Die Klimaaktivisten im Rheinischen Revier wollen ihre Proteste gegen den Abbau der Kohle unter Lützerath fortsetzen. Bewohner der fünf geretteten Dörfer sprechen von „beängstigenden Zuständen“.
Nach der Räumung von LützerathKlimaaktivisten kündigen weitere Proteste an
Auch nach der Räumung und dem Abbruch des Dorfes Lützerath wollen die Klimaaktivisten ihren Protest gegen das Abbaggern der 110 Millionen Tonnen Braunkohle, die unter der Ortschaft liegen, mit weiteren Aktionen fortsetzen.
Am kommenden Sonntag, 22. Januar, ist ab 12 Uhr erneut ein Dorfspaziergang vom Nachbarort Keyenberg Richtung Lützerath geplant, teilten die Aktivisten am Mittwoch im Protestcamp auf dem Sportplatz der Ortschaft mit.
Keyenberg kann nach einer Vereinbarung der Bundesregierung und der NRW-Landesregierung mit dem Energiekonzern RWE Power AG vom Oktober 2022 zusammen mit vier weiteren Dörfern im Tagebau Garzweiler II erhalten bleiben. Sie sieht einen auf 2030 vorgezogenen Kohleausstieg und längere Laufzeiten von Kraftwerken im Rheinischen Revier bis Ende 2024 vor.
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Dorfspaziergang für Sonntag angekündigt
„Samstag war nicht das Ende des Protestes“, sagte Linda Kastrup von Fridays for Future am Mittwoch bei einer Pressekonferenz im Protestcamp. Mitglieder des Bündnisses „Lützerath lebt“ verteidigten noch einmal die „Aktionen zivilen Ungehorsams“ gegen den Braunkohleabbau.
Auf die Frage, ob es der Klimabewegung nicht schade, dass sie sich nicht klar von Gewalt distanziere, antwortete Lakshmi Thevasagayam von „Lützerath lebt“, die „wahre Gewalt“ gehe vom Energiekonzern RWE aus, der die unter Lützerath liegende Kohle abbaggern wolle. „Jetzt hat auch di ganze Welt dabei zugeschaut, wie auch die Politik und die Regierung nicht davor zurückschreckt, Privatinteressen eines Milliardenkonzerns zu verteidigen.“
Auf die Aktionen der Klimaschützer bezogen sagte sie: „Deswegen ist diese Gewalt vielleicht nicht legal, aber sehr wohl legitim, dadurch, dass Menschen weltweit jeden Moment, wo der Bagger einen Zentimeter näherkommt, sterben, ihre Existenzen verlieren, unsere Lebensgrundlagen zerstört werden. Wenn man diese Dimension wirklich versteht, dann sind diese Maßnahmen, die wir hier als zivilen Ungehorsam betreiben, nichts dagegen“, sagte Thevasagayam.
Die Aktivistin blieb auch bei der mittlerweile vom Sprecher des Bündnisses „Lützerath lebt“ zurückgenommenen Aussage, dass mehrere Teilnehmer der Anti-Kohle-Demonstration am Samstag lebensgefährlich verletzt worden seien. Wieviele dies gewesen sein sollen, wollten sie und andere Aktivistinnen aber trotz mehrfachen Nachfragens nicht sagen. Der persönliche Schutz der Aktivistinnen und Aktivisten verbiete derzeit konkretere Angaben dazu, sagte Thevasagayam. Nach Angaben der Polizei ist bei der Demonstration am Sonntag niemand lebensgefährlich verletzt worden.
Zukunft des Protestcamps in Keyenberg noch offen
Im Protestcamp halten sich nach Angaben der Aktivisten noch mehrere hundert Menschen auf. Wie lange es noch Bestand haben wird oder sogar zu einer Dauereinrichtung werden könnte, sei unklar.
Bei den Menschen, die noch in den fünf Dörfern leben, haben die Folgen der Räumung von Lützerath und der Großdemonstration vom vergangenen Samstag tiefe Spuren hinterlassen. 45 Bewohner aus Kuckum und Keyenberg haben ein Protestschreiben verfasst, das an die Stadt Erkelenz, den Polizeipräsidenten in Aachen und die Landesregierung gerichtet ist.
Man sei zwar schon lange an Großdemonstrationen und Klimaaktivisten in der Nachbarschaft gewöhnt, „aber was nun geschieht, hat einen neuen und sehr bedrohlichen, für uns beängstigenden Stand erreicht“, heißt es in dem offenen Brief. „Ganz offen rufen sogenannte Klimaaktivsten auf, sich gegen den Rechtsstaat aufzulehnen, ‚alle Bullen platt zu hauen‘ und die Dörfer einzunehmen. Sie rennen wie selbstverständlich in zwei Nächten durch die Dörfer, vermummt, schlagen Scheiben ein, beschmieren Wände und feuern Böller ab.“
Man habe Aktivisten von Privatgrundstücken vertreiben müssen, die dort einen Campingplatz eröffnen wollten und sei auch nicht darüber informiert worden, dass neben Keyenberg auch auf dem Kuckumer Sportplatz ein Camp eröffnet werde.
Dorfbewohner fühlen sich durch Aktivisten eingeschüchtert
Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine, die in Kuckum leben, hätten sich verängstigt bei den Nachbarn gemeldet und trauten sich kaum noch auf die Straße. „Die meisten von denen wissen gar nicht, dass diese Dörfer stehenbleiben“, sagt Barbara Ziemann-Oberherr, die in Keyenberg lebt und sich als Ansprechpartnerin für Betroffene sieht. „Wir mussten uns von Klimaaktivisten anhören, sie könnten über unsere Zukunft entscheiden, schließlich hätten sie die Dörfer gerettet.
„Dies bewirkt in uns, dass wir Angst haben und uns eingeschüchtert fühlen, so als ob wir herausgeekelt werden sollen“, heißt es wörtlich. „Viele von uns haben für den Klimaschutz demonstriert, sind geblieben und respektieren rücksichtsvollen, nicht strafbaren Aktivismus.“
Wie es mit den fünf geretteten Dörfern weitergehen kann, soll mit den Menschen, die dort noch wohnen, am Donnerstag, 2. Februar, in einem Workshop in der Erkelenzer Stadthalle unter Leitung von Bürgermeister Stephan Muckel (CDU) zum ersten Mal besprochen werden. Ein Planungsbüro wird drei Zukunftsvarianten vorstellen, die als Grundlage für einen Diskussionsprozess dienen, der mindestens ein Jahr dauern soll.