Auch wenn es in den vergangenen Tagen nochmal auf die ersten Krokusse geschneit hat: Der erste Energiekrisenwinter ist vorbei. Wir können stolz sein. Und haben Grund für Zuversicht.
Kommentar zum Ende des KrisenwintersWir sind vorbereitet – auch auf das Glück
Der Chemiker Louis Pasteur hat einmal gesagt, dass das Glück denjenigen bevorzugt, der vorbereitet ist. Inzwischen ist das sogar wissenschaftlich bewiesen. Je nachdem, wie wir das Leben angehen, desto wahrscheinlicher oder unwahrscheinlicher wird es, Glück zu haben. Nun könnte man einwenden, dass Europa in den vergangenen drei Jahren Krisen zu bewältigen hatte, auf die wir nicht oder schlecht vorbereitet waren: Pandemie, Krieg, Energiekrisenwinter. Und was heißt überhaupt Glück? Können wir ein derart großes Wort angesichts der zahlreichen schlechten Nachrichten überhaupt bemühen?
Ein „Wutwinter“ wurde prognostiziert. Doch es kam weniger schlimm als befürchtet
Können wir durchaus! Denn es gibt viele gute Nachrichten: Corona hat zu seinem dritten Geburtstag viel von seinem einstigen Schrecken verloren, der erste Winter der Energiekrise neigt sich dem Ende zu. Einen „Wutwinter“ hatten viele erwartet. Niemand kann sagen, dass alles gut ist. Die Pandemie hat vielen extrem zugesetzt: Künstlern, Familien, Kindern. Andere haben die Notlage ausgenutzt und sich bereichert. Unter der Inflation der vergangenen Monate mussten über die Maßen diejenigen leiden, die ohnehin zu wenig Geld haben.
Und dennoch: Es kam weniger schlimm als befürchtet. Massenpleiten blieben aus, kein Industriebetrieb musste mangels ausbleibender Gaslieferungen die Arbeit einstellen, es gab keinen Blackout und keine Gasrationierung für Privathaushalte. Es gab keine massenhafte Verarmung durch horrende Energiekosten, stattdessen hat der Ausbau der erneuerbaren Energien einen bisher nie dagewesenen Schub bekommen. Noch nie seit der Wiedervereinigung waren so viele Menschen erwerbstätig wie zurzeit: 45,6 Millionen Menschen.
Europas Demokratien haben ihre Bürgerinnen und Bürger nicht im Stich gelassen. Sie haben sich – ungeachtet aller Unkenrufe von rechts – als krisenfest erwiesen. Sie haben nicht alles richtig gemacht. Aber sie haben gehandelt, schnell und in der besten Absicht, die Menschen so gut wie möglich durch die schwierige Zeit zu lotsen. Es gab Benzinpreisbremse, Gaspreisbremse, Pandemiehilfen, es wurden Impfstoffe entwickelt, Impfzentren aufgebaut. Zudem wurden Flüchtlinge aufgenommen, Hilfskonvois entsandt in die Ukraine und unzählige Anstrengungen mehr unternommen, um zu helfen und das Leben besser zu machen.
Ohne Blaupause reagierten nicht nur der Staat, sondern auch jeder Einzelne an seiner Position, um die Krisen so gut wie möglich abzufedern. Die Gasspeicher sind zu 70 Prozent gefüllt und damit so voll wie vergangenen August - bevor Wladimir Putin den Gashahn komplett zugedreht hat. Nach einer Einschätzung der Bundesnetzagentur ist es „unwahrscheinlich“, dass es in den letzten kalten Tagen dieser Saison noch zu einer Gasmangellage kommt. Die Lage am Gasmarkt hat sich beruhigt.
Unser Gesellschaftssystem hat sich gerade in schlechten Zeiten als widerstandsfähig erwiesen
Und auch wenn es möglicherweise einen nächsten Krisenwinter geben wird, so können wir, wie Wirtschaftsminister Robert Habeck es zum Abschluss der Kabinettsklausur ausdrückte „etwas weniger bang“ in die bevorstehende Zeit gehen. Eben genau, weil wir wissen: Die Stärke und korrigierende Kraft unserer Demokratie, der moralische Kompass des Einzelnen, die Solidarität der Allermeisten, aber auch das Knowhow in Forschung, Wirtschaftsbetrieben, Behörden und Institute ist groß genug, um Krisen durchzustehen und sie so gut es geht abzuwenden. Unser Gesellschaftssystem hat sich gerade in schlechten Zeiten als widerstandsfähig erwiesen. Und vielleicht im Grunde dadurch im Sinne Pasteurs als gut vorbereitet auf Herausforderungen widriger Umstände.
Vielleicht ist es deshalb an der Zeit, stolz darauf zu sein, was schon alles überstanden und bewältigt wurde. Vielleicht ist es an der Zeit, Vertrauen zu haben: In die Mechanismen eines demokratischen Staates, aber auch in die eigenen Fähigkeiten, die größer sind als gedacht. Vielleicht gelingt uns dann, die Krisen umzudeuten in die viele Möglichkeiten, die sie eröffnet: Solidarität zu üben, neue Wege einzuschlagen, ungeahnte Lösungen zu finden. Denn an Herausforderungen mangeln wird es uns auch in den kommenden Jahren nicht. Die Klimakrise steht erst am Anfang, der Krieg ist nicht zu Ende, die Digitalisierung verlangt vorangetrieben zu werden, innergesellschaftlich müssen Kinder und Arme mehr in den Blick genommen werden. Aber wir sind vorbereitet. Auch auf das Glück.