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Kremlchef in Kursk bloßgestellt„Putin kann sein Versprechen nicht aufrechterhalten“

Lesezeit 5 Minuten
Kremlchef Wladimir Putin. Die Ukraine habe den russischen Präsidenten mit der Offensive in Kursk auf dem falschen Fuß erwischt, sagt der Kölner Politikwissenschaftler Thomas Jäger. (Archivbild)

Kremlchef Wladimir Putin. Die Ukraine habe den russischen Präsidenten mit der Offensive in Kursk auf dem falschen Fuß erwischt, sagt der Kölner Politikwissenschaftler Thomas Jäger. (Archivbild)

Der Kölner Politologe Thomas Jäger im Interview über Kursk, Putins Herrschaft, deutschen Dilettantismus und mögliche Sabotage in Wahn.

Die ukrainische Offensive in Kursk dauert an. Bisher gab es keinen Gegenschlag aus Russland. Hat Kiew den Kreml überrumpelt?

Thomas Jäger: Die Ukraine hat Putin auf dem falschen Fuß erwischt, das kann man sehen. Zum einen daran, dass eine direkte Reaktion ausgeblieben ist. Das ist ein bemerkenswerter Vorgang, dass sich ein Staat, der sich im Krieg befindet, an der Grenze so schutzlos aufstellt. Und zum anderen daran, dass auch eine koordinierte Reaktion, das Zurückdrängen der eindringenden Streitkräfte, bisher nicht erfolgt ist.

Jüngsten Berichten zufolge schickt Kremlchef Putin nun Wehrpflichtige nach Kursk. Seine kampferprobten Truppen bleiben mehrheitlich im Osten der Ukraine.

Putin will den Kampf dort nicht verlieren. Die russische Führung stand nach der Offensive in Kursk vor der Frage, zieht sie Truppen aus dem Donbass ab oder nicht. Die Entscheidung ist so gefallen, dass der Kampf in der Ostukraine für Moskau momentan Priorität hat. Da sind die kampfstarken Truppen. Putin scheint zu glauben, dass er die Offensive in Kursk in einem längeren Zeitraum zurückdrängen kann.

Offensive in Kursk: „Putin scheint sich sehr sicher zu sein“

Ist das nicht eine merkwürdige Haltung, wenn der Krieg plötzlich ins eigene Land kommt?

Das ist bemerkenswert, denn es ist ja seine Herrschaft und sein Versprechen, Sicherheit für die russische Gesellschaft zu bieten. Das gerät in Kursk nicht zum ersten Mal unter Druck. Als der russische Angriff auf Kiew zurückgeschlagen wurde, beim Marsch auf Moskau und beim jüngsten Terroranschlag ist das bereits so gewesen. All diese Ereignisse haben sichtbar gemacht, dass Putin sein Sicherheitsversprechen nicht aufrechterhalten kann – das ist nun auch in Kursk so. Bisher wurde auf so etwas aber stets rasch reagiert. Das ist jetzt anders. Putin scheint sich sehr sicher zu sein, dass die Offensive in Kursk seine Herrschaft nicht gefährdet, selbst wenn sie länger andauert.

Der Kölner Politologe Thomas Jäger.

Der Kölner Politologe Thomas Jäger.

Bisher hat Putin auch die schlimmsten Krisen überstanden. Kann die Offensive in Kursk ihn zu Fall bringen?

Nein. Die Präsidentschaftswahlen sind um. Putin hat seine Legitimation für die nächsten Jahre. Er hat im Verteidigungsministerium und den Sicherheitsdiensten Säuberungen vorgenommen. Man sieht jetzt schon einen halben Generationenwechsel. Putin konsolidiert sozusagen seine Herrschaft neu. Wenn seine Herrschaft unter Druck gerät, dann wird das überraschend geschehen. Aber Putin geht davon aus, dass er das Ganze steuern kann und die Lage im Griff hat, soweit es seine Herrschaft angeht. Und das ist Putins zentrales Interesse, dem er alles unterordnet.

Putins rote Linien: „Manche haben dem Bluff geglaubt“

Wolodymyr Selenskyj hat die von Moskau aufgestellten „roten Linien“ angesichts der Offensive in Kursk als Bluff bezeichnet. Zurecht?

Die Drohungen Russlands waren ohnehin darauf ausgerichtet, die Öffentlichkeit in den Unterstützerstaaten zu erreichen. In der Sache waren sie nicht ernst gemeint. Das ist von Beginn an deutlich gewesen. Putin hat keine Eskalationsmöglichkeit. Putin kann weder im Sinne russischer Sicherheitsinteressen einen anderen Staat angreifen, noch nuklear eskalieren. Er konnte nur damit bluffen. Das hat er die ganze Zeit gemacht. Manche haben dem Bluff geglaubt, andere eben nicht. Jetzt ist der Beleg da. Die Bewertung im Kreml ist, dass die Offensive in Kursk die Sicherheit Russlands, den Bestand des Landes, nicht gefährdet.

Ist das angesichts einer Offensive auf eigenem Territorium nicht auch eine bemerkenswerte Einschätzung?

Ja. Aber es ist ehrlich gesagt eine, die mich nicht überrascht, weil die Offensive in Kursk die Sicherheit Russlands eben tatsächlich nicht gefährdet. Es werden am Ende die Grenzen für Russland in jedem Fall wieder so hergestellt, wie sie vorher waren. Daran hat im Kreml keiner Zweifel – und außerhalb auch nicht.

In Berlin ist derweil eine neue Haushaltsdebatte entbrannt. Ein Stopp für weitere Militärhilfen für die Ukraine steht im Raum – kommt das nicht zur Unzeit?

Dieses Signal ist eine ganz fatale Sache. In Berlin hat man sich entschieden, den Haushalt über alle anderen Interessen Deutschlands zu stellen. Und im Haushalt die jeweilige Profilierung. Das ist eine ziemlich dilettantische Entscheidung für ein Land, das eine Führungsmacht in der Europäischen Union sein will. Ebenso ist es dilettantisch für ein Land, das sich die Zeitenwende auf die Fahne geschrieben hat. Und für ein Land, das der größten Sicherheitsbedrohung seit Jahrzehnten gegenübersteht, ist es erst recht dilettantisch. Aber so ist es nun einmal.

Wirbel um Ukraine-Hilfe: „Als geopolitische Dilettanten geoutet“

Welche Folgen drohen für Deutschland?

Die Bundesrepublik wird wieder als das wahrgenommen werden, als was sie lange galt: Ein unsicherer Kantonist, ein Verbündeter, auf den man sich nicht verlassen kann. Die Verantwortlichen haben sich damit als geopolitische und europapolitische Dilettanten geoutet.

Auch, was die Diskussion über die Kriegsgründe angeht, geht Deutschland oftmals besondere Wege. Der Historiker Timothy Snyder hat bereits 2022 erklärt, ein Zeitreisender aus den 1930ern würde den russischen Faschismus sofort erkennen. Wieso wird in Deutschland immer noch vor allem über Moskaus angebliche Sicherheitsinteressen und die Nato-Osterweiterung gesprochen?

Das ist ein Ergebnis der Russland-Romantik, die eben in den Medien, in der veröffentlichten Meinung, aber auch in der öffentlichen Meinung unter politischen Akteuren in Deutschland einen relativ hohen Prozentsatz erreicht, der je nach Region irgendwo zwischen 20 und 50 Prozent liegt. Dass diese Diskussion immer noch geführt wird, kann man nur damit erklären, dass es ein Interesse gibt, Russlands Position in der deutschen Debatte als legitim darzustellen. Das ist Russland-Propaganda, die hier gemacht wird.

Hybride Kriegsführung: „Das liegt auch im Interesse Russlands“

Während der Krieg in diesen Tagen nach Russland kommt, gab es hierzulande einigen Wirbel um mutmaßliche Einbrüche in Bundeswehr-Kasernen, auch in Köln-Wahn. Schnell stand russische Sabotage als Verdacht im Raum. Sind derartige Angriffe denkbar?

Ja. Auch der Iran und Nordkorea versuchen, mit solchen Aktionen Einfluss auf andere Gesellschaften zu nehmen und Angst und Schrecken zu verbreiten, um dort ein Unsicherheitsgefühl und die Destabilisierung der Verhältnisse herbeizuführen. Das liegt auch im Interesse Russlands. Bei diesen Cyberattacken und Sabotageaktionen kommt es darauf an, das Bewusstsein für Sicherheitsgefahren in der Bevölkerung zu schärfen. Das ist etwas, was in den letzten Jahren überhaupt nicht geschehen ist. Als das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe empfohlen hat, sich mit Lebensmitteln für den Notfall zu versorgen, wurde es quasi ausgelacht. Ein Staat, der diese Systeme angreifen will, nutzt das aus. Diese Gefahr bleibt bestehen.

Also ist es nicht die schlechteste Idee, ein bisschen Wasser vorrätig zu haben?

Richtig. Eine Flasche Rotwein von der Ahr kann aber auch dabei sein.