Saporischschja/Prag – Auf dem Weg zu ihrer Inspektionsreise des umkämpften ukrainischen Atomkraftwerks sind die Experten der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) in der südukrainischen Großstadt Saporischschja eingetroffen. Die Anreise aus der Hauptstadt Kiew dauerte rund neun Stunden.
Wann die 14-köpfige Mission unter Leitung von IAEA-Chef Rafael Grossi weiter in das von Russland besetzte Atomkraftwerk im 120 Kilometer entfernten Enerhodar fährt, war zunächst unklar. Die EU will ein Abkommen zur Erleichterung der Visa-Vergabe für Reisende aus Russland vollständig aussetzen.
Neuer Beschuss des AKW Saporischschja gemeldet
Kurz vor der Anreise der IAEA-Experten wurde das Atomkraftwerk nach Angaben der russischen Besatzungsverwaltung erneut beschossen. Es habe mehr als 60 Einschläge durch Drohnenangriffe und Artilleriebeschuss auf dem Kraftwerksgelände und in der Umgebung gegeben, teilte der Vertreter der russischen Besatzer, Wladimir Rogow, auf Telegram mit. Opfer habe es nicht gegeben.
Der häufige Beschuss hatte international Sorge vor einer Atomkatastrophe ausgelöst. Kiew und Moskau beschuldigen sich gegenseitig. Russland zeigte sich offen für eine dauerhafte Mission der Atomexperten. Zunächst sollten aber erste Ergebnisse des Aufenthalts abgewartet werden, sagte der stellvertretende Außenminister Andrej Rudenko.
Greenpeace dämpft Erwartungen an IAEA-Inspektion
Die Zeit für eine gründliche Untersuchung sei viel zu kurz, sagte der Greenpeace-Experte Heinz Smital. Zudem habe Russland etwa über den Energieriesen Rosatom großen Einfluss auf die IAEA. „Dies könnte dazu führen, dass die Delegation weniger Kritik übt, als es angemessen wäre. Ihre Ergebnisse werden daher kritisch zu hinterfragen sein”, sagte der Atomphysiker Smital. Mit sechs Blöcken und einer Nettoleistung von 9500 Megawatt ist Saporischschja das größte Atomkraftwerk Europas. Vor dem Krieg hatte es mehr als 10.000 Mitarbeiter.
EU setzt Visaabkommen mit Moskau aus
Die Aussetzung des Visa-Abkommens soll EU-Mitgliedstaaten unkompliziert Einreisebeschränkungen für Russinnen und Russen ermöglichen sowie Kosten und Aufwand für Antragsteller erhöhen. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sagte bei einem Treffen der Außenminister in Prag, das Aussetzen des Abkommens werde die Zahl der neu ausgestellten Visa signifikant reduzieren.
Reisende aus Russland könnten nach Einschätzung von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock künftig Monate auf ein Visum warten. Gleichzeitig werde es weiterhin möglich sein, etwa Studenten und Journalisten die Einreise zu ermöglichen. Es müsse verhindert werden, dass sich die Menschen aus Frust über westliche Sanktionen eher gegen die EU wenden als gegen ihren eigenen Präsidenten.
Deutschland wirbt für achtes EU-Sanktionspaket
Außenministerin Annalena Baerbock sagte am Rande eines EU-Treffens in der tschechischen Hauptstadt Prag, die Bundesregierung habe Vorschläge gemacht. Details nannte die Grünen-Politikerin nicht. Die Bundesregierung dürfte aber insbesondere auf die Einführung einer internationalen Preisobergrenze für russisches Öl dringen. So könnte Russland dazu gezwungen werden, Öl künftig für einen deutlich niedrigeren Preis an große Abnehmer wie Indien zu verkaufen. Die Hoffnung ist, dass dies zu einer Entspannung an den Märkten führt. Zudem soll Russland nicht mehr von Preisanstiegen für Öl profitieren und damit seine Kriegskasse füllen.
Baerbock will neue EU-Leitlinien für Umgang mit Russland
Da es kein Zurück mehr zur Zeit vor dem russischen Angriff am 24. Februar geben werde, sei eine „strategische Neuausrichtung” der Russlandpolitik nötig, sagte die Außenministerin. Zentral seien dabei vier Punkte. Diese seien die Stärkung der eigenen Wehrhaftigkeit, die Unterstützung von russischen Regimegegnern, die Unterstützung der Ukraine sowie die Zusammenarbeit mit weltweiten Partnern bei der Verteidigung des internationalen Rechts. Den Vorschlag hat Baerbock nach eigenen Angaben zusammen mit ihrer französischen Kollegin Catherine Colonna erarbeitet.
Ukrainer drängen laut London russische Truppen teils zurück
Nach Einschätzung britischer Geheimdienste haben die ukrainischen Streitkräfte im Süden ihres Landes die russischen Angreifer ein Stück weit zurückgedrängt. Seit Montag habe es auf mehreren Achsen Angriffe auf russische Einheiten gegeben, was die südliche Frontlinie teilweise verschoben habe, hieß es in einem Kurzbericht des britischen Verteidigungsministeriums.
Moskau meldete unterdessen schwere Verluste der Ukrainer. Diese Angaben ließen sich nicht unabhängig überprüfen. Die ukrainische Führung selbst gibt seit Beginn der Offensive gar keine Informationen zu deren Verlauf heraus. Russische Quellen schrieben dagegen, dass die moskautreuen Truppen an einigen Abschnitten selbst stark unter Druck gekommen seien.
Gazprom klemmt Ostsee-Pipeline für drei Tage ab
Wie angekündigt wurde die Gaslieferung über die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 am frühen Mittwochmorgen gestoppt. Der Staatskonzern Gazprom hatte angekündigt, dass die Lieferungen über die zuletzt wichtigste Route nach Deutschland für russisches Gas wegen Wartungsarbeiten vorübergehend eingestellt werden. Demnach sollen die Lieferungen am frühen Samstagmorgen wieder aufgenommen werden.
Die Bundesregierung und die Bundesnetzagentur zweifeln die angegeben technischen Gründe an. Bereits im Juli war die Gaslieferung durch Nord Stream 1 tagelang lang eingestellt worden - damals allerdings wegen alljährlicher und langfristig angekündigter Wartungsarbeiten.
EU erreicht Gasspeicherziel zwei Monate im Voraus
Laut Daten der europäischen Gasspeicher-Betreiber waren die europäischen Reserven am Mittwoch zu 80,1 Prozent voll. Die deutschen Gasspeicher überschritten die Marke und waren laut den Daten am Mittwoch zu knapp 84 Prozent gefüllt. Wegen des russischen Kriegs gegen die Ukraine hatte die Europäische Union ein neues Gesetz erlassen, wonach die Reservoirs in diesem Jahr bis zum 1. November zu 80 Prozent gefüllt sein müssen. Ziel ist es, bei einem Totalausfall russischer Gaslieferungen besser gewappnet zu sein.
In Deutschland gilt, dass die Speicher am 1. Oktober zu mindestens 85 Prozent und am 1. November zu mindestens 95 Prozent voll sein sollen. Die bei einem Füllstand von 95 Prozent gespeicherte Gasmenge entspricht etwa dem bundesweiten Verbrauch der beiden Monate Januar und Februar 2022.
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