Herne – Bei einer Demonstration von Kurden gegen die türkische Militäroffensive in Nordsyrien ist es in Herne in Nordrhein-Westfalen zu Ausschreitungen mit fünf Verletzten gekommen. Der Staatsschutz der Bochumer Polizei nahm Ermittlungen gegen mehrere Personen wegen Landfriedensbruchs auf. Zunächst richteten sich die Strafverfahren gegen vier Personen, die Zahl werde sich aber sicher erhöhen, sagte ein Polizeisprecher am Dienstag.
Ein türkisches Café und ein türkischer Kiosk waren am Montagabend attackiert und beschädigt worden. Wut, Frust und Verunsicherung herrschen am Tag danach vor Ort. Das schwer getroffene Café „Bizim Konak“ („Unsere Hütte“) bleibt am Dienstag geschlossen. Die Spuren der Randale - zwei eingeschlagene Scheiben, zerfetzte Rollladen - sind deutlich sichtbar.
„Das ist schlimm. Alle hatten natürlich Angst“
Der Bruder des Eigentümers zeigt sich entsetzt. „Das ist schlimm, so was ist doch nicht normal. Wir sind sehr wütend“, sagt Kazim Sevim der Deutschen Presse-Agentur. „Es waren etwa zehn Gäste da gestern Abend. Alle hatten natürlich Angst. Die Bedienung hat sehr gut reagiert.“ Man habe schnell alles dicht gemacht und die Rollladen runtergelassen. Laut Polizei waren mehrere Personen ins Café gestürmt, zerstörten Mobiliar. Zwei Personen seien verletzt worden, darunter - leicht - ein Polizeibeamter.
Er selbst sei nicht anwesend gewesen, schildert Sevim. Sein Bruder habe im Urlaub von dem Vorfall erfahren, er sei geschockt. „Wir sind sehr entsetzt. Schon letztes Jahr und davor hatten wir schon Probleme bei solchen Demos.“ Im Viertel hätten viele kurdische und türkische Wurzeln, die Stimmung sei angespannt. Sevim beschwert sich am Dienstag bei zwei Männern vom Staatschutz, die gerade „zur Beweismittelaufnahme“ vorbei kommen: „Meine Leute sagen, die Polizei hat hier gestern nur zugeguckt.“
Zersplitterte Scheiben und verammelte Türen
Einige hundert Meter weiter klafft noch ein großes Loch in der Fensterscheibe eines Kiosks. Der türkische Besitzer hat seinen Laden trotzdem geöffnet. Seine Videokameras habe das aggressive Treiben aufgezeichnet, erzählt Altan Cakaloglu und zeigt die Bilder: Aufgebrachte Menschen stürmen am Kiosk vorbei, laute Stimmen und Tumulte, man hört die Scheibe zersplittern.
„Ich war Einkaufen, meine Frau war da und hatte große Angst“, sagt Cakaloglu. Sie habe schnell noch eine Frau mit Kleinkind auf dem Arm in den Kiosk gelassen, um sie zu schützen, dann die Tür verrammelt. Am Dienstag gibt es im Viertel kein anderes Thema als die Randale. Viele Kunden und Bekannte kommen bei Cakaloglu vorbei, wollen Genaueres erfahren.
100 Demonstranten stürmten Kiosk und Cafe
Die Ermittler suchen weitere Zeugen und werten zahlreiche Videos und Bildmaterial aus, auch von Handys, wie der Polizeisprecher sagt. Rund 100 der etwa 350 Demonstranten hätten sich an dem Angriff auf einen Kiosk beteiligt. Etwa genauso viele stürmten und beschädigten das Café. Zuvor soll es zu einer „Provokation durch ein Handzeichen“ am Kiosk gekommen und am Café eine Flasche Richtung Demo-Zug geflogen sein. Der Versammlungsleiter, der sich bemühte, die Lage zu beruhigen, sei von Demonstranten im Gesicht verletzt worden.
NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) nannte es am Rande eines Termins in Neuss „unerträglich, dass eine friedliche Demonstration so ausgeartet ist und diese Kurden so ausgerastet sind.“ Jeder habe das Recht zu demonstrieren, müsse sich aber an Regeln halten.
„Wir sitzen hier in Deutschland auf einem Pulverfass“
Der Politikwissenschaftler und Türkeiexperte Burak Çopur hatte erst vor wenigen Tagen vor einer Eskalation gewarnt. „Wir sitzen hier in Deutschland auf einem Pulverfass“, sagte der Professor an der privaten Hochschule IUBH Dortmund der dpa. Je nachdem, wie lange „die völkerrechtswidrige Invasion der Türkei in Nordsyrien“ andauere, würden auch die Konflikte zwischen Deutsch-Türken und Deutsch-Kurden zunehmen.
In Stuttgart war es am Samstag zu Ausschreitungen gekommen, mehr als 20 Polizisten waren leicht verletzt worden. In Berlin hatten Unbekannte ein Auto der türkischen Botschaft angezündet. Viele Kurden-Demos mit Tausenden Teilnehmern blieben aber friedlich. (dpa)