Die Ukraine äußert sich erstmals zu den Zielen ihrer Offensive. Die Kämpfe in Kursk sorgen derweil für einige Verunsicherung in Russland.
Putins „Blamage“ in KurskUkraine rückt in Russland weiter vor – nun offenbar auch nach Belgorod
Die ukrainische Offensive in der russischen Grenzregion Kursk dauert weiterhin an. In mehreren Ortschaften ist es auch am Sonntag zu Gefechten gekommen. Laut Angaben des Verteidigungsministeriums in Moskau seien ukrainische Truppen mittlerweile bis zu 30 Kilometer tief auf russisches Territorium vorgestoßen.
„Eine harte Reaktion der russischen Streitkräfte wird nicht lange auf sich warten lassen“, drohte die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, am Sonntag – und kündigte an, die Auftraggeber und die Täter der „Verbrechen“ in Kursk würden zur Rechenschaft gezogen.
Kursk: Russische Kriegsblogger widersprechen Angaben des Kreml
Während der Kreml am Wochenende erneut behauptete, der ukrainische Vormarsch in der Region habe gestoppt werden können, legen Berichte von russischen Kriegsbloggern, die seit Beginn der ukrainischen Offensive immer wieder Falschangaben aus Moskau entlarvt haben, andere Schlüsse nahe.
Erneut kursierten zuletzt einige Videos, die zeigen sollen, wie sich russische Truppen in Kursk ergeben und von ukrainischen Soldaten gefangen genommen werden. Unabhängig überprüfen lassen sich die Aufnahmen derzeit nicht.
Ukraine nennt erstmals Ziele in Kursk: „Lage in Russland destabilisieren“
„Wir befinden uns in der Offensive“, sagte ein ukrainischer Sicherheitsverantwortlicher am Sonntag gegenüber Medien. „Tausende“ ukrainische Soldaten seien an dem Vorstoß in Kursk beteiligt. Ziel sei es, „die Stellungen des Feindes auseinander zu ziehen, ihm maximale Verluste zuzufügen und die Lage in Russland zu destabilisieren.“
Erstmals hat sich die Ukraine somit zu den konkreten Zielen ihrer Offensive geäußert. Zuvor hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bereits erklärt, der Krieg solle auf russischen Boden verlagert werden. Die Ukraine beweise so, dass sie „Gerechtigkeit schaffen“ und „Druck auf den Aggressor“ ausüben könne, so Selenskyj am Samstag.
Ukrainische Offensive in Kursk: Blamage für Wladimir Putin
Tatsächlich wird der bereits seit Tagen erfolgreiche ukrainische Angriff weithin als Blamage für Kremlchef Wladimir Putin gewertet. Die Lage in Kursk sei eine „Blamage“ für Putin, bilanzierte der US-Sender CNN am Wochenende. Der Kremlchef selbst hat die staatlichen Medien unterdessen angewiesen, zurückhaltend über die Offensive in Kursk zu berichten – und zu betonen, dass Moskau „niemanden allein lasse“.
In Kiew rechnet man derweil mit einer russischen Reaktion auf die Offensive in Kursk. Die Vorbereitungen für einen massiven Raketenangriff auf „Entscheidungszentren“ in der Ukraine würden in Russland bereits getroffen, sagte der ukrainische Sicherheitsverantwortliche, der anonym bleiben wollte.
Russen reagieren verunsichert und wütend auf Angriff in Kursk
Die ukrainische Offensive auf russischem Hoheitsgebiet bleibt unterdessen nicht ohne Wirkung in der russischen Gesellschaft. Nachdem zuvor bereits Videos kursierten, in denen Bewohner von Kursk um Hilfe von Putin baten, äußerten sich nun auch Russen in Moskau gegenüber der Nachrichtenagentur AFP kritisch.
„Soweit wir wissen, gibt es schwere Verluste unter den Soldaten auf russischer Seite und viele zerstörte Wohngebäude“, sagte ein Mann mit dem Namen Denis. Es stelle sich die Frage, wer dafür zur Rechenschaft gezogen werden muss.
„Sie sind zwar weit weg, aber es fühlt sich sehr nah an“
Seiner Meinung nach handele es sich entweder um einen „sehr schlauen Plan“ der Ukrainer – oder um das Ergebnis von „Fehlern“ des russischen Armee-Kommandos. „Sie sind zwar weit weg, aber es fühlt sich sehr nah an“, räumte auch Victoria, eine 36-jährige IT-Analystin ein.
Auch die vom Kreml verhängte Nachrichtensperre zur Lage in Kursk sorgt bei einigen Russen für Ärger. Niemand wisse, „was gerade passiert“, erklärte Maria, die Ehefrau von Denis. Die Menschen würden „an der Nase herumgeführt“, in TV-Sendungen werde behauptet, dass der Feind gestoppt worden sei. „Aber die Leute vor Ort – wir haben Verwandte in Kursk – sprechen von einer Schmach“, fügte sie an.
Offensive in Kursk: „Die Leute vor Ort sprechen von einer Schmach“
Dass die Ukraine entgegen der Angaben aus dem Kreml weiterhin in Kursk vorrückt, berichtet derweil auch das amerikanische Institut für Kriegsstudien. „Geolokalisiertes Filmmaterial sowie russische und ukrainische Berichte deuten darauf hin, dass ukrainische Streitkräfte in Kursk nach Westen und Nordwesten vorgerückt sind, obwohl russische Quellen größtenteils behaupten, die russischen Streitkräfte hätten die Lage stabilisiert“, schreiben die US-Analysten in ihrem Lagebericht.
Auch russische „Z-Blogger“ berichteten zu Wochenbeginn von weiteren Vorstößen der ukrainischen Truppen, die sich nun offenbar auch auf Orte in der benachbarten Grenzregion Belgorod erstrecken.
Seit Stunden versuche „der Feind, unsere Verteidigungslinie in der Nähe des Dorfes Kolotilowka zu durchbrechen“, berichtete einer der russischen Kriegsblogger am Montagmorgen. „Ein Artillerieduell ist im Gange. Grenzsoldaten und Streitkräfte befinden sich in einem Feuergefecht“, hieß es weiter.
Russland verlegt angeblich Truppen von der Front nach Kursk
Unbestätigten Berichten zufolge soll die russische Armee unterdessen am Wochenende damit begonnen haben, Truppen, die eigentlich an der Front in den besetzten ukrainischen Gebieten stationiert waren, nach Kursk zu verlegen. Die von Kiew mutmaßlich anvisierte Entlastung für die eigenen Truppen an der Front könnte somit bereits gelungen sein.
Zuletzt hatten ukrainische Truppen einen russischen Nachschubkonvoi in Kursk mit HIMARS-Raketen zerstört. Russland soll dabei eine dreistellige Zahl an Soldaten und einige Panzer verloren haben. Ähnliches dürfte Kiew nun auch mit weiteren russischen Verstärkungen vorhaben. (mit afp/dpa)