Die Kölner Strafrechtlerin Frauke Rostalski, Mitglied im Deutschen Ethikrat, zeigt an einem aktuellen Prozess vor dem Kölner Landgericht die Notwendigkeit einer parlamentarischen Aufarbeitung der Corona-Pandemie auf.
Kölner ProzessStrafbare „Feindesliste“ für Impfbefürworter?
Es gibt weiterhin keinen politischen Willen, die Corona-Pandemie parlamentarisch aufzuarbeiten. Eine Enquete-Kommission des Bundestags wird es zumindest in der absehbaren Zukunft nicht geben. Damit wird der Gesellschaft eine wichtige Möglichkeit genommen, dort wieder Brücken zu schlagen, wo die Pandemie tiefe Gräben hinterlassen hat.
Ganz anders sieht es bei der Aufarbeitung in der deutschen Strafjustiz aus. Deren Mühlen mahlen zwar bekanntlich weniger schnell, aber sie mahlen – und so verwundert es nicht, dass bis heute Fälle zu entscheiden sind, in denen es um mögliche Straftaten während der Pandemie geht. Ob hierdurch die besagten Brücken gebaut werden können, darf indessen bezweifelt werden, wie ein aktueller Kölner Fall zeigt.
Vor Gericht verhandelt wird ein auf „Twitter“ (mittlerweile „X“) hochgeladener Tweet mit folgendem Inhalt: „Wir haben mitgemacht! Wir haben ausgegrenzt, diffamiert, diskreditiert, beleidigt und Menschen gecancelt.“ Aufgelistet werden sodann „Aussagen, die man nicht vergessen sollte“, unter anderem von Udo Lindenberg („Wenn die hirntoten Risikopiloten durch die Aerosole ziehen, wird es ganz viele noch erwischen“), Altbundespräsident Joachim Gauck („Impfgegner sind Bekloppte“), vom bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder („Es handelt sich um eine Pandemie der Ungeimpften“), dem CSU-Landtagsabgeordneten Thomas Huber („Impfen Macht Frei“), der Technischen Universität Berlin („Querdenker*innen wegimpfen“) oder dem Journalisten Christian Ortner („Lasst uns Impfverweigerer mit dem Blasrohr jagen, Waidmanns Heil!“).
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Schließlich verweist der Post auf die Website www.ich-habe-mitgemacht.de, auf der sich weitere Zitate finden, die wie die vorgenannten allesamt öffentlich zugänglich sind. Auf der Website werden die zitierten Personen als „Täter“ bezeichnet, deren Äußerungen als „Unrecht“. Außerdem findet sich darauf noch ein abgewandeltes Zitat des italienischen Schriftstellers Ignazio Salone: „Wenn der Faschismus wiederkehrt, wird er nicht sagen: Ich bin der Faschismus. Nein, er wird sagen: Ich rette euch vor einem Virus.“
Erfolgreiche Beschwerde der Kölner Staatsanwaltschaft
Nach Auffassung der Kölner Staatsanwaltschaft soll es sich bei dem Post mit Bezug auf die Website um ein strafbares Verhalten handeln, weil eine sogenannte Feindesliste erstellt worden sei. Strafbar macht sich nach Paragraf 126a des Strafgesetzbuchs (StGB) unter anderem, wer „durch Verbreiten eines Inhalts personenbezogene Daten einer anderen Person in einer Art und Weise verbreitet, die geeignet und nach den Umständen bestimmt ist, diese Person oder eine ihr nahestehende Person der Gefahr eines gegen sie gerichteten Verbrechens oder einer gegen sie gerichteten sonstigen rechtswidrigen Tat auszusetzen“, unter anderem gegen die körperliche Unversehrtheit.
Das Amtsgericht Köln teilte die Einschätzung der Anklagebehörde nicht und eröffnete daher kein Hauptverfahren. Dagegen hat die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Köln erfolgreich Beschwerde eingelegt, so dass es am 12. Juni zur Verhandlung kommt.
Dokumentation gesellschaftlicher Ereignisse während der Corona-Pandemie
Die Strafbarkeit begründet die Staatsanwaltschaft unter anderem damit, dass der strittige Tweet im Sommer 2022 während einer erheblich aufgeladenen gesellschaftlichen Debatte erfolgte. Befürworter der offiziellen Corona-Politik würden als politische Gegner an den Pranger gestellt. Die Website www.ich-habe-mitgemacht.de lasse eine rechtsfeindliche Ausrichtung erkennen, zumal in dem abgewandelten Salone-Zitat ein Faschismus-Vergleich enthalten sei. Dies wiederum sei geeignet und bestimmt, andere zu Straftaten an den zitierten Personen zu motivieren – der Post lege nahe, dass gegen „Täter“, deren „Unrecht“ oder gar die Wiederkehr des Faschismus notfalls auch körperliche Gegenwehr geleistet werden müsse.
Die Rechtsauffassung von Staatsanwaltschaft und Landgericht überzeugt nicht. Der Post diente ersichtlich der Dokumentation gesellschaftlicher Ereignisse während der Corona-Pandemie. Gerade weil sich Teile der Politik heute gegen eine parlamentarische Aufarbeitung der Pandemiezeit stemmen, erweist es sich als Mehrwert für die Öffentlichkeit, wenn es zumindest zivilgesellschaftliche Initiativen in diese Richtung gibt.
Staatsanwaltschaft und Landgericht Köln verkennen die Reichweite der Meinungsfreiheit
Besonders problematisch ist vor diesem Hintergrund die Annahme, die Bewertung der Zitate als „Unrecht“ beziehungsweise der zitierten Persönlichkeiten als „Täter“ offenbare eine rechtsfeindliche Gesinnung und münde darin, andere zu Straftaten zu veranlassen. Staatsanwaltschaft und Landgericht verkennen hier die Reichweite und das Gewicht des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung (Artikel 5 Grundgesetz). Nicht bloß der Staat als Machtapparat ist befugt, ein Verhalten als „Unrecht“ einzustufen. Opfer müssen subjektiv erlebtes Unrecht als solches benennen können, selbst wenn sie mit ihrer Meinung alleine dastehen. „Unrecht“ gibt es gerade auch in den Sphären des sozialen Miteinanders, die dem Strafrecht vorgelagert sind.
Dafür, dass die Äußerungen von der Meinungsfreiheit gedeckt sind, macht es also keinen Unterschied, ob sich die Zitate auf strafrechtlich relevantes Unrecht beziehen oder nicht. Zumal durchaus zu fragen ist, ob nicht doch das eine oder andere der genannten Zitate im Bereich des strafrechtlich Relevanten liegt – zu denken wäre hier etwa an Volksverhetzung, Beleidigung oder die Anstiftung zu Straftaten. Abgedeckt von der Meinungsfreiheit ist auch das abgewandelte Salone-Zitat. Auch wenn die Parallele zu faschistischen Systemen zweifellos in problematischer Weise überspitzt ist, so hat das Bundesverfassungsgericht doch wiederholt entschieden, dass Übertreibungen bis hin zur Polemik ein zulässiges Mittel des öffentlichen Meinungskampfes sind.
Es ist die Aufgabe der Strafjustiz, Straftaten zu ahnden. Der Blick auf den strafrechtlichen Umgang mit Meinungsäußerungen während der Pandemie lässt allerdings einen doppelten Standard vermuten. Von Anklagen gegen Personen, die Ungeimpfte oder Gegner von Corona-Schutzmaßnahmen öffentlich diffamiert haben, ist wenig bekannt. Weshalb herabwürdigende Äußerungen gegenüber Ungeimpften die Justiz nicht beschäftigen, wohl aber eine wörtliche und öffentliche Dokumentation eben dieser Äußerungen die Eröffnung einer Hauptverhandlung rechtfertigen soll, lässt sich weder kriminal- noch gesellschaftspolitisch erklären. Nach wie vor gilt, dass jeder vor dem Recht gleich zu behandeln ist – unabhängig von der jeweiligen Weltanschauung. Meinungen werden nicht deshalb zu Straftaten, weil sie politisch unerwünscht sind.
Frauke Rostalski auf der phil.Cologne
Frauke Rostalski, geboren 1985, ist Professorin für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Universität zu Köln und Mitglied im Deutschen Ethikrat. Im Verlag C.H. Beck hat sie das Buch „Die vulnerable Gesellschaft“ veröffentlicht.
Auf der phil.Cologne spricht Frauke Rostalski mit KStA-Chefkorrespondent Joachim Frank über ihre Streitschrift, die für den Deutschen Sachbuchpreis nominiert ist.
Donnerstag, 13. Juni, 19 Uhr im Comedia-Theater, Vondelstraße 4-8, 50677 Köln. Tickets gibt es hier.