Der erste Winter der Energiekrise geht zu Ende. Eine Wirtin, ein Wissenschaftler, eine Studentin und andere atmen auf und sind jetzt zuversichtlich.
Kölner nach Krisenwinter optimistisch„Mein Bauchgefühl sagt mir, das wird ein gutes Jahr“
Iris Giessauf ist Wirtin im Gasthaus Esser in Köln Ehrenfeld. Sie ist derzeit guter Stimmung und sieht die Rückkehr der guten Laune auch bei ihren Gästen. Sie blickt optimistisch in den Frühling:
„Den Winter jetzt habe ich gar nicht so schlimm empfunden wie erwartet. Natürlich wurden auch für uns Gas und Strom deutlich teurer und wir mussten die Preise erhöhen. Mittlerweile habe ich aber das Gefühl, dass die Auswirkungen nicht in dem Maße bei uns angekommen sind, wie sie angekündigt waren. Alles in allem hat sich die Energiekrise für mich nicht ganz so schlimm angefühlt.
Sehr viel mehr habe ich in der Corona-Zeit gelitten. Für mich persönlich war das ein tiefes Loch. Mir haben die Gäste und die Leute aus dem Veedel so gefehlt. Mit jedem Monat, den der Lockdown weiter geschoben wurde, bin ich in ein tieferes Loch gefallen. Seit ich 18 bin, arbeite ich in der Gastro. Ohne den Job wusste ich nichts mit mir anzufangen und bin total lethargisch geworden.
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„Ich bin jeden Abend stolz auf das, was wir erreicht haben“
Aufgemacht haben wir direkt am ersten Tag, als es wieder erlaubt war. An dem Abend waren nur Stammgäste da, das war so emotional, da sind Tränen geflossen. Seitdem ist es bei uns so, wie es vorher war. Die Lethargie ist weg und das Glück ist wieder da. Natürlich muss ich mit meiner Arbeit auch Geld verdienen, aber ich mache das, weil ich es gern mache. Es ist meine Berufung, mein Leben. Dieser Laden ist wie mein Baby. Ich bin jeden Abend stolz auf das, was wir erreicht haben.
Wir haben es geschafft, die Krisen der letzten Zeit psychisch und dank der Hilfen auch finanziell zu verarbeiten. Die Gäste sind wieder gekommen und haben uns nicht vergessen. Das Schönste, was wir geschafft haben, ist, dass wir unsere Mitarbeiter gehalten haben.
„Mein Bauchgefühl sagt mir: Das wird ein gutes Jahr“
Was 2023 betrifft, bin ich sehr optimistisch. Mein Bauchgefühl sagt mir: Das wird ein gutes Jahr. 90 Prozent unserer Gäste sind positiv gestimmt, wenn die Tür aufgeht, sehe ich nur lachende Gesichter. Vermutlich haben viele einen sehr viel schlimmeren Winter erwartet und sind nun froh. Sie wissen das, was früher selbstverständlich war, mehr zu schätzen. Auch die Gaspreisbremse tut den Menschen gut. Man muss nicht mehr so eine Angst davor haben, dass man sich gar nichts mehr leisten kann.
Ich möchte jetzt endlich mal ein Jahr haben, in dem es kein Theater gibt. Das will ich so und wenn ich etwas ganz fest will, dann kommt das auch so.“
Hans Borries, stellvertretender Vorstandsvorsitzender vom Bundesverband Schutz Kritischer Infrastrukturen BSKI. Lehrt an der Universität in Witten.
„Es ist wirklich Glück – nennen Sie es von mir aus auch Zufall oder Kismet – dass der zurückliegende Winter verhältnismäßig mild war. Dementsprechend haben wir nicht so viel Gas verbraucht wie befürchtet. Bei voller Nutzung hätten in einem langanhaltenden sehr kalten Winter die Gasspeicher nur zwischen sieben und 30 Tagen ausgereicht. Doch die Menschen sind den Aufforderungen gefolgt und haben Gas gespart; auch die Industrie schaffte teilweise erhebliche Einsparungen von bis zu 30 Prozent.Allerdings auch deshalb, weil einige Produktionen ausgelagert und Arbeitsplätze in Deutschland abgebaut wurden. Das ist natürlich keine Dauerlösung.
Wir hatten auch Glück mit unseren Nachbarländern: Niemand konnte damit rechnen, dass Norwegen, die Niederlande und Belgien so eine hohe Produktion für uns laufen lassen würden. Norwegen liefert mittlerweile 47 Prozent unseres Gases. Das ist wirklich eine riesen Leistung.
„Sich jetzt zurückzulehnen, wäre falsch“
Die Kommunen haben erste Notfallkonzepte erarbeitet und Gutachten sowie Bestandsanalysen erstellt. Insofern sehe ich zuversichtlich und positiv auf das laufende Jahr. Aber wir dürfen uns nicht in falscher Sicherheit wiegen. Sich jetzt zurückzulehnen und die Hände in den Schoß zu legen, wäre falsch: Wir müssen die kommenden Monate unbedingt dazu nutzen, um unsere Konzepte zu verbessern und Ersatzmaßnahmen durchzuführen. Außerdem müssen wir sogenannte Schadenslagen in Übungen austesten. Damit wir auf den nächsten Herbst und Winter gut vorbereitet sind und weniger Sorgen haben müssen.“
Julia Chenusha, stellvertretende Vorsitzende des blau-gelben Kreuzes.
„Ich bin Optimistin. Ich wusste, dass die Ukraine viel schafft, auch wenn ich natürlich gehofft habe, dass sie schneller gewinnt. Mit Hilfe Deutschlands und Europas hoffe ich aber, dass das noch in diesem Jahr geschieht.
Was ich aber nicht erwartet habe ist, wie viel man durch Ehrenamt und das sehr große Engagement der Menschen in Köln schaffen kann. Die Menschen hier haben nicht nur ihre Herzen für die ukrainischen Geflüchteten geöffnet, sondern auch ihre Wohnungen. Manche Kölnerinnen und Kölner haben sogar am Bahnhof übernachtet, damit die Menschen, die aus der Bahn aussteigen, zu jeder Uhrzeit ein warmes Essen bekommen.
Die Spendenbereitschaft war groß; Wir haben zum Beispiel 2800 Stromgeneratoren in die Ukraine geliefert, die aufgrund der Zerstörung der Infrastruktur dringend benötigt werden. In unserem Lager waren teilweise bis zu 370 Menschen gleichzeitig. Nach der Befreiung von Isjum fuhr einer unserer Helfer selbst dorthin und sagte: Die Menschen haben unsere humanitären Hilfsgüter mit Tränen in den Augen angenommen.
Einige Geflüchtete sind schon wieder zurückgekehrt in die Ukraine, viele anderen haben sich hier gut integriert und versuchen von Deutschland aus, die Ukraine zu unterstützen. Zusammen mit unseren Freiwilligen helfen sie uns, die Lieferungen für die Ukraine vorzubereiten. Wir nennen das unseren gemeinsamen Kampf für den Frieden. Ich bin auch stolz auf Köln: Hier konnten wir zum Beispiel zusammen mit den Geflüchteten an den Karnevalsumzügen teilnehmen. Klar, die Geflüchteten wussten auch schon vorher, dass sie hier willkommen sind. Aber an dem Tag haben sie nochmal eine große Welle an Solidarität erfahren.“
Deniz Kideys, 27 Jahre alt, wohnt seit 1,5 Jahren in Köln-Lindenthal mit zwei Mitbewohnern in einer Dreier-WG, studiert derzeit die Fächer Englisch und Kunst auf Lehramt im Master:
„Wegen der steigenden Energiekosten zahlen wir in unserer Wohngemeinschaft seit Beginn der Krise jeden Monat pro Person 50 Euro zusätzlich in die Kasse. Wir bilden damit eine Rücklage, um eine Nachzahlung zu verhindern. Wenn die Kosten am Ende der Krise niedriger sind als gedacht, kriegt jeder wieder Geld zurück. Obwohl der Winter vorbei ist, führen wir das vorsichtshalber erstmal weiter.
Weitere Sparmaßnahmen haben wir in der Wohngemeinschaft nicht vorgenommen. Aber ich habe noch extra Geld von meinen Eltern bekommen. Die haben mir finanziell geholfen, weil auch die Lebensmittel teurer geworden sind. Normalerweise haben wir in der WG auch eine gemeinsame Kasse, beziehungsweise eine gemeinsame App. Da trägt jeder ein, was er gekauft hat und dann kann man abschätzen, wer wie viel bezahlt hat. Sachen, die jeder nur für sich nutzt, tragen wir in dieser App aber natürlich nicht ein.
Ich hatte oft schon den Gedanken, dass ich es nicht einsehe, für so ein kleines Zimmer so viel Geld zu bezahlen, vor allem jetzt, wo alles noch mal teurer geworden ist. Manchmal habe ich sogar schon ernsthaft darüber nachgedacht auszuziehen. Für meine Mitbewohner wäre es gar kein Problem, einen neuen Mieter zu finden. Da wäre ruckzuck ein anderer da. So groß ist der Wohnungsmangel in Köln.
„Irgendwann wird diese Anspannung zur neuen Normalität“
Direkt aufatmen können wir gerade vielleicht noch nicht unbedingt. Mit der Zeit hat man sich an die steigenden Preise und an die Belastung aber auch gewöhnt. Irgendwann wird diese Anspannung zur neuen Normalität, beziehungsweise lässt dann auch ein bisschen nach. Einfach, weil man weiß, wie man damit besser umgehen kann.
Zum Beispiel bin ich eine Zeit lang dazu übergegangen, frische Sachen immer nur noch abends einzukaufen, vor allem samstagabends. Wenn die Lebensmittel am Ende eines Tages immer noch nicht verkauft sind und nach Ladenschluss eh weggeworfen werden würden, bekommt man sie oft günstiger. Allerdings haben sich die Supermärkte mittlerweile da auch schon umgestellt. Samstagabends sind die Regale häufig schon relativ leer. Da ist nicht mehr so viel zu holen wie früher.“
Im November 2022 schaffte es der Kölner Kunststoffspezialist igus in die Umsatzmilliarde. Der Weltmarktführer aus Porz hatte sich das Ziel bereits für 2020 gesetzt, es dann trotz Corona-Pandemie und Energiekrise zwei Jahre später erreicht. Heute betreut Igus rund 188.000 Kunden aus über 50 Branchen weltweit und beschäftigt mehr als 4.500 Mitarbeitende an 31 Standorten. Michael Blass leitet die Geschäfte um igus‘ größten Unternehmensbereich: Energiekettensysteme und Leitungen, . Während andere Betriebe sich neue Investitionen nicht mehr leisten können, baut igus in Köln auf 20.000 Quadratmetern neue Fläche für Forschung und Entwicklung, Produktion und Lager. Von Krisenstimmung keine Spur:
„Trotz dieser herausfordernden Zeiten haben wir unsere Investitionspläne konsequent umgesetzt. Mit Blick auf die Energie- und Klimakrise arbeiten wir daran, unsere Produktion noch nachhaltiger zu gestalten. Wir wollen am Hauptsitz in Köln bis 2025 klimaneutral sein. Der Umstieg auf Ökostrom und klimaneutrales Gas war ein wesentlicher Schritt dorthin. Aber es passiert noch mehr. Zum Beispiel nutzen wir die Wärmerückgewinnung, um so die Heizung von Gas abzukoppeln. Und wir haben neue, innovative Wege gesucht, um die Kreislaufwirtschaft für Kunststoffe voranzutreiben.
Bereits seit 2019 sammeln wir im Rahmen unseres „Chainge“ Programms herstellerunabhängig ausgediente Energieketten, damit diese nicht im Industriemüll landen. Aufgrund des positiven Kundenfeedbacks haben wir dieses Konzept weiterentwickelt und im Herbst 2022 die „Chainge“ Online-Plattform vorgestellt, über die Kunden nun auch andere technische Kunststoffe – wie zum Beispiel Halbzeuge oder Zahnräder – recyceln lassen sowie aufbereitetes Material erwerben können. Auf Basis des „Chainge“ Programms ist 2022 die weltweit erste zu 100 Prozent recyclete Energiekette entstanden.
Tatsächlich bieten unsere Produkte sogar einen Vorteil in puncto Energieersparnis. Denn bei der Herstellung von Kunststoff wird deutlich weniger Energie verbraucht als bei der von Metall. Im Vergleich zu Stahl und Aluminium sind nur rund 50 Prozent der Energie erforderlich, um aus den Rohstoffen einsatzfähigen Kunststoff zu erzeugen. Nichtsdestotrotz spüren auch wir die hohen Energiepreise. Wir arbeiten jedoch immer weiter daran, unsere Energieeffizienz zu verbessern. Um Materialengpässe zu verhindern, haben wir frühzeitig in den weltweiten Ausbau von Lagerbeständen investiert. Unsere Investitionen in neue Spritzgussmaschinen, Werkzeuge und die Automatisierung haben uns bereits dabei geholfen, unser Produktionsvolumen und die Produktivität der Fabrik deutlich zu erhöhen. So sind wir auch für zukünftige Herausforderungen gut vorbereitet.“