Wladimir Putin schießt ein Eigentor – in Kiew spricht man bereits vom „Finale“ für den Kremlchef. Auch ein US-Senator findet markige Worte.
Kiew spricht schon vom „Finale“Wie Putin sich mit seinen Worten zu Kursk selbst entlarvt hat
Die ukrainische Militäroperation in der russischen Grenzregion Kursk dauert weiterhin an. Rund tausend Quadratkilometer russischen Territoriums werde mittlerweile von ukrainischen Soldaten kontrolliert, teilte die Armeeführung um Oberbefehlshaber Oleksandr Syrskyj in Kiew am Montag mit.
Kiews Truppen hätten zu Wochenbeginn außerdem mit der Konstruktion von Schützengräben in der Region begonnen, berichtet „Forbes“ am Montag. Das sei Zeichen dafür, dass die Ukraine ihre Truppen offenbar nicht kurzfristig aus der russischen Region zurückziehen will, solang sie das nicht müsse. Russische Militärblogger räumten unterdessen am Montag den Verlust einiger Ortschaften in der Region ein.
Ukrainer errichten offenbar Schützengräben in Kursk
Auch Kremlchef Wladimir Putin äußerte sich erneut zur Lage in Kursk. Zunächst stellte der russische Präsident am Montag hochrangige Regierungsbeamte in einer Videokonferenz bloß, die zur Lage in Kursk nicht so berichtet hatten, wie der Kremlchef es wollte – und dann mit einer Aussage über diplomatische Auswege aus dem Krieg sich selbst.
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„Worüber soll man mit denen, die Zivilisten und Atomanlagen angreifen, überhaupt reden?“, fragte Putin. Es sei „sinnlos“, mit Regierungen zu sprechen, die so etwas tun würden, fügte der Kremlchef an – und meinte damit offensichtlich nicht sich selbst.
Kremlchef äußert sich zu Kursk: Wladimir Putins Eigentor
Zuvor hatte der russische Präsident zudem gemutmaßt, die Ukraine wolle mit der Attacke auf Kursk ihre Verhandlungsposition stärken. Gleich in mehrerer Hinsicht geriet Putins klares Nein zu jeglichen Verhandlungen mit der Ukraine somit zum Eigentor.
Zum einen, weil Russland nachweislich immer wieder Zivilisten in der Ukraine mit seinen Angriffen getötet und sich das AKW Saporischschja einverleibt hat – zuletzt waren russische Raketen sogar in einem Kinderkrankenhaus in Kiew eingeschlagen.
Putin untergräbt eigene Behauptungen
Zum anderen, da Putin mit seiner Wortmeldung indirekt seiner eigenen vorherigen Behauptung, die Ukraine sei verhandlungsunfähig, widersprochen hat – und so auch klargestellt hat, dass es Moskau selbst ist, das jegliche Verhandlungen verhindert.
„Putins Einschätzung impliziert von Natur aus, dass die Ukraine an Verhandlungen interessiert ist – und untergräbt damit die anhaltenden Versuche des Kremls, die Ukraine als verhandlungsunfähig darzustellen“, lautete dementsprechend die Analyse des amerikanischen Instituts für Kriegsstudien.
Wladimir Putin tadelt öffentlich seine Regierungsbeamten
Der Kremlchef versuche mit seinen Äußerungen und dem öffentlichen Tadel für Regierungsbeamte, die Kontrolle über die offizielle Darstellung der Situation in Kursk zu behalten, schrieben die US-Analysten in ihrem aktuellen Lagebericht weiter.
Putin versuche unbedingt „innenpolitische Unzufriedenheit“ zu verhindern, um die Stabilität des Kremls nicht in Gefahr zu bringen. Gleichzeitig scheint der Kremlchef jegliche persönliche Verantwortung für die Lage in Kursk von sich weisen – und sich als Kümmerer inszenieren zu wollen. So hatte der Kreml in der letzten Woche bereits die Staatsmedien in Russland angewiesen, stets zu erwähnen, dass Putin „niemanden allein lassen“ würde.
„Putin weist politische Verantwortung grundsätzlich zurück“
Das sei keine neue Methode, erklärt der Historiker und Russland-Experte Matthäus Wehowski. „Putin erhebt einen totalen Machtanspruch – weist politische Verantwortung aber grundsätzlich zurück.“ Noch im Mai habe der Kremlchef angekündigt, Russland werde an der Grenze eine „Sanitärzone“ schaffen, in der es keine militärischen Aktionen der Ukraine geben dürfe. Dieses Vorhaben sei nun offensichtlich gescheitert.
„Putin schiebt die Verantwortung aber den lokalen Behörden zu“, so Wehowski. Dadurch herrsche erneut „totales Chaos“ und „Kompetenzwirrwarr“ in der russischen Führungsebene, während sich die russische Bevölkerung über „Chaos und Desorganisation“ beklage. Der Vorstoß der Ukraine offenbare so die „enormen Defizite russischer Staatlichkeit“, schrieb der Historiker bei X.
Putins Durchhalteparolen: Spott für den „Personaler“ im Kreml
Tatsächlich wirken die Aussagen des Kremlchefs fast schon wie Durchhalteparolen. Durch die ukrainische Offensive in Kursk hätten sich noch mehr Russen gemeldet, die gerne der Armee beitreten wollen, behauptete Putin. Außerdem sei die Unterstützung für die Armee in den letzten Tagen gewachsen, führte der Kremlchef aus.
Russische Telegram-Kanäle erweckten in den letzten Tagen jedoch einen anderen Eindruck: Viel Kritik am Vorgehen und der Kommunikation Moskaus war dort zu lesen – neben schonungslosen Lageberichten aus Kursk, die von ukrainischen Geländegewinnen berichteten.
Putins Worte sorgen daher auch für Spott und Häme: Es mache Spaß zu beobachten, wie der Krieg den Kremlchef „von einem Despoten in einen Personaler eines mittelgroßen Unternehmens verwandelt hat, der jeden Quartalsrückschlag einfach in eine fröhliche Rekrutierungskampagne verwandeln muss“, spottete der Politikwissenschaftler Aleksandar Djokic am Montag bei X.
„Jetzt können wir sehen, was sein Finale sein wird – es ist wieder Kursk“
Und auch aus Kiew kommen in diesen Tagen markante Worte. „Vor 24 Jahren kam es zur Kursk-Katastrophe, die den symbolischen Beginn von Putins Herrschaft markierte“, sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in seiner abendlichen Ansprache am Montag.
Selenskyj spielte damit auf den Untergang des Atom-U-Bootes Kursk im Jahr 2000 an. „Jetzt können wir sehen, was sein Finale sein wird – es ist wieder Kursk, die Katastrophe seines Krieges“, fügte der ukrainische Präsident an.
Selenskyj über Offensive in Kursk: „Es ist nur fair“
Bisher scheint Kiews Plan in Kursk weitestgehend aufzugehen. Die von Putin gewünschte „Sanitärzone“ an der Grenze hat nun vorerst die Ukraine errichtet – und Putin damit bloßgestellt und in Zugzwang gebracht. Der Feind werde eine „würdige Antwort“ erhalten, kündigte der Kremlchef am Montag an.
„Es ist nur fair, die russischen Terroristen dort zu vernichten, wo sie sind und von wo aus sie ihre Angriffe starten“, erklärte Selenskyj unterdessen. Das Ziel bleibe jedoch eine Annäherung an den Frieden. „Wenn Putin so dringend weiter Krieg führen will, muss Russland zum Frieden gezwungen werden.“
Für diesen Kurs gab es zu Wochenbeginn auch Unterstützung aus der USA. „Was ich über Kursk denke? Mutig, brillant, wunderschön. Weiter so“, erklärte US-Senator Lindsey Graham bei einem Besuch in Kiew. „Putin hat damit angefangen, tretet ihm in den Arsch.“