Köln – Viel zu lange hat die Frage nach der persönlichen Eignung der Kanzlerkandidaten den Bundestagswahlkampf dominiert: Können die das? Ist Armin Laschet zu mehr fähig, als seine Konkurrenten Friedrich Merz und Markus Söder auszustechen? Kann Annalena Baerbock das Land regieren, wenn sie noch nicht einmal ihre Ghostwriter im Griff hat? Wird Olaf Scholz jemals den Ruf des Langweilers los?
Die Jahrhundert-Flutkatastrophe im Ahrtal, in Erftstadt und in der Eifel bringt uns dazu, uns viel stärker mit den Inhalten der Parteien zu beschäftigen, insbesondere mit der Frage, wie der „grüne“ Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft vorangehen und der Kampf gegen den Klimawandel aussehen soll.
Große Chancen für Deutschland und EU
Sowohl für Deutschland als auch für die EU liegen hier große Chancen. Im Milliardengeschäft mit sauberen Technologien könnten sich deutsche und europäische Firmen an die Spitze der Bewegung setzen. So ganz nebenbei würden dadurch auch Zehntausende Jobs entstehen – auch für diejenigen, deren Arbeitsplätze heute angesichts des Strukturwandels gefährdet sind.
Fast zeitgleich mit der Jahrhundert-Flut hat die EU-Kommission mit ihrem „Green Deal“ Vorschläge erarbeitet, wie die europäische Wirtschaft nachhaltig umgebaut werden kann. Bis 2050 soll in der gesamten EU Klimaneutralität erreicht sein. Klar: Der Streit darüber wird hart und erbittert geführt werden. Ohne Kompromisse vor allem mit den osteuropäischen Ländern wird es wohl nicht gehen. Aber Deutschland hat mit seinem neuen Kanzler oder seiner neuen Kanzlerin die große Chance, in der Frage des Klimaschutzes voranzugehen.
Blick auf die Kandidaten
Und hier richten sich die Blicke dann doch wieder auf die Kandidaten. Sie und ihre Parteien müssen jetzt, nach der Flut, noch konkreter Auskunft über ihre Konzepte geben. Die Grünen sind hier naturgemäß am weitesten – ein Vorteil für Baerbock und zugleich die Chance, ein paar Scharten auszuwetzen.
Doch der Kampf gegen den Klimawandel gehört als Thema auch neu auf die Agenda der Mitbewerber. Laschet und Scholz müssen ihre Wahlprogramme überarbeiten und präzisieren – damit sie nicht gleich ein Fall für den Papierkorb sind.
Früherer Kohleausstieg nötig
„Nur weil jetzt so ein Tag ist“, verändere man doch nicht seine Politik, hatte Laschet unmittelbar nach dem Unwetter vom 14. Juli gesagt. Doch, genau darum muss es gehen. Und wieder einmal macht Markus Söder es ihm vor. Noch vor wenigen Wochen hätte es wie eine Retourkutsche gegen Laschet ausgesehen, dass der Bayer nun den Kohleausstieg statt für das Jahr 2038 schon – wie die Grünen – 2030 fordert. Heute muss man an Laschets Adresse gerichtet sagen: Ein deutlich früherer Ausstieg aus der Kohle ist das Gebot der Stunde.
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Nötig ist aber auch eine Ausbauoffensive für die erneuerbaren Energien. Und der Klimaschutz muss in den Planungen für Städte, Infrastruktur und Industrie eine viel größere Rolle spielen. Was die drei, die in den nächsten vier Jahren das Land regieren wollen, zu alledem planen, das sollten sie dem Volk unter dem Eindruck der Flutkatastrophe umso genauer darlegen – und zwar noch vor der Wahl.