sieht Supermärkte, man sieht Menschen, die zur Arbeit gehen“, so die Außenministerin, „und dann sieht man die schlimmsten Spuren von Verbrechen genau daneben. Eine Bombe, die direkt in den Supermarkt einschlägt. Wie eine Mutter mit ihren beiden Kindern versuchte zu fliehen, und erschossen worden ist.“ Baerbock macht diese unfassbaren Verbrechen greifbar ohne die weltpolitische Ernsthaftigkeit zu verlieren. Die Botschaft, die sie auch ausspricht: „Diese Opfer könnten wir sein.“
Natürlich wird es wohl schwierig werden, alle Täter von Butscha dingfest zu machen und für die Morde, die Folter und die Vergewaltigungen zu bestrafen. Doch diese Frage steht bei Baerbocks Statement erstmal im Hintergrund, hier geht es um die Nähe. Eine Schulter zum Anlehnen statt der kalten Schulter, die die Bundesregierung zuvor so oft der Ukraine gezeigt hat.
Nein, Annelena Baerbock ist nicht die erste deutsche Politikerin in der Ukraine
Nein, Annelena Baerbock ist nicht die erste deutsche Politikerin in der Ukraine, die ihre Solidarität zeigt. Eine Delegation mit Anton Hofreiter (Grüne) und Marie-Agnes Strack-Zimmermann reiste in das Land. Auch Friedrich Merz und Bärbel Bas waren vor Ort. Der CDU-Chef wurde fotografiert, wie er eine ukrainische Politikerin umarmt. Die Bundestagspräsidenten zeigte sich am Monument des Unbekannten Soldaten in Kiew.
Aber der Besuch von Annalena Baerbock war anders. Nach der Steinmeier-Selenskyj-Posse und dem Besuchs-Hin-und-Her mit Olaf Scholz fühlte sich der Besuch der Außenministerin für Viele richtig an – das Gefühl: Endlich!
Und das zeigt sich auch in den Umfragen: Annelena Baerbock ist laut ZDF-Politbarometer, das vom Meinungsforschungsinstitut Forsa erhoben wurde, im April 2022 die zweitbeliebteste deutsche Politikerin. Vor ihr ist nur Parteikollege Robert Habeck. Und wenn es selbst Lob von anderen Parteien gibt, wie vom ehemaligen Bundestagsmitglied der CDU Ruprecht Polenz, der sich für die Reise und die klaren und bewegenden Worte bedankte, scheint Baerbock etwas richtig zu machen.