Die AfD steht vor einem Strategiewechsel: Im Bundestag wollen die Rechten weniger eskalieren. Funktionäre sind unsicher, ob das klappt.
Konstruktiv und normalisiertAfD plant neue Taktik im Bundestag – Eine Fraktion wie jede andere?

Alice Weidel (l), Co-Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion.
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Als der neue Bundestag vor drei Wochen erstmals zusammentrat, machte die AfD da weiter, wo sie in der vergangenen Wahlperiode aufgehört hatte: mit Grenzüberschreitung und Provokation. Neu war, dass die aggressiven Reden der Abgeordneten Bernd Baumann und Stephan Brandner fraktionsintern hinterher auf deutliche Kritik stießen.
Brandner beleidigte SPD und Grüne als „politische Schrumpfgermanen“ und die Linksfraktion als „Resterampe“. So will sich die neue, doppelt so große Rechtsfraktion eigentlich nicht mehr präsentieren. Konstruktiver, gemäßigter, lösungsorientierter wolle man auftreten, hieß es aus dem Fraktionsvorstand.
Wer will die neuen Wilden stoppen?
76 neue AfD-Abgeordnete werden in den nächsten Monaten auf ihre erste Plenarrede hinarbeiten. Der Drang, mit markigen Worten und verbalen Skandalen Aufmerksamkeit für die Social-Media-Kanäle herzustellen, ist groß. Wer will sie stoppen? Brandner (20 Ordnungsrufe in der vergangenen Wahlperiode) und Beatrix von Storch (19) sitzen im Fraktionsvorstand, der Parlamentarische Geschäftsführer Baumann nennt die Vergabe von Ordnungsrufen „einseitig“.
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Die AfD ist im Höhenflug: 5000 Neueintritte sind seit der Bundestagswahl zu verzeichnen, im Mai will man die Marke von 60.000 Parteigenossen knacken, heißt es aus der Zentrale. Die Partei- und Fraktionschefs Alice Weidel und Tino Chrupalla aber haben die nächsten Landtagswahlen im Blick: Im Frühjahr 2026 wird in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz gewählt. Die AfD konnte im Südwesten bei der Bundestagswahl stark zulegen, 20 Prozent gelten parteiintern jetzt schon als Mindestmarke. Doch gerade die westdeutschen Neu-Wähler könnten von einer allzu krawallig auftretenden Bundestagsfraktion abgeschreckt werden.
Erklären, „wie ein AfD-Deutschland aussieht“
Ein Strategiewandel steht an. „Wir werden als Oppositionsführer die Regierung kritisch begleiten: parlamentarisch hart im Ton und konstruktiv in der Debatte“, sagte Chrupalla dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Dabei wollen wir stärker unsere Lösungskompetenz und Lösungsvorschläge aufzeigen. Was schlecht läuft, wissen die Bürger selbst. Wie ein Deutschland aussehen wird, das von der AfD regiert wird, das müssen wir ihnen erklären.“
Einen Strategiewandel im Umgang mit der AfD brachte am Wochenende auch Unionsfraktionsvize Jens Spahn ins Gespräch. Er riet dazu, mit der AfD bei organisatorischen Fragen im Bundestag so umzugehen wie mit anderen Oppositionsparteien auch. Er sprach in der Bild-Zeitung von Abläufen im Parlament, Verfahren in der Geschäftsordnung, in den Ausschüssen und der Berücksichtigung von Minderheits- und Mehrheitsrechten. „Da würde ich einfach uns empfehlen, mit der AfD als Oppositionspartei so umzugehen in den Verfahren und Abläufen wie mit jeder anderen Oppositionspartei auch“, so der CDU-Mann.
Wie die AfD im Parlament auftrete, sei häufig nicht bürgerlich, „wie da rumgeholzt wird, wie da rum geschimpft wird, wie andere niedergemacht werden“, sagte Spahn weiter. Gleichzeitig müsse man im Kopf haben, dass die AfD so stark sei, „weil Wählerinnen und Wähler uns was sagen wollten“. Die Wähler sollten ernst genommen werden. Deswegen gehe es darum, die „richtige Balance“ zu finden im Umgang mit der AfD im Bundestag. Der 44-Jährige gilt als möglicher neuer Fraktionsvorsitzender.
Chrupalla freut sich über Spahn
Chrupalla lobte Spahns Vorstoß: „Wir freuen uns, wenn Herr Spahn seine Partei dazu aufruft, parlamentarische und demokratische Grundregeln zukünftig zu respektieren“, sagte er dem RND.
Kritik kam von den Grünen. Die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion, Irene Mihalic, sagte dem RND: „Wenn Jens Spahn jetzt Lockerungsübungen empfiehlt, verheißt das nichts Gutes. Die Union ist gefordert, ihr Verhältnis zur AfD unmissverständlich zu klären. Unser Land braucht eine konservative Partei, die sich von der extremen Rechten abgrenzt und eine klare Haltelinie formuliert, anstatt ihr hinterherzulaufen und diese Linie immer weiter nach rechts zu verschieben.“
Kontakte in die rechtsextreme Szene
Mihalic fügte hinzu: „Die AfD ist keine Oppositionspartei wie jede andere. Sie ist eine mindestens in Teilen rechtsextreme Partei, in der auch Abgeordnete und deren Mitarbeitende vitale Kontakte in die gewaltbereite rechtsextreme Szene pflegen oder im Verdacht stehen, für fremde autokratische Mächte zu spionieren oder zumindest Bezüge dazu haben. All das ist hinlänglich bekannt. Deshalb kann es mit der AfD nur einen Umgang geben: Alle Demokraten sind gefordert, die parlamentarische Demokratie und ihre Institutionen vor extremistischen und autokratischen Einflüssen zu schützen.“
In einem strittigen und hochsymbolischen Punkt aber entschieden Union und SPD im Ältestenrat gegen die Forderungen der AfD: Die auf 120 Abgeordnete geschrumpften Sozialdemokraten dürfen den zweitgrößten Fraktions-Sitzungssaal im Reichstagsgebäude behalten, den sie nach Otto Wels benannt haben. Wels war Parteichef in der Weimarer Republik, seine Rede gegen Hitlers Ermächtigungsgesetz 1933 ist legendär.
Die 152 AfD-Abgeordneten sollen in den weit kleineren ehemaligen FDP-Sitzungssaal umziehen. Die AfD weigert sich. Aus dem Fraktionsvorstand verlautet: Notfalls verzichte man ganz auf einen Saal im Reichstagsgebäude und tage die gesamte Legislaturperiode in Anhörungssälen in anderen Bundestagsgebäuden.