Rolf Mützenich plädiert seit Kriegsbeginn für die Diplomatie. Im Interview äußert sich der Kölner SPD-Politiker nur zu Ampel, AfD und Russlands Krieg.
Kölner SPD-Politiker Rolf Mützenich„Nichts deutet darauf hin, dass Putin zu Friedensgesprächen bereit wäre“
Herr Mützenich, der Kanzler, der Vizekanzler und der Finanzminister wollten mit ihren Sparbeschlüssen vor Weihnachten für Ruhe sorgen. Das Gegenteil ist eingetreten. Wird die Ampel die erneute Belastungsprobe bestehen?
Rolf Mützenich: Ich gehe fest davon aus, dass wir auch das meistern. Bei Abschluss des Koalitionsvertrags vor zwei Jahren war überhaupt nicht absehbar, welch schwierige Herausforderungen wir zu bestehen haben werden. Am Ende haben wir immer Handlungsfähigkeit bewiesen. Aufgeben in dieser Lage geht nicht. Wir wissen, welche Konsequenzen das hätte. Man muss nur in die Niederlande schauen, wo es nach dem Bruch der Koalition einen Rechtsruck gab. In Argentinien regiert jetzt ein Präsident mit Kettensäge. Überall auf der Welt erstarken Rechtsextremisten. Wir sollten das in Deutschland verhindern.
Nur noch mal zum Verständnis, ist es normal oder seltsam, wenn sich die Koalitionsspitzen einigen und es kurz danach wieder heißt: Nee, so geht das überhaupt nicht.
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Normal ist in einer Demokratie, dass das Parlament – das der Haushaltsgesetzgeber ist – die Vorschläge prüft. Was nicht normal ist, dass diejenigen, die die Ideengeber waren, sich innerhalb von Stunden davon distanzieren.
Sie meinen Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner, der von der Streichung der Agrarsubventionen wieder abrückte?
Es hat mich gewundert, dass der Finanzminister in der Agrardieselfrage innerhalb kürzester Zeit seine Meinung geändert hat. Ich kenne Christian Lindner als jemanden, der sich in das Feld der Steuerpolitik einarbeitet. Beim Agrardiesel und der Kfz-Steuer für landwirtschaftliche Fahrzeuge geht es um Steuerpolitik. Eigentlich müsste er die Entscheidung, die auch er mit getroffen hat, dann auch umsetzen.
Welchen Anteil haben die Ampel-Zerwürfnisse am Erstarken der AfD?
Wir haben Anteil daran, das kann niemand in Zweifel ziehen. Unser Auftritt erzeugt bei manchen Wählerinnen und Wählern den Wunsch, dass „die da oben“ mal eine Quittung bekommen. Aber trotz verständlicher Kritik sollte man sich gut überlegen, wem man seine Stimme gibt und erkennen: Die AfD interessiert sich nicht für Euch. Sie kämpft nicht für wichtige soziale Belange wie Tariflöhne, gute Arbeitsbedingungen, den Mindestlohn oder gesellschaftliche Solidarität wie die Integration von Kindern mit Behinderungen.
Diese Mahnung verfängt aber nicht bei den Anhängern der Partei.
Deswegen reicht es nicht, herauszustellen, dass AfD-Politikerinnen und -Politiker keine Demokraten sind. Man muss die Auseinandersetzung ganz konkret an der Lebenswirklichkeit entlangführen.
Trifft die Ampel denn die Lebenswirklichkeit der Menschen?
Wie sehr wir die Sorgen der Menschen und die soziale Lage im Blick haben, haben wir vor einem Jahr bewiesen, als wir durch den Gaslieferstopp aus Russland nicht wussten, ob wir im Winter eine zuverlässige Energieversorgung haben werden. Wir haben sie gesichert und bezahlbar gemacht. Außerdem haben wir das Kindergeld erhöht, den Mindestlohn und das Wohngeld.
Aber mit dem ersten Entwurf des Heizungsgesetzes haben sie Menschen Angst gemacht und als Agrarminister Cem Özdemir protestierenden Bauern in Berlin warnte, sie sollten Rechtsextremen nicht auf den Leim gehen, bekam er zu hören, er solle nach Hause gehen.
Das macht mir Sorgen. Was die AfD betrifft, sollten alle wissen, dass sie in Teilen vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch und verfassungswidrig identifiziert wurde.
Sollte sie verboten werden?
Man kann eine Debatte darüber führen. Was sich aus den vorliegenden Erkenntnissen für ein Verbot ableitet, kann man aber noch nicht sagen.
Glauben Sie Herrn Merz die Abgrenzung der Union von der AfD?
Grundsätzlich ja, allerdings erleben wir immer wieder Beispiele, wo die Union ihre Abgrenzungszusicherung nicht ernst genug nimmt. Ich glaube aber, dass Herr Merz weiterhin versucht, diesbezüglich auf die Landesverbände einzuwirken. Ob er erfolgreich sein wird, werden wir nach den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg 2024 sehen.
Könnte die CDU unter Merz in die Koalition eintreten, wenn die Ampel doch vorzeitig bricht?
Herr Merz hat sich klar geäußert: Er ist für eine Neuwahl. Aber die Bundestagswahl wird planmäßig im Jahr 2025 stattfinden, da bin ich sicher.
Könnte das Bündnis Sahra Wagenknecht der SPD schaden?
Die Ränder werden gestärkt. Die Partei „Die Linke“ ist in einem Verfalls- und Auflösungsprozess. Umso wichtiger ist es, dass man versucht, auch vonseiten der Sozialdemokratie neue Bindekräfte gegenüber solchen Gruppen zu entwickeln.
Sie öffnen die Türen für Mitglieder der Linken, Dietmar Bartsch vielleicht?
Ich werbe niemanden ab. Wer sich für die SPD entscheiden will, kann einen Aufnahmeantrag stellen und muss sich zu unseren Grundwerten bekennen.
Sie fordern nicht nur die erneute Aussetzung der Schuldenbremse 2024, sondern auch eine grundlegende Reform der Schuldenbremse. Das aber geht nur mit Zweidrittelmehrheit im Bundestag. Werden Sie die Union dafür gewinnen?
Die 2009 beschlossene Schuldenbremse wird den Veränderungen der Wirtschaft, der Arbeitswelt und der Infrastruktur nicht mehr gerecht. Wir müssen viel mehr investieren und deshalb brauchen wir eine Schuldenbremse, die Kredite für Investitionen in den klimagerechten Umbau unserer Volkswirtschaft erlaubt. Zumindest Ministerpräsidenten der CDU zeigen sich offen dafür. Mit der gegenwärtigen Opposition im Bundestag ist das in dieser Legislaturperiode leider nicht zu machen.
Mit der FDP auch nicht, oder?
Ja, wahrscheinlich nicht. Interessant ist aber, dass es Landesregierungen mit Beteiligung von CDU und FDP gibt, die zumindest jetzt ihre Schuldenbremse für das nächste Jahr ausgesetzt haben. Spätestens bei den nächsten Koalitionsverhandlungen im Bund muss die Reform der Schuldenbremse jedenfalls auf den Tisch.
Welche Krisen von außen sind für den Haushalt schon jetzt für 2024 absehbar?
Wenn die militärische Auseinandersetzung zwischen Israel und der Hamas im Gazastreifen endet, wird es schnell um weitere humanitäre Hilfe für die Zivilbevölkerung und den Wiederaufbau gehen. Deutschland wird mit Sicherheit nach massiver Hilfe gefragt werden – übrigens auch von der israelischen Regierung.
Sie gehören zu der Minderheit in der Koalition, die bei Kriegen auf Friedensverhandlungen pochen und nicht in erster Linie auf Waffenlieferungen. Glauben Sie, dass Wladimir Putin ernsthaft über Frieden für die Ukraine verhandeln will?
Nein. Nichts deutet darauf hin, dass er zu Friedensgesprächen bereit wäre. Und dennoch muss es immer wieder die Suche nach anderen Möglichkeiten geben als die der militärischen Abwehr.
Werden Sie fündig?
Wir brauchen Länder, die auf Putin einwirken können. Brasilien, die Türkei oder China zum Beispiel. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan – gleich wie man zu ihm steht – hat mit dem Getreideabkommen gezeigt, dass er in der Lage ist, auf Russland Einfluss zu nehmen. Ich bin dankbar für jeden, der um Deeskalation bemüht ist – auch wenn er es mit eigenen politischen Zielen vermengt und es sich nicht immer um Demokraten handelt. Man muss jede Chance nutzen. Auch die Vereinten Nationen oder der Vatikan bieten sich immer wieder an. Das sollten wir anerkennen.
Könnte der Krieg positiver für die Ukraine verlaufen, wenn Deutschland Waffen schneller geliefert hätte?
Das empfinde ich als eine gewagte These. Länder, die Deutschland diesbezüglich kritisiert haben, haben selbst oft verspätet oder gar nicht geliefert. Die Bundesregierung hat darauf geachtet, die eigene Verteidigungsfähigkeit nicht einzuschränken, und dennoch immer verlässlich Waffen zur Verteidigung geliefert.
Was kommt auf Europa und Deutschland zu, wenn die Ukraine gegen Russland verliert?
Das wäre eines der schlimmsten Szenarien, die man sich denken kann. Putins imperiales Denken würde weitergehen. Weitere Nachbarstaaten wären bedroht.
Gäbe es Friedenschancen ohne Putin?
In dem politischen System in Russland gibt es noch stärkere nationalistische, chauvinistische, imperiale Kreise. Mit einem entsprechenden Nachfolger wäre die Situation wohl nicht besser.
Zum Schluss: Was ist Ihr persönlicher Wunsch für das neue Jahr?
Ich kann nicht verleugnen, dass die vergangenen zwei Jahre massiv an mir gezehrt haben und ich manchmal ausgezehrt war. Ich hoffe, dass das kommende Jahr sowohl für das Zusammenspiel der Ampel als auch für diejenigen besser wird, für die wir Politik machen.