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Migrationsgesetz gescheitertChaostage im Bundestag

Lesezeit 4 Minuten
Die CDU-Fraktion mit unter anderem Friedrich Merz, CDU-Parteivorsitzender, aufgenommen im Plenarsaal im Deutschen Bundestag in Berlin. Kira Hofmann

Die CDU-Fraktion mit unter anderem Friedrich Merz, CDU-Parteivorsitzender, aufgenommen im Plenarsaal im Deutschen Bundestag in Berlin. Kira Hofmann

Friedrich Merz ist mit seinem Vorhaben gescheitert. Der Entscheidung vorausgegangen war eine Woche mit vielen Beratungen, heftigen Schuldzuweisungen – und einer Deutungsschlacht.

Schweigen in den Reihen in der Union. Betretene Gesichter bei der FDP. Enttäuschung bei den AfD-Abgeordneten. Nur von einer Seite gibt es einen kurzen Jubel an diesem Freitag um kurz nach 17 Uhr: links im Plenum.

Das „Zustrombegrenzungsgesetz“ ist in diesem Moment gescheitert.

Friedrich Merz war bereit gewesen, erstmals in der Nachkriegsgeschichte ein Gesetz mithilfe einer in Teilen rechtsextremen Partei zu beschließen. Doch von 693 Parlamentariern haben nur 338 mit ja und 350 mit nein bei fünf Enthaltungen gestimmt.

Was am Mittwoch als Tabubruch scharf kritisiert wurde, dass die Union mit Stimmen der AfD einen Antrag zur Verschärfung der Migrationspolitik durchgebracht hatte, hat sich am Freitag nicht wiederholt. Viele im Hohen Haus sind erleichtert.

SPD-Fraktionschef Mützenich - seine Fraktion wollte nicht zustimmen.

SPD-Fraktionschef Mützenich - seine Fraktion wollte nicht zustimmen.

Und doch scheint etwas kaputtgegangen zu sein. Der letzte Tag der letzten regulären Sitzungswoche ist ein Tag der Zwietracht, des Chaos und des Kampfes um die Deutungshoheit. Im Plenum des Reichstages wird über „Lügengeschichten“ geschrien, es wird gespottet, es wird geschimpft. Zwischendrin so energisch in der Unionsfraktion, dass der Parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe, Alexander Hoffmann, seinen Leuten mit einer Handbewegung signalisiert: Beruhigt euch.

Die Debatte geht schon kontrovers los mit der Rede von SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich. „Wollen Sie mit dem Kopf durch die Wand?“, fragt er Merz und erinnert an Weimar. Damals sei man an der mangelnden Geschlossenheit der Demokraten gescheitert. Er ruft Merz in seiner Rede zu: „Kehren Sie um!“ Die Lebensader der Demokratie wurde beschädigt, sagt er unter dem Gelächter der AfD, aber noch nicht durchschnitten. Er fordert Merz auf, sich vom Pult aus zu entschuldigen.

Merz grenzt sich in seiner Rede mehrmals von der AfD ab

Merz macht das nicht, grenzt sich in seiner Rede aber mehrmals von der AfD ab. „Von meiner Partei aus reicht niemand der AfD die Hand. Niemand!“, ruft er. Dann spricht er über den Gesetzentwurf, mit dem die Union unter anderem die Begrenzung der Migration wieder als Ziel rechtlich festschreiben will. „Sind wir uns einig, Zustrom begrenzen zu müssen?“, fragt er. „Ja oder nein?“

Er fordert Entscheidungen angesichts der Anschläge in Magdeburg, in Aschaffenburg und den „täglich stattfindenden Gruppenvergewaltigungen aus dem Milieu der Asylbewerber“. Bei dieser Formulierung geht ein Raunen durchs Plenum, sie entspricht in dieser Form nicht den Fakten.

Es ist der Moment, in dem die Debatte völlig aus dem Ruder läuft, dabei hatten die Parteien am Vormittag über Stunden beraten, um genau das zu verhindern.

Eine neue Stufe an Kontroverse erreicht die Debatte mit Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne). Merz wolle seinen Fehler anderen in die Schuhe schieben, kritisiert sie. In den Verhandlungen im Herbst über eine verschärfte Sicherheitspolitik sei doch die Union aufgestanden, klagt sie. Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei, wirft Baerbock daraufhin „Lügengeschichten“ vor.

Es ist der Moment, in dem die Debatte völlig aus dem Ruder läuft, dabei hatten die Parteien am Vormittag über Stunden beraten, um genau das zu verhindern.

Es ist die Union, die morgens um eine Unterbrechung bittet, nach einem Vorstoß der FDP. Die Liberalen wollen dem Gesetz doch nicht sofort zustimmen, zumindest sieht es anfangs danach aus. Stattdessen regen sie eine Überweisung in den Innenausschuss an. Es gibt Redebedarf.

Zwischendurch überschlagen sich die Meldungen

Die Meldungen überschlagen sich, zwischendurch stolpert Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann und fällt auf das Gesicht. SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach eilt ihr zu Hilfe. Mit einem Pflaster auf der Nase kommt sie kurze Zeit später wieder ins Plenum.

In der Zwischenzeit lichten sich die Reihen der Fraktionen, viele Abgeordnete verlassen den Saal, die Politiker von CDU und CSU eilen ein Stockwerk höher in ihren Sitzungssaal. Aber sie müssen warten, auf Merz, der sich in seinem Büro mit CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt berät.

Zwischendurch kommen die Chefs der früheren Ampelfraktionen bei ihm vorbei. Mützenich, Haßelmann, ihre Co-Vorsitzende Katharina Dröge und später FDP-Fraktionschef Christian Dürr. Die Gespräche führen zu nichts, wie die Abgeordneten der Union später in ihrer Sitzung erfahren. Merz will an der Abstimmung festhalten: „Wir müssen heute entscheiden“, sagt er laut Teilnehmern.

Merz will den Begriff Brandmauer für das falsche Wort.

Der ereignisreiche Tag endet mit einem Friedrich Merz, der mit seinem Plan gescheitert ist.

Für einige ist das keine gute Nachricht, für andere schon. Man dürfe jetzt nicht „umfallen“, mahnt ein Abgeordneter. Ein anderer CDU-Politiker will genau das: die Überweisung des Gesetzes in den Innenausschuss. Das sei das Beste, was passieren könne.

Die Abgeordneten bekommen seit zwei Tagen Hassnachrichten, Altkanzlerin Angela Merkel hat sich distanziert, Michel Friedman ist aus der CDU ausgetreten.

Aber Merz zieht durch. Die Abstimmung bleibt auf der Tagesordnung. FDP und Union werfen SPD und Grüne vor, nicht für Kompromisse offen gewesen zu sein. Genau das werfen Letztere aber auch den Konservativen und Liberalen vor. Am Ende der Debatte starten SPD und Grüne einen letzten Versuch, das Gesetz doch noch in den Ausschuss zu überweisen. Ohne Erfolg.

Als die Abgeordneten zur Abstimmung schreiten, läuft dieser Krimi schon fast acht Stunden – und er endet mit einem Friedrich Merz, der mit seinem Plan gescheitert ist.