Ein Jahr nach der Räumung des Hambacher Forstes steht Innenminister Herbert Reul (CDU) in der Kritik.
Der Vorwurf: Der Politiker habe sich vor den Karren des Energiekonzerns RWE spannen lassen.
Reul weist das vehement zurück. Er betont, es sei darum gegangen, Recht durchzusetzen.
Der Innenminister erläutert auch, warum er den Forst jetzt nicht erneut räumen lassen will.
Herr Reul, Kritiker werfen Ihnen vor, sie hätten sich bei der Räumung der Baumhäuser im Hambacher Forst zum Büttel von RWE gemacht. Stimmt das?
Das ist blanker Unsinn. An den Gesprächen mit RWE ist absolut nichts Geheimnisvolles. Die Termine fanden auf Wunsch des Unternehmens statt. RWE hat vorgetragen, wie die Rodung geplant war. Wir haben deutlich gemacht, dass der Einsatz, sollte es zu einem Amtshilfeersuchen anderer Behörden kommen, nach unseren Regeln laufen wird. Ich war weder Erfüllungsgehilfe noch Büttel von RWE. Im Übrigen: Die Rechtsgrundlage für die Rodung hat die Vorgänger-Regierung geschaffen.
RWE hatte zum Beispiel die Vorstellung, nur 200 eigene Sicherheitskräfte pro Schicht einzusetzen. Das war uns viel zu wenig. Es gab auch unterschiedliche Vorstellungen über den Zeitrahmen der Rodung. RWE wollte die Arbeiten nach und nach durchführen. Wir waren für mehr Tempo. Uns schwebte ein Einsatz an vier Tagen pro Woche vor, weil wir die Polizei an Wochenenden auch für Fußballeinsätze benötigen. Außerdem sollte sich der Einsatz sich nicht über Weihnachten und Silvester hinziehen. In dieser Zeit soll die Polizei Überstunden abbauen. Wir hatten eine maximale Einsatzdauer von sechs Wochen angepeilt.
Wie oft waren Sie persönlich an den Gesprächen beteiligt?
Zwei Mal. Am 16. Juli gab es das Treffen mit dem Braunkohle-Vorstand. Der hatte ein paar seiner Mitarbeiter mitgebracht, den Leiter Konzernsicherheit zum Beispiel. Auf unserer Seite waren außer mir noch Staatssekretär Mathies und ein paar Fachleute aus dem Haus dabei. Am 15. August war RWE-Chef Rolf Schmitz bei mir.
Warum war das nötig?
Er wollte noch einmal bekräftigen, dass RWE diesmal in jedem Fall auf seinem Rodungsrecht bestehen würde. 2017 hatte das Unternehmen die Rodung ja noch einmal verschoben. Ich musste doch wissen: Machen die das oder nicht? Für so einen Einsatz brauchen wir Hundertschaften aus ganz Deutschland.
Wie kam es zu der Entscheidung, die Räumung mit dem Baurecht zu begründen?
Das war das Ergebnis der rechtlichen Prüfung durch die Kanzlei Baumeister. Es ist einem Laien schwer zu erklären, aber das Polizeirecht hätte keine Möglichkeit zur Räumung gegeben.
Warum nicht?
Das sind formale Gründe. Wenn es vorrangige Rechtsnormen gibt, ist das Polizeirecht grundsätzlich nachrangig. Das Problem: Um diese vorrangigen Rechtsnormen durchzusetzen, muss man wissen, gegen wen man vorgeht. Genau das wissen wir bei den Baumbesetzern eben nicht. Die laufen ja nicht zufällig nur vermummt durch den Wald. Wenn Sie von einem Übeltäter weder Namen noch Anschrift kennen, haben Behörden und Gerichte keine Chance. Daher blieb uns nur der Weg über das Baurecht. Mit dem Argument, dass Gefahr in Verzug ist, kann man auch ohne ladungsfähige Anschrift räumen.
Hätten sie nicht klar sagen müssen, dass der Rückgriff auf den Brandschutz eine Krücke war?
Krücke klingt mir zu sehr nach Fummelei. Unser Handeln war ja rechtlich einwandfrei. Das haben uns die Verwaltungsgerichte in zwei Instanzen bestätigt. Wenn der Staat Recht und Gesetz durchsetzen will, muss er manchmal ungewöhnliche Wege gehen. Denken Sie nur an den Mafiaboss Al Capone. Den hat man am Ende auch nicht wegen Einbetonierens drangekriegt, sondern wegen Steuerhinterziehung. Mag sein, dass wir das besser hätten erklären können. Ich bin aber nicht sicher, ob das die Debatte verändert hätte. Ich glaube, die Kritiker hätten unser Vorgehen trotzdem verurteilt.
Warum konnten Sie sich an die Treffen mit RWE nicht erinnern?
Natürlich konnte ich mich erinnern. Ich hatte einfach die zeitlichen Abläufe nicht mehr im Kopf. Ich hatte in Erinnerung, die Termine mit RWE seien früher im Jahr gewesen. Ich habe übrigens immer versucht, die Kontakte zu RWE auf das Nötigste zu begrenzen. Mir war klar, dass eine zu große Nähe in der Situation nicht angebracht war.
Die Baumhäuser sind wieder da. Die Brandgefahr auch. Warum räumen Sie jetzt nicht?
Das ist ein Dilemma. Rein juristisch ist die Lage mit 2018 zu vergleichen. Aber es wäre unklug, jetzt einzugreifen. Auch wenn wir im Recht sind. Die Lage hat sich komplett geändert.
Warum sich die Lage geändert?
Erstens: RWE stand vor einem Jahr mit den Baggern da und wollte roden. Heute will kein Mensch mehr in den Wald. Zweitens: Damals strömten zunehmend Kriminelle in den Forst. Davon gibt es heute noch genug, aber es werden nicht mehr. Der Kreis ist überschaubar. Ein Ergebnis der Kohlekommission ist, dass der Hambacher Forst erhalten bleiben soll. Deswegen wird RWE wohl keine Rodung durchführen. Ein erneuter Polizeieinsatz wäre unklug. Wir unternehmen Riesenanstrengungen, dass die Verhandlungen mit RWE zu den Entschädigungen abgeschlossen werden.
Wie geht es dann weiter?
Ich erwarte, dass die Besetzer sich zurückziehen. Das muss spätestens passieren, wenn der Kohlekompromiss steht und der Wald in Sicherheit ist.
Kritiker behaupten, die Kanzlei Baumeister habe eine besondere Nähe zu RWE.
Da werden von interessierter Seite fleißig Gerüchte gestreut. Der Grund für die Wahl der Kanzlei ist total einfach: Sie hat vor einiger Zeit die Stadt Duisburg erfolgreich bei der Räumung von Problemimmobilien beraten. Das war entscheidend.
Die Kanzlei wurde am 10. August mit dem Gutachten beauftragt. In Unterlagen findet sich ein Vermerk der Kanzlei vom Vortag. Wie ist das zu erklären?
Es musste schnell gehen. Die Kanzlei hat mit der Arbeit schon begonnen, bevor der Vertrag unterschrieben war. Das ist üblich.
Am Ende wurde ein gesellschaftlicher Konflikt auf dem Rücken der Polizei ausgetragen, oder?
Die Polizei muss Recht durchsetzen. Egal ob bei Clans, bei den Rechten in Dortmund oder im Hambacher Forst.
Was würden Sie beim nächsten Mal anders machen?
Das kann man nicht sagen. Ich hatte nur eine Sorge: Hoffentlich passiert nichts. Leider hat es ja doch einen Todesfall gegeben.
Nach dem Ärger um Ihre Erinnerungslücken – werden Sie gewissenhafter kommunizieren?
Jeder Versuch, mich zum Verwaltungsfachangestellten umzuschulen, ist zum Scheitern verurteilt. Ich bleibe lieber Politiker und ein Freund der klaren Aussprache. Ich halt es sonst einfach nicht aus. Ich weiß, dass ich als Innenminister eine besondere Verantwortung habe und sorgfältig mit Formulierungen umgehen muss. Ich versuche trotzdem, glaubwürdig und authentisch zu bleiben. Nur so kann man den Populisten das Wasser abgraben. Sicher werde ich noch den einen oder anderen Fehler machen. Aber im Gegensatz zu anderen Schlaumeiern gebe ich sie wenigstens zu.