Seit mehr als 24 Jahren talkt Maybrit Illner im ZDF. Im Interview spricht sie über Beschimpfungen, die Besetzung ihres Talks und Kritik an den Öffentlich-Rechtlichen.
Talkshow-UrgesteinWie wichtig ist Krawall in einer TV-Sendung, Frau Illner?
Früher haben Sie stets die Zuschauer mit dem Satz „Bleiben sie heiter“ verabschiedet. Ist der Satz den vielen Krisen zum Opfer gefallen?
Maybrit Illner Ja, klar. Der bietet sich in Anbetracht der weltpolitischen Lage nicht mehr an.
Wie hat sich die Stimmung in Ihrer Talkshow seit Beginn des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine verändert?
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Es ist eine ungekannte Situation. Im Grunde dachten wir nach der Pandemie doch, dass man jetzt endlich wieder raus und das Leben umarmen kann. Und dann kam dieser Krieg. Es hat sich niemand vorstellen können, dass auf europäischem Boden noch einmal so archaisch mit Panzern und Mann gegen Mann gekämpft würde. Ich glaube, das war und ist ein schwerer Schock. Und die Diskussionen, die wir führen, sind auch immer noch Ausdruck dieses Schocks. Es ist seit dem Zweiten Weltkrieg wohl die existenziell schwierigste Situation für viele Menschen in Europa.
Die öffentlichen Debatten zum Krieg kreisen um das Militärische sowie um Ökonomie und Soziales. Müsste man nicht auch mehr darüber sprechen, wie der Krieg uns als Gesellschaft verändert?
Das machen wir mittlerweile viel, weil es ja jeder spürt. „Es genügt ein Funken“, „die Erde kann uns um die Ohren fliegen“ – im Zusammenhang mit dem Krieg gibt es große und größte Sorgen, die Raum brauchen. Die zwei Demonstrationen für oder gegen Waffenlieferungen neulich konnten gegensätzlicher nicht sein und wollten doch das gleiche erreichen: den Frieden. Streit gibt es um den Weg. Und es ist wichtig, diese Debatte zu führen, ohne den anderen immer gleich zu denunzieren. „Bellizisten“ gegen „Lumpenpazifisten“, puh. Geht es eine Nummer kleiner? Als Jürgen Habermas jüngst seinen zweiten großen Essay schrieb, war das doch keine Anklage oder Streitschrift, die man bekämpfen muss, sondern eher ein großer Seufzer …
Sie haben jetzt beide Enden der Kriegsdebatte angesprochen. Beide Seiten fordern von den Medien Ausgewogenheit ein – bei den Öffentlich-Rechtlichen wird da ein besonders strenger Maßstab angelegt. Heißt das, dass man in jeder Sendung entweder einen AfD-Vertreter oder einen Sympathisanten des Friedensmanifests einladen muss? Ohne diese beiden gleichsetzen zu wollen.
Seit Beginn des Krieges gibt es öffentliche Briefe, die Verhandlungen und auch einen Stopp der Waffenlieferungen fordern. Viele derjenigen, die sie geschrieben oder unterschrieben haben, hatten wir in der Sendung: Julian Nida-Rümelin, Ranga Yogeshwar, Erich Vad, Johannes Warwick. Und sie waren dann auch nicht immer „allein“. Es saßen Politiker von der Linkspartei oder von der SPD an ihrer Seite, da es auch in der SPD ja viele nachdenkliche Stimmen gab. Ein Kevin Kühnert hat vor 12 Monaten noch anders argumentiert als heute. Rolf Mützenich tut es noch immer. Da sollte man es sich nicht zu einfach machen und simple parteipolitische Linien ziehen. Dann gab es innerhalb der Regierung heftigste Debatten: Marie-Agnes Strack-Zimmermann und Grüne gegen die SPD und Christine Lambrecht, die FDP gegen die Grünen – ein großes, rast- und streckenweise ratloses Suchen – in einer Situation, die ungekannt und erfahrungslos ist. Das alles haben wir versucht abzubilden.
Und die AfD?
...und die AfD hat zum Beispiel bei Corona zunächst sämtliche Meinungen vertreten. Auch zum Krieg gab es Streit. Wen also von der AfD? Lädt man sie ein, gibt es eine unproduktive Debatte, wer wann was gesagt hat und von wem widerlegt wurde. Die AfD fordert mittlerweile, dass Deutschland sofort wieder Putins Gas und Öl importieren soll. Wir sind mit unserer Sendung immer auf der Suche nach der besten Lösung für ein Problem. Da ist die Position: „Es gibt das Problem gar nicht!“ – eher nicht hilfreich. Aber wir werden die AfD wieder einladen, wenn es Sinn macht …
Sprechen Sie, wenn Sie die Sendung planen, auch über die Gefahr einer falschen Balance, die zum Übergewicht der Minderheitenmeinung führt?
Eher nicht. Aber klar, wenn Sahra Wagenknecht oder Alice Schwarzer eingeladen werden, besteht die Gefahr, dass mehr die Personen und ihre Ambitionen, als die Sachfragen im Mittelpunkt stehen. Es ist doch völlig nachvollziehbar, auf die Gefahren des Krieges hinzuweisen. Das haben auch Olaf Scholz und US-Präsident Joe Biden getan. Die meisten Menschen schauen voller Besorgnis in diese Welt ... Unser Job ist, nach profunden Informationen zu suchen, bei klugen Militärs genauso wie bei erfahrenen Konfliktforscherinnen oder Diplomaten, – und auf dieser Basis dann zu streiten und zu überlegen, wie ein schnelles, gutes Ende aussehen könnte.
Oft geht es aber polemisch zu. Wie legt man als Moderatorin Gäste an die Leine, die mit ihren steilen Thesen eine Debatte gänzlich an sich reißen?
Das ist dann eine klare redaktionelle Entscheidung. Dann stehen zwangsläufig diese Menschen mit ihren Thesen im Mittelpunkt und andere setzen sich mit ihnen kritisch auseinander. Ich sehe eher die Gefahr, dass JournalistInnen selbst zu sehr zum Treiber einer Idee werden. Es ist ein Unterschied, ob wir fragen: Wie ist da der Stand? Warum zögern Sie? Oder ob gefragt wird: Wann kommen die Leos endlich?
Von ostdeutscher Seite kommt häufiger der Vorwurf, dass deren Stimme und Sichtweise in den Medien nicht genug gehört wird. Sie sind selbst in der DDR aufgewachsen. Können Sie die Kritik nachvollziehen?
Den Eindruck teile ich nicht. Das ZDF macht seit Jahren wirklich eine Menge, aber ich habe vielleicht eine Erklärung für das Gefühl. Ostdeutsche sind in vielen Bereichen und selbst in staatlichen Institutionen immer noch unterrepräsentiert. Was man ihnen zutraut, kommt bis heute in Mildtätigkeit daher. Außerdem war es für den Westen nie attraktiv, sich mit dem Leben im Osten mal richtig zu befassen. Desinteresse und joviale Gesten – das ist keine gute Mischung … Und unsere Sendung müht sich natürlich immer, die diverse Frau aus dem Osten zu finden, die jung ist und in der IT-Branche arbeitet (lacht). Manchmal schaffen wir das sogar …
Wie wichtig ist Krawall in einer Sendung? Krawall im Sinne von Lautstärke, kontroverse Auseinandersetzung.
Das ist eine gute Frage. Wir sind nicht nur mit einem anderen Ton unterwegs, mit einer anderen Temperatur, sondern die Sendung selbst hat sich verändert, auch in Bezug auf das, was man schaffen kann in 60 Minuten. Bei diesem Krieg sind wir so sehr im Ungewissen, dass es immer ein riesiges Bedürfnis nach klaren belastbaren Informationen gibt. Und erst auf der Basis einer gesetzten Information kann dann diskutiert werden. Wir tragen oft erst einmal Mosaiksteine zusammen, damit ein Bild entsteht, um mit den klugen, engagierten Köpfen dann über das „Wie weiter?“ zu sprechen.
Das heißt also: Je verrückter die Welt ist, desto weniger verrückt muss die Sendung sein?
Ja vielleicht. Und dann müssen wir besprechen, was das jetzt auch für das Land heißt. Ist bei den Bürgern angekommen, dass Deutschland ärmer werden wird, dass die Energiepreise hoch bleiben werden, dass wir zusätzliche Arbeitskräfte brauchen, dass wir unsere Klimaziele verfehlen, weil auch grüne Politiker LNG-Terminals toll finden müssen? „Geschichte geschieht in Haufen“, sagt Thomas Heise, ein Autor aus dem Osten – und so ist das wohl! Da passieren so viele Dinge gleichzeitig, die wir uns in diesem reichen und zum Teil vielleicht auch verwöhnten Land anders gedacht und gewünscht haben, dass einem der Kopf raucht. Wir landen in einer Desillusionierung und in einem echten Betroffensein aller Bürger. Das wiederum wird in Sorge oder in Empörung oder in Engagement übersetzt.
Sie hatten neulich Olaf Scholz in der Sendung. Was hat er gesagt?
Dass seine größte Sorge ein langer Krieg ist, dass der Moment für Friedensverhandlungen überhaupt noch nicht da ist … und dass er sich beim „Schulden machen“ an den Koalitionsvertrag halten will. Das wird nicht leichter …
Ihre Sendung gibt es seit bald 24 Jahren. Ist der Druck von außen im Laufe der Zeit härter geworden, also Reaktionen, Anfeindungen, Grundsatzdebatten um eine öffentlich-rechtliche Sendung?
Kuschelig war es nie. Aber es hat sich noch etwas verändert – vielleicht seit der Finanzkrise, spätestens seit der Flüchtlingskrise. Es steht die Frage im Raum: Mit wem wollen wir als Gesellschaft noch solidarisch sein, wenn für alle weniger da ist? Die Politik sagt: Wir verteilen nicht mehr Zuwendungen, sondern wir verteilen Zumutungen – das ist neu und schwer und führt zu Neid- und Verteilungskämpfen … Und zu uns: Bei den öffentlich-rechtlichen Medien und in den Talkshows im Besonderen würde ich sagen, sind wir den Schmerz gewohnt. (lacht) Also, seit es uns gibt, rennen die vier apokalyptischen Reiter über den Flur und verheißen ein Ende der Polit-Talks. Bis jetzt ist diese Apokalypse ausgeblieben. Auf der anderen Seite gibt es ein echtes Interesse, das weiterwächst, auch und gerade bei den Jüngeren ab 35. Würde ich sagen: Weil wir junge Themen machen? Nein, weil wir Themen bereden, die einfach jeden, erst recht eine junge Familie, interessieren.
Mit der Kritik an den Öffentlich-Rechtlichen können Sie leben?
Ich finde völlig richtig, dass öffentlich-rechtliche Medien kontrolliert und auch kritisiert werden. Ich finde völlig richtig, dass sie sich reformieren und dass sie erklären müssen, was sie tun. Ich finde nicht so verständlich, warum wir für die Online-Plattformen und die Arbeit in den sozialen Medien kritisiert werden. Man kann nicht sagen: Ihr seid von gestern! Und wenn wir dann dahin gehen, wo junge Leute sind, ist das auch nicht gut.
Was unterscheidet Sie von den anderen Polit-Talkern?
Wir koexistieren schon lange und gut mit den ARD-KollegInnen. Ein Unterschied ist vielleicht, dass ich keine eigene Firma habe und wir als ZDF-Redaktion und -Produktion voll ins Programm eingebettet sind. Wann immer etwas passiert, sind wir zur Stelle und kommen mit Sonderausstrahlungen auf 44 Sendungen pro Jahr.
Was nimmt der Mensch Maybrit Illner von den Krisen mit nach Hause?
Ich finde nicht immer gleich die Pausentaste, wie auch. Ich bin dankbar, dass ich mit vielen, verschiedenen klugen Köpfen im Hintergrund reden kann, um die Dinge besser zu verstehen … Es ist aber wichtig, sich auch mal von allem freizumachen. Ich bin Radlerin und immer noch eine echte Kino-Tante. Beides bringt mich auf andere Gedanken.