Der Verdächtige besuchte ein Aussteigerprogramm für radikale Islamisten – doch es gab schon länger Zweifel am Ausstieg aus der Szene.
Angriff auf Pro-Israel-Demo geplantWie Tarik S. mit seinen Anschlagsplänen ins Visier der Geheimdienste geriet
Im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum in Berlin genoss der Fall höchste Priorität. Ein ausländischer Geheimdienst hatte den deutschen Staatsschützern einen Warnhinweis übermittelt. Demnach sollte ein 29-jähriger deutscher Islamist aus Duisburg aus Duisburg Anschläge auf eine pro-israelische Kundgebung mit einem Lkw geplant haben. Das Ziel war nicht bekannt. Offenbar wollte Tarik S. so viele Menschen wie möglich töten.
Wie der „Kölner Stadt-Anzeiger“ aus Sicherheitskreisen erfuhr, stand der als Gefährder eingestufte Dschihadist mit einem Gesinnungsgenossen in Syrien via Chat in Kontakt. Darin soll er sinngemäß gepostet haben: „Siegen oder sterben.“ Bei dem Chatpartner soll es sich um ein bisher nicht identifiziertes Mitglied der Terror-Miliz „Islamischer Staat“ (IS) in der letzten Hochburg Idlib gehandelt haben.
Verteidiger: Vorwürfe sind verwunderlich
Am Dienstagabend spitzte sich die Lage zu. Ein Spezialeinsatzkommando der Polizei stürmte die Wohnung des Tatverdächtigen in Duisburg. Inzwischen hat der Amtsrichter laut Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf einen Haftbefehl wegen der Verabredung zu einem Verbrechen – Mord – erlassen. Sein Verteidiger Mutlu Günal sagte dieser Zeitung, „die Vorwürfe sind verwunderlich. Schließlich hat mein Mandant erfolgreich an einem Deradikalisierungsprogramm teilgenommen und ist dafür durch das NRW-Innenministerium belobigt worden.“ Vor dem Hintergrund sei es unverständlich, dass die Polizei den Endzwanziger wieder auf die Liste islamistischer Gefährder gesetzt habe. „Ich gehe von der Unschuld meines Mandanten aus“, so Günal.
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Ein Blick in die Vita des Beschuldigten, dessen Vater aus Ägypten stammt, lässt Zweifel zu. Bereits 2012 tauchte Tarik S. im westfälischen Herford in radikal-islamischen Salafistenkreisen auf. Zunächst ließ er sich durch den Hassprediger Pierre Vogel beeinflussen, später durch andere Dschihadisten. Es war die Phase, in der der IS im Irak und Syrien inmitten der Bürgerkriegswirren viele Regionen und Städte eroberte. Euphorisch reiste Tarik S. Ende 2013 nach Syrien, um sich den Terror-Garden anzuschließen. Im Ausbildungslager wurde er militärisch gedrillt.
Tarik S. posierte neben einem enthaupteten Toten
Anschließend übernahm Tarik S. als IS-Polizist Wach- und Kontrolldienste. Daneben avancierte er zu einer Art Medienstar in den sozialen Netzwerken. Unter dem Kampfnamen Osama Al Amani posierte er teils vermummt mit Machete und einem Sturmgewehr auf PR-Videos. Via Facebook rief Osama, der Deutsche, dazu auf, die „Ungläubigen mit gut geplanten Märtyreraktionen zu zerbomben“. Ferner sollten IS-Sympathisanten hierzulande Terrorattacken verüben. In einem Clip stand der Dschihadist aus dem Westfälischen neben einem enthaupteten Toten. Höhnisch fühlte er am Arm der männlichen Leiche nach deren Puls. Sein Kommentar: „Was fehlt ihm denn?“
Offenbar aber kühlte die Sympathie für den „Heiligen Krieg“ ein wenig ab. Als Tarik S. sich unerlaubt von seiner IS-Einheit entfernte, setzte man ihn fest. Mit Messerklingen und Stockhieben misshandelten IS-Männer den Abtrünnigen. Zu guter Letzt ließen seine Peiniger ihm nur eine Wahl: S. sollte sich zu der Gruppe der Selbstmordattentäter melden. Dazu aber kam es nicht. Im Frühjahr des Jahres 2015 heiratete Tarik S. in Syrien eine niederländische IS-Anhängerin. Im Jahr darauf kehrte er mit seiner schwangeren Frau zurück nach Deutschland. Auf dem Frankfurter Flughafen wanderte der Extremist in Untersuchungshaft.
Nach fünf Jahren Haft galt er weiter als Risiko
2017 verurteilte der Düsseldorfer Staatsschutzsenat den geständigen Terroristen zu fünf Jahren Jugendstrafe. Der Verurteilte kam erst im März 2021 wieder frei. Zunächst galt Tarik S. als Risikokandidat. Im Knast hatte er sich offenbar nicht von seinem radikalen Gedankengut distanziert. Nach seiner Entlassung musste er zunächst eine elektronische Fußfessel tragen. Zwar besuchte er ein Aussteigerprogramm. Als Tarik S. im Sommer 2021 zu seiner Frau in die Niederlande ausreisen wollte, wiesen ihn die dortigen Behörden allerdings mit dem Hinweis auf seine Terrorkarriere ab. Da half es auch nicht, dass Tarik S. in NRW das Aussteigerprogramm des Landes besucht hatte und ein Belobigungsschreiben vorweisen konnte.
Fortan hielten die Staatsschützer den Mann weiterhin im Blick. Längere Zeit verhielt er sich unauffällig. Als S. im Juni seinen Job verlor, verfiel er offenbar wieder in die alten Verhaltensmuster. Der Deutsche mit ägyptischen Wurzeln bewegte sich wieder in Radikalenkreisen, ließ sich einen langen Bart stehen und surfte erneut auf islamistischen Seiten. In jener Zeit geriet er wieder auf die Gefährderliste. Wiederholt suchte die Polizei ihn auf und führte sogenannte Gefährderansprachen durch. Doch Tarik S. ließ sich nicht beirren. Somit geriet er in die höchste Gefährderstufe. Über das angezapfte Handy erhielten Terrorfahnder Hinweise, dass der militante Islamist einen Anschlag auf eine nahegelegene Polizeiwache plante. Erneut stellten die Ermittler den Verdächtigen zur Rede.
35 islamistische Gefährder sitzen in NRW-Gefängnissen
Wie so oft kommt es einem Vabanque-Spiel für Polizei und Justiz gleich, die Bedrohungslage nach der Freilassung ehemaliger Terroristen einzuschätzen. Stand Ende Juni sitzen allein 35 islamistische Gefährder oder relevante Personen, darunter fünf Frauen, in NRW-Gefängnissen ein. Seit Jahresbeginn kamen ferner acht Dschihadisten aus der Haft frei. „Neben den Rückkehrern aus Kriegsgebieten geht gerade von Extremisten, die sich in der Haft weiter radikalisieren und mit Gleichgesinnten vernetzen, eine enorme Gefahr aus“, heißt es in einem Behördenpapier.
Laut dem Bundeskriminalamt (BKA) hat sich die Gefährdungslage nach dem Überfall der palästinensischen Terror-Einheiten der Hamas auf Israel noch einmal verschärft. „Aus der nicht deutschsprachigen islamistischen Szene wird mitunter doch explizit zu Anschlägen auf Juden oder jüdische Einrichtungen sowie auf Staaten und Personen, die Israel unterstützen, aufgerufen“, lautet das Fazit eines aktuellen Lagebilds.
Am 19. Oktober etwa veröffentlichte der IS eine Anleitung, um die palästinensischen Muslime zu unterstützen. Dabei geht es insbesondere darum, „jüdische Viertel in den USA und in Europa anzugreifen, welche als Rückgrat der jüdischen Wirtschaft angesehen werden“, so die Erkenntnisse.
Die Behörden fürchten einen Lkw-Anschlag wie 2016 in Berlin
Seit dem Lkw-Anschlag durch den tunesischen IS-Terroristen Anis Amri 2016 kurz vor Weihnachten auf dem Berliner Breidscheidplatz mit 13 Toten fürchtet der hiesige Sicherheitsapparat kaum etwas mehr als ein ähnliches Versagen. Seinerzeit hatten die Terrorfahnder Amri über Monate auf dem Schirm, ohne rechtzeitig einzugreifen.
Dieses Szenario sollte sich im Fall des Duisburger Islamisten Tarik S. nicht wiederholen. Gleich mehrfach hatte es Warnungen durch Nachrichtendienste gegeben. Nach dem Hamas-Massaker gegen die israelische Bevölkerung soll Tarik S. seinen Fokus auf den Nahost-Konflikt gelegt haben. Darauf deuten auch abgefangene Chats mit seinem Kontaktmann in Syrien hin. Via Google, so die Nachforschungen, soll Tarik S. sich über pro-israelische Veranstaltungen hierzulande informiert haben. Zugleich soll er im Netz Anschlagsszenarien mit einem Lastwagen nach dem Amri-Vorbild durchgespielt haben.
Wie sehr der arbeitslose Deutsche der Dschihad-Ideologie verhaftet war, dokumentiert ein Beitrag nach dem Attentat durch einen tunesischen IS-Anhänger in Brüssel am 16. Oktober, bei dem zwei schwedische Fußballfans am Tag der EM-Qualifikationspartie gegen Belgien erschossen worden waren. Diese Tat habe ihn inspiriert, bekundete Tarik S. auf einer Internetplattform.