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„Einer der blutigsten Angriffe im Krieg“Ukraine zerstört Nachschubkonvoi in Kursk – Russen flehen Putin um Hilfe an

Lesezeit 4 Minuten
Ein Foto, das vom russischen Verteidigungsministerium veröffentlicht wurde, soll ukrainische Militärfahrzeuge in der russischen Region zeigen.

Ein Foto, das vom russischen Verteidigungsministerium veröffentlicht wurde, soll ukrainische Militärfahrzeuge in der russischen Region zeigen.

Moskau verliert erst Soldaten und Fahrzeuge – und schießt dann auf einen Supermarkt. Kiews Truppen nähern sich dem AKW in Kursk.

Die ukrainische Invasion in der russischen Grenzregion Kursk dauert am Freitag weiter an, das meldet das russische Verteidigungsministerium in Moskau. Aufnahmen, die in sozialen Netzwerken kursieren, deuten ebenfalls darauf hin, dass die Gefechte in der Region weitergehen – und sich ausgedehnt haben. Die Behörden in Moskau haben unterdessen einen nationalen Notstand ausgerufen, zuvor war lediglich in der Region Kursk der Ausnahmezustand verhängt worden.

Moskau behauptete auch am vierten Tag des ukrainischen Angriffs, die Vorstöße auf russischem Hoheitsgebiet seien zurückgeschlagen worden. Derartige Behauptungen hatten die russischen Ministerien bereits zu Beginn der Offensive verbreitet – dem russischen Militär nahestehende Kriegsblogger schilderten derweil eine deutlich andere Lage und berichteten über ein kilometerweites Vorrücken der ukrainischen Truppen. Westliche Analysten bestätigten die ukrainischen Landgewinne.

Invasion in Kursk: Immer wieder Falschangaben aus Moskau

Mit viel Zeitverzug räumte auch Moskau die erfolgreiche ukrainische Invasion schließlich ein, vermeldet seit dem jedoch jeden Tag aufs Neue angebliche Erfolge, die sich zunächst nicht nachvollziehen lassen. Laut einem Bericht des russischen Exilmediums „Meduza“ bekamen staatliche Medien in Russland klare Anweisungen, wie sie über die Situation in Kursk berichten sollen.

Eine russische Militärkolonne auf dem Weg in die Region Kursk.

Eine russische Militärkolonne auf dem Weg in die Region Kursk.

Die Lage in Kursk bleibt derweil unübersichtlich. Die ukrainischen Truppen haben mehrere Ortschaften besetzt, darunter auch die Kleinstadt Sudscha, in der sich eine Messtation einer wichtigen russischen Gaspipeline befindet. Russland hat unterdessen offenbar Verstärkungen in die Region entsandt. Das Verteidigungsministerium in Moskau veröffentlichte mehrere Videos, die russische Truppen auf dem Weg nach Kursk zeigen sollen.

Angriff auf russische Kolonne: „Ein ganzes Bataillon wurde vernichtet“

Zuvor hatten Kriegsblogger auf einen ukrainischen Angriff auf einen der Verstärkungskonvois berichtet, rund 100 russische Soldaten sollen dabei am Donnerstagabend getötet oder verwundet worden sein. Außerdem seien mindestens zwölf russische Fahrzeuge zerstört worden, berichteten die Blogger.

„Ein ganzes Bataillon wurde vernichtet, dem Aussehen der Kolonne nach zu urteilen, wurde etwa die Hälfte getötet“, berichtet einer der russischen „Z-Blogger“ in seinem Telegram-Kanal. „Das ist einer der blutigsten und massivsten Angriffe im gesamten Krieg“, hieß es weiter. In einem Video, das die getroffene Kolonne zeigen soll, waren komplett ausgebrannte Fahrzeuge und einige Leichen am Straßenrand zu sehen.

Russischer Kampfhubschrauber wohl erneut von Drohne getroffen

Erneut soll es der Ukraine zudem gelungen sein, einen russischen Kampfhubschrauber mit einer Drohne flugunfähig zu machen. Bereits zu Beginn der Offensive war die Zerstörung eines Helikopters durch eine ukrainische Drohne gemeldet worden. Unabhängig überprüfen lassen sich diese Angaben jedoch derzeit nicht.

Am Freitag meldeten „Z-Blogger“ schließlich auch Gefechte „einige Kilometer“ entfernt vom Atomkraftwerk in Kursk, das sich rund 60 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt befindet.

Ukrainische Truppen sollen sich Atomkraftwerk in Kursk nähern

Zuvor hatte es Gerüchte gegeben, die Eroberung des AKW könnte eines der Ziele der ukrainischen Offensive sein. „Russische Soldaten geben ihr Bestes, um zu verhindern, dass diese feindlichen Träume wahr werden“, schrieb der Bürgermeister von Kurtschatow, wo sich das AKW befindet, am Freitag bei Telegram.

Die Stimmung in der Region Kursk scheint derweil immer mehr zu kippen. In mehreren Videos wandten sich Bewohner an Wladimir Putin und flehten um Hilfe. „Wir haben unser Land verloren, wir sind unter Beschuss geflohen und wir haben keine Ausweisdokumente“, erklären darin einige Russen ihre Lage nach der ukrainischen Invasion.

Wut in Kursk: „Wladimir Wladimirowitsch, wir brauchen Hilfe“

„Wir appellieren an Sie, Wladimir Wladimirowitsch, wir brauchen Hilfe, wir sind allein“, heißt es weiter. Kremlchef Putin hat unterdessen die russischen Staatsmedien angewiesen, bei ihren Berichten über die Lage in Kursk zu betonen, dass der Kreml „niemanden allein lassen“ würde. Zuvor hatte Putin von einer „groß angelegten Provokation“ der Ukraine gesprochen.

Unklarheit gibt es derweil weiterhin über die konkreten Ziele der ukrainischen Invasion. Kiew äußert sich bisher nur kryptisch zu dem Angriff auf die russische Grenzregion.

Selenskyj: Russland soll „spüren, was es getan hat“

Am Donnerstagabend erklärte Präsident Wolodymyr Selenskyj in seiner allabendlichen Ansprache, Russland habe den Krieg über die Ukraine gebracht, nun solle es „spüren, was es getan hat“, die Region Kursk erwähnte Selenskyj dabei jedoch nicht direkt.

Die ukrainischen Angriffe gehen mittlerweile jedoch auch über Kursk hinaus. Die ukrainische Armee hat sich zu einem Drohnenangriff auf einen Militärflugplatz in der russischen Region Lipezk bekannt. Bei dem Angriff seien „Depots mit Lenkbomben und andere Einrichtungen im Bereich des Luftwaffenstützpunkts“ getroffen worden, erklärte am Freitag der ukrainische Generalstab. Die Stadt Lipezk ist rund 330 Kilometer von der hinter der ukrainischen Grenze gelegenen Stadt Kursk entfernt.

Mindestens zehn Tote: Russland beschießt Supermarkt in der Ukraine

Während Russland seine Militärpräsenz in der Region nun verstärkt, gehen die Angriffe auf zivile Ziele in der Ukraine ungebrochen weiter. Am Freitag sind nach ukrainischen Angaben mindestens zehn Menschen bei einem russischen Raketenangriff auf einen Supermarkt in der Stadt Kostjantyniwka im Donbass getötet worden.

Aufnahmen aus der Stadt zeigen den Supermarkt in Flammen, dichter schwarzer Rauch steigt über dem Geschäft auf. „Russische Terroristen haben einen Supermarkt und eine Poststelle beschossen“, erklärte Präsident Selenskyj. Russland beschießt seit Kriegsbeginn immer wieder zivile Ziele in der Ukraine.

Zuletzt hatte Kremlchef Putin der Ukraine vorgeworfen, bei ihrer Offensive in Kursk ebenfalls zivile Ziele ins Visier genommen zu haben. Belege dafür legte Moskau bisher jedoch nicht vor. „Russland wird für diesen Terror zur Verantwortung gezogen“, kündigte Selenskyj unterdessen am Freitag an.