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Brandanschlag in KrefeldBehörden hatten Hassan N. am Tattag zu Präventionsgespräch eingeladen

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Polizeibeamte der Spurensicherung in weißen Schutzanzügen untersuchen Löcher in Glasscheiben des Kinos. Im Foyer eines großen Kinos am Hauptbahnhof in Krefeld hat die Polizei in der vergangenen Woche einen Brandstifter niedergeschossen.

Im Foyer eines großen Kinos am Hauptbahnhof in Krefeld hat die Polizei in der vergangenen Woche einen Brandstifter niedergeschossen.

Hassan N. war bereits zur Risikoperson hochgestuft worden. Das geht aus einem Schreiben von NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) an die SPD hervor, das dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorliegt.

In NRW werden derzeit 362 Menschen von den Sicherheitsbehörden als Personen mit Risikopotenzial eingestuft. Das geht aus einem Schreiben von NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) an die SPD-Fraktion im Düsseldorfer Landtag hervor, das unserer Zeitung in Kopie vorliegt. Das Innenministerium hatte im Jahr 2021 das Projekt „PeRiskoP“ gestartet, durch das potenzielle Amoktäter identifiziert werden sollten. Dem Reul-Schreiben zu Folge wurden seitdem 6954 Prüffälle registriert.

In der vergangenen Woche hatte der 38 Jahre alte Iraner Hassan N. versucht, das Großkino Cinemaxx in Krefeld anzuzünden. Die Polizei schoss ihn allerdings dabei nieder und konnte so ein Inferno verhindern. Der Mann galt als Sicherheitsrisiko und wurde seit dem 17. September im Präventionsprogramm „PeRiskoP“ betreut. Dabei sei zu beachten, „dass das Verhalten von irrational handelnden und teilweise emotionalisierten Einzeltätern in der Regel nicht prognostizierbar“ sei „und dass schwere Gewaltstraftaten solcher Täter folglich nicht sicher und vollständig verhindert werden“ könnten, schreibt der NRW-Innenminister der Opposition. „Eine polizeiliche Verantwortung für Exzesse und Handlungen der eingestuften Personen“ lasse sich also „keinesfalls ableiten“.

Josefine Paul (Bündnis 90/Die Grünen), Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Flucht und Integration in Nordrhein-Westfalen, und Herbert Reul (CDU), Innenminister von NRW, sprechen zu den Medien nach der Sondersitzung der Ausschüsse für Inneres und Integration im Landtag zum mutmaßliche islamistischen Anschlag in Solingen.

Unterschrieb Reuls Schreiben an die SPD ebenfalls: NRW-Flüchtlingsministerin Josefine Paul (Bündnis 90/Die Grünen).

Die SPD hatte dem NRW-Innenministerium einen umfangreichen Fragenkatalog übermittelt. Krefeld sei höchstwahrscheinlich „nur um Haaresbreite einer schrecklichen Katastrophe“ entgangen, sagte SPD-Innenexpertin Christina Kampmann. Der Amoklauf sei schon der zweite Vorfall innerhalb von wenigen Wochen, in denen mutmaßlich psychisch kranke Täter die Sicherheit bedroht hätten. Beide Männer seien polizeibekannt gewesen und durch das Programm „PeRiskoP“ beobachtet worden. Die SPD forderte die schwarz-grüne Landesregierung auf, die Hintergründe vollständig aufzuklären.

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Dem will die Landesregierung jetzt durch das 16-seitige Schreiben, das auch von NRW-Integrationsministerin Josefine Paul unterzeichnet wurde, Rechnung tragen. Neben einer Zusammenstellung der bekannten Fakten kommen in dem Antwortbrief auch neue Details zu dem Fall ans Licht.

Präventivgespräch für Tattag angekündigt

So teilt Reul mit, dass die Sicherheitsbehörden noch am Tag des Brandanschlags Kontakt zu Hassan N. hatten. Am 10. Oktober sei dem Tatverdächtigen durch „PeRiskoP“-Sachbearbeiter die Einladung „zu einem Präventivgespräch angekündigt“ worden, heißt es in dem Schreiben. Ob die Ansprache der Sicherheitsbehörden in einem Zusammenhang mit der Tat steht, bleibt offen.

Neu ist auch, dass Hassan N. nach seiner Aufnahme in das „PeRiskoP“-Programm bereits hochgestuft worden war. Das Konzept sieht drei Prüfphasen vor. Wie berichtet, war der Iraner am 17. September offiziell als Risikoperson gelistet worden. Nach einer ersten Begutachtung kam man offenbar zu der Erkenntnis, dass sein Fall ernst zu nehmen war. „Aufgrund der während der Prüffallphase 1 festgestellten Informationen und Erkenntnisse wurde der Tatverdächtige am 7. Oktober in die Prüffallphase 2 aufgenommen“, schreibt der Innenminister. Dies bedeute unter anderem „eine Überprüfung und Recherche in weiteren behördlichen und öffentlichen Datenquellen“. Zum Tatzeitpunkt habe diese Prüffallphase noch angedauert.

2002 erste unerlaubte Einreise nach Deutschland

Neue Erkenntnisse liefert das Schreiben auch zu den Ländern, in denen sich Hassan N. in der Vergangenheit aufgehalten hatte. Der Mann war laut Ausländerzentralregister im Jahr 2002 erstmals unerlaubt nach Deutschland eingereist. Der Ausländerakte zufolge habe er sich danach auch in Belgien, Frankreich, den Niederlanden, Österreich, Russland, der Ukraine, der Schweiz, Dänemark, Norwegen, Luxemburg, Spanien und Schweden aufgehalten, heißt es in dem Reul-Schreiben.

Bei Hassan N. wurde offenbar bereits im Jahr 2009 eine psychische Erkrankung ärztlich attestiert. Von 2010 bis 2014 verbüßte er eine Freiheitsstrafe wegen mehrerer Gewaltdelikte. Hassan N. hatte in der Psychiatrie versucht, eine Mitpatientin zu vergewaltigen. Nach seiner Haftentlassung tauchte er für zehn Jahre ab, bis er im April wieder in Krefeld auftauchte.

Christina Kampmann, Innenexpertin der SPD, im Düsseldorfer Landtag.

Christina Kampmann, Innenexpertin der SPD, im Düsseldorfer Landtag. Die Fraktion hatte damit gedroht, den Innen- und den Integrationsausschuss des Landtags zu Sondersitzungen zusammenzurufen, falls wichtige Fragen offenbleiben.

Vor seiner Festnahme hielt sich Hassan N. insgesamt 22 Jahre in Deutschland oder anderen europäischen Ländern auf. Seine Abschiebung scheiterte, weil der Iraner die Ausländerbehörden mit 27 verschiedenen Angaben zu seiner Identität narrte. Außerdem müssen Flüchtlinge, die in den Iran zurückgebracht werden sollen, ihrer Abschiebung zustimmen. „Für den konkreten Fall berichtet die Stadt Krefeld, dass der Mann die Freiwilligkeitserklärung nicht unterzeichnete, womit eine Voraussetzung des Iran für die Rücknahme des Mannes nicht erfüllt war“, schreibt Flüchtlingsministerin Paul.

Nach Angaben der Krefelder Staatanwaltschaft ging der versuchten schweren Brandstiftung auch ein Angriff auf einen Jugendlichen voraus. Hassan N. habe versucht, den Passanten mit einem Metallgegenstand am Kopf zu verletzten. „Der Zeuge konnte einer Verletzung entgehen, indem er zu einem in die Nähe des Kinos Cinemaxx parkenden Polizeifahrzeug flüchtete und die Polizeibeamten auf den Beschuldigten und seine Bewaffnung aufmerksam machte. Die Polizeibeamten nahmen daraufhin unverzüglich zu Fuß die Verfolgung des Beschuldigten auf“, heißt es in der Stellungnahme.

Währenddessen habe Hassan N. das Cinemaxx betreten und etwa ein bis zwei Meter hinter der Eingangstür im Foyer aus einem von ihm mitgeführten Kanister Benzin verschüttet. Als er in Richtung der Kinosäle lief, feuerten die Polizisten zwei Schüsse auf ihn ab. Der Iraner wurde im Oberschenkel und am Schlüsselbein getroffen. Lebensgefahr habe zu keinem Zeitpunkt bestanden.

Die SPD will die Antworten der Landesregierung nun in Ruhe auswerten. SPD-Innenexpertin Christina Kampmann sagte nach Erhalt des Schreibens, es stelle sich sie Frage, warum Hassan N. „nicht schon viel früher ins Visier genommen“ wurde. Dass ihm Einstufung als Risikoperson ausgerechnet am Tattag angekündigt wurde, beschreibe „das Pulverfass, auf dem er offenbar saß“.

Hassan N. war bei Behördenbesuchen mehrfach ausgerastet. Nach Auskunft der Stadt Krefeld war er aus „Sicherheitsgründen“ in einer Wohnung untergebracht, die sich in der Nähe einer Polizeiwache befindet.