Die Grünen-Politikerin Lamya Kaddor fordert Konsequenzen aus dem islamistischen Anschlag von Solingen.
Lamya Kaddor zu Solingen„Jeder ausländische Straftäter verwirkt mit schweren Verbrechen sein Schutzrecht“
Frau Kaddor, ist der Anschlag von Solingen eine Zäsur für die Sicherheitspolitik in Deutschland?
Was in Solingen geschehen ist, ist zunächst einmal grausam und erschütternd. Es bewegt jeden von uns, weil alle verstehen, was es bedeutet, nichtsahnend auf ein Stadtfest zu gehen und dann brutal angegriffen zu werden. Eine Zäsur könnte der Anschlag für die Diskussion um ein schärferes Waffenrecht sein, in der Bekämpfung des Islamismus sehe ich eher keine Zäsur. Leider.
Das sind jetzt verschiedene Themen. Mit schärferem Waffenrecht meinen Sie konkret das geplante Verbot, in der Öffentlichkeit große Messer zu tragen. Das würde Attentate wie das von Solingen aber nicht verhindern.
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Das ist richtig. Und es stimmt auch, dass man Menschen auch mit kleinen Messern töten kann, wenn man weiß, wo man hinstechen muss. Es geht hier auch nicht um einen einzigen Fall – wie jetzt eben den von Solingen. Es sind in letzter Zeit einfach zu viele Fälle geworden. Deshalb würde es das nachhaltig gestörte Sicherheitsempfinden vieler Menschen wieder stärken, wenn klar wäre: Niemand darf mit Messern herumlaufen. In der Jugendkultur besteht unbestreitbar eine gewisse Faszination für großformatige Messer, die dann als Beweis der Männlichkeit mitgeführt und herumgezeigt werden. Das weiß ich noch aus meiner Zeit als Lehrerin in der Schule. Von einem strikten Verbot ginge eine abschreckende Wirkung aus, da bin ich mir sicher. Es geht mir heute ja selbst so, dass ich mich in bestimmten Situationen unwohl fühle, weil ich mit Männern rechnen muss, die mit Messern bewaffnet sind.
Beim Täter von Solingen wurde offenbar eine ausgesprochene Abschiebung nicht vollzogen. Braucht es da künftig nicht doch mehr Konsequenz – bis hin zu den „Abschiebungen im großen Stil“, die mal vom Bundeskanzler angekündigt worden waren?
Das Bundesinnenministerium prüft derzeit genau solche Maßnahmen. Jeder ausländische Straftäter verwirkt mit schweren Verbrechen sein Schutzrecht in Deutschland. Das müssen wir so klar sagen und auch entsprechend klar handeln. Aber auch wenn wir noch so viele ausländische Kriminelle abschieben, den gewaltbereiten Islamismus als Phänomen werden wir nicht abschieben können. Die Vorstellung ist absurd, gewaltbereite Islamisten müssten eigens als Flüchtlinge in unser Land eingeschleust werden. Der Islamismus lebt vielmehr davon, immer neue Wege zu finden, überall Menschen zu ideologisieren und zu radikalisieren. Wir sollten deshalb viel mehr auf die Radikalisierung im Internet und den Islamismus schauen, der „home grown“ – hausgemacht – ist.
Was ist dagegen zu tun?
Wir brauchen ein ganzes Maßnahmenpaket. In dem Maße, in dem sich die Radikalisierung aus den berühmten Hinterhofmoscheen in den digitalen Raum verlagert, muss aufsuchende Sozialarbeit dort geleistet werden. Dafür braucht es Programme mit langfristiger, systematischer Förderung.
Müssen auch die Plattformbetreiber stärker in die Pflicht genommen werden?
Definitiv. Insofern ist die Festnahme des Telegram-Gründers in Frankreich aus meiner Sicht genau das richtige Signal. Um es ganz deutlich zu sagen: Die Plattformen sind mitverantwortlich für die Radikalisierung hin zu Verbrechen, über die dort zuerst vielleicht nur fantasiert wird, die dann aber im Netz Gestalt annehmen. Es darf nicht sein, dass man auf diesen Plattformen ungehindert von den Betreibern schwerste Straftaten planen, Anleitungen zum Bombenbau oder eine Turboradikalisierung zum Selbstmord-Attentäter durchlaufen kann, wie es womöglich auch beim Attentäter von Solingen der Fall war.
Wie kommen Sie darauf?
Alles spricht bislang dagegen, dass er ein eingeschleuster IS-„Schläfer“ war, der jetzt aktiviert wurde. Der wäre typischerweise kaum weggerannt, hätte sein Messer nicht einfach weggeworfen und hätte sich schon gar nicht der Polizei gestellt.
Wo sehen Sie noch Handlungsbedarf?
Bei den Islamverbänden zum Beispiel. Die organisierten Muslime müssen – zusammen mit dem Staat – überlegen, wie ihr Anteil am Kampf gegen den Islamismus aussieht. Es reicht nicht, ständig die Schutzbehauptung zu wiederholen, der Islamismus habe nichts mit dem Islam zu tun. Immerhin beruft der Islamismus sich auf den Islam. Das erfordert mindestens ein planvolles gemeinsames Vorgehen, ohne die Muslime und ihre Verbände zu stigmatisieren. Es ist nicht ihre Aufgabe allein, den Islamismus zu bekämpfen. Aber es ist auch ihre Aufgabe – mit uns gemeinsam.