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Mordverdächtiger im Fall Frederike kommt aus U-Haft frei

Lesezeit 4 Minuten

Karlsruhe – Dass mutmaßliche Schwerstverbrecher trotz Freispruch neuerdings ein zweites Mal vor Gericht gestellt werden können, ist hochumstritten - jetzt hat das Bundesverfassungsgericht die vorübergehende Freilassung eines Mordverdächtigen angeordnet.

Die Karlsruher Richterinnen und Richter gaben einem Eilantrag des seit Monaten in Untersuchungshaft sitzenden Mannes teilweise statt, wie sie am Samstag mitteilten. Ob die Neuregelung verfassungskonform ist, sei offen und müsse erst geprüft werden. Deshalb kommt der Verdächtige im Mordfall Frederike unter Auflagen frei, bis über seine eigentliche Verfassungsbeschwerde entschieden ist.

1983 Freispruch aus Mangel an Beweisen

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„Das heißt, dass es erst einmal nicht weitergeht bis nächstes Jahr im Januar”, sagte sie mit Blick den Prozess, dessen Start eigentlich für August geplant war. Der Staatsanwaltschaft Verden solle am Montag eine Frist zur Stellungnahme gegeben werden. Die Karlsruher Eilentscheidung bezieht sich ausschließlich auf die U-Haft.

Der Mann wird verdächtigt, die 17 Jahre alte Schülerin aus Hambühren bei Celle 1981 vergewaltigt und erstochen zu haben. 1983 war er mangels Beweisen freigesprochen worden. Nach einer neueren Untersuchung von DNA-Spuren könnte er aber der Täter sein. Im Februar wurde er erneut verhaftet, im August sollte am Landgericht Verden der Prozess beginnen. Grundlage ist eine umstrittene Änderung der Strafprozessordnung, die kurz vor dem Jahreswechsel in Kraft trat.

Es schmerze seine Mandantin, dass der Tatverdächtige wieder auf freiem Fuß sei, sagte der Anwalt der Nebenklägerin, Wolfram Schädler. Er dürfe aber die Stadt nicht verlassen und müsse sich zwei Mal in der Woche bei den Behörden melden und den Ausweis abgeben. „Das sind sehr enge Auflagen und die können nur verhängt werden, wenn das Bundesverfassungsgericht das angegriffene Gesetz nicht als offensichtlich verfassungswidrig angesehen hat”, sagte er. Er sei daher sehr optimistisch für das Hauptverfahren beim Bundesverfassungsgericht und warte zunächst das weitere Vorgehen des Landgerichts in Verden ab. Nach dem Tod des Vaters der Getöteten im Juni nimmt nun ihre Schwester als Nebenklägerin an dem Prozess teil.

Umstrittene Reform eines Paragrafen

Die von Anfang an umstrittene Reform von Paragraf 362 der Strafprozessordnung war noch von der schwarz-roten Koalition auf den Weg gebracht worden. Vorher war es nur in eng begrenzten Fällen möglich, ein rechtskräftig abgeschlossenes Verfahren zuungunsten des Angeklagten noch einmal aufzurollen - etwa wenn er ein Geständnis ablegt. Seit Ende 2021 geht das auch, wenn „neue Tatsachen oder Beweismittel” auftauchen. Die Regelung ist aber auf schwerste Verbrechen wie Mord oder Völkermord beschränkt, die nicht verjähren.

Kritiker sehen den zentralen Grundsatz des Strafrechts verletzt, dass niemand wegen derselben Tat zwei Mal verfolgt werden darf. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte das Gesetz zwar unterzeichnet. Er regte aber gleichzeitig wegen der verfassungsrechtlichen Bedenken eine erneute Prüfung im Bundestag an.

Molekulargenetisches Gutachten nach 30 Jahren

Frederikes Familie hatte jahrelang um die Neuregelung gekämpft. Die Jugendliche war damals auf dem Heimweg von einer Chorprobe als Anhalterin in ein Auto gestiegen. Der Mordverdächtige war 1982 in einem ersten Prozess zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Nach seiner erfolgreichen Revision beim Bundesgerichtshof (BGH) endete ein zweites Verfahren dann aber mit dem Freispruch. Erst 30 Jahre später brachte ein molekulargenetisches Gutachten des Landeskriminalamts Niedersachsen wieder Bewegung in den Fall.

Am Verfassungsgericht war die Freilassung des Mannes umstritten. Nur fünf der acht Richterinnen und Richter des Zweiten Senats stimmten dafür, den Haftbefehl außer Vollzug zu setzen.

Am Ende setzte sich die Ansicht durch, dass dem Betroffenen sonst „erhebliche und irreversible Nachteile” drohten: Sollte sich herausstellen, dass Paragraf 362 verfassungswidrig ist, säße er womöglich viele Monate zu Unrecht im Gefängnis.

Angesichts der Schwere des Vorwurfs tragen die Richter aber auch „dem staatlichen Interesse an einer effektiven Strafverfolgung Rechnung”. So sollen Auflagen sicherstellen, dass der Mann sich nicht absetzen kann. Er muss Ausweis und Pass abgeben, sich regelmäßig bei der Staatsanwaltschaft melden und darf die Stadt nicht ohne Erlaubnis verlassen. Die Anordnung gilt für höchstens sechs Monate.

© dpa-infocom, dpa:220716-99-44147/5 (dpa)