Der Klimawandel macht Wirbelstürme verheerender. Was der emotionale Ausbruch des US-Meteorologen John Morales mit NRW zu tun hat.
KlimawandelDauerregen statt Orkan – NRW kommt bei „Kirk“ glimpflich davon
Der amerikanische Meteorologe John Morales wollte tun, was seit 40 Jahren seine Berufung ist: die Menschen vor einem herannahenden Hurrikan warnen. Doch als er über die Intensität des auf Florida zu steuernden tropischen Wirbelsturms „Milton“ sprach, kamen ihm vor laufenden NBC-Kameras die Tränen. Das Video wird seither im Netz tausendfach geklickt. Und Morales ließ via „X“ wissen, dass ihn nach diesem ungeplanten Einblick in seine Gefühlswelt viele Menschen kontaktiert hätten. „Sie haben mir dafür gedankt, ihre Leben gerettet zu haben“, schreibt Morales. „Sie haben gesagt, sie hätten sich nicht gut genug vorbereitet, wenn sie das nicht gesehen hätten.“
Hurrikan „Milton“ wurde am Mittwochabend an der Küste Floridas erwartet. Also in der deutschen Nacht zu Donnerstag und damit zur gleichen Zeit, zu der die zu einer massiven Regenfront verkümmerten Reste des ehemaligen Hurrikans „Kirk“ über Nordrhein-Westfalen ziehen sollten. Der Deutsche Wetterdienst warnt vor ergiebigem Dauerregen unter anderem in den Regierungsbezirken Köln, Arnsberg und Düsseldorf. Außer im Nordwesten war demnach in der Nacht zu Donnerstag verbreitet mit 30 bis 50 Litern pro Quadratmeter zu rechnen, im Bergland sogar mit bis zu 70 Litern pro Quadratmeter.
Zeitweise sah es so aus, als könnte der Ex-Hurrikan als heftiger Orkan übers Land fegen
„Der Sturm ist nicht mehr so gut organisiert, daher wird es nicht so schlimme Winde geben und der Regen wird keine katastrophalen Überflutungen auslösen“, sagt Meteorologie-Professor Peter Knippertz vom Karlsruher Institut für Technologie im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. „Kirks“ Reise über den Atlantik ist damit für NRW glimpflich ausgegangen. Zeitweise hatte es so ausgesehen, als könnte der ehemalige Hurrikan noch als heftiger Orkan über das Land fegen.
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Tropische Wirbelstürme holen sich ihre Kraft auf dem warmen Wasser des Atlantiks, so wird „Milton“ von den aktuell deutlich über dem historischen Durchschnitt liegenden Wassertemperaturen im Golf von Mexiko angeheizt. Tiefdruckgebiete in unseren mittleren Breiten dagegen können sich Energie aus dem Temperaturunterschied zwischen den Luftmassen aus den Subtropen und den polaren Breiten holen und diese bei entsprechenden Bedingungen in die Bewegungsenergie eines Sturms übersetzen. So hätte es passieren können, erklärte Knippertz, dass „Kirk“ eine „außer-tropische Umwandlung“ durchmacht. Dann hätte er auf seinem Weg nach Europa durch das kälter werdende Wasser im Atlantik zwar an Kraft und damit sein für einen Tropensturm typisches Auge in der Mitte verloren. Mithilfe des hiesigen Temperatur-Kontrasts hatte er sich aber wieder verstärken können. „Das sind dann Systeme, die auch in Europa als knackiger Sturm ankommen“, sagt Knippertz.
Meteorologe Knippert: „Systeme, die auch in Europa als knackiger Sturm ankommen“
Anders als in den USA, wo der Klimawandel eine zunehmende Intensität der Wirbelstürme in der klassischen Hurrikan-Saison von Juni bis November zu bedingen scheint, lauern für Europa die größten Gefahren im Sommer: zu viel oder zu wenig Wasser bringen Überflutungen und Dürren. „Wir haben in den letzten Jahren erschreckende Beispiele gesehen, wie sich der Klimawandel für uns auswirkt“, sagt Knippertz. Insofern habe er absolutes Verständnis für den emotionalen Ausbruch seines amerikanischen Kollegen Morales: „Wenn ich denke, wie lange wir schon über die Gefahren des Klimawandels reden“, so der Meteorologe, „dann könnte ich manchmal auch heulen über dieses Nichts-Tun der Menschen, über diese Verweigerung, der Realität und den Gefahren ins Auge zu blicken und daraus die richtigen Konsequenzen zu ziehen.“
Es sei erschreckend, so der Meteorologie-Professor, dass Klimaschutz in der aktuellen politischen Debatte in Deutschland kaum noch eine Rolle spiele: „Da geht es um Sicherheit, Wohlstand, Schutz der Demokratie. Klimaschutz ist offenbar nicht mehr en vogue, große Teile der Gesellschaft sehen darin keine Priorität.“
John Morales weist auf „X“ auf seinen Gastbeitrag für das „Bulletin of Atomic Scientists“ hin, den er geschrieben hatte, nachdem Hurrikan „Helene“ am 26. September in den Bundesstaaten North Carolina, South Carolina, Georgia, Florida, Tennessee und Virginia Verwüstung angerichtet hatte. Morales berichtet darin, dass ihm wegen seiner Warnungen vor „Helene“ Übertreibung vorgeworfen und er als „militanter Klimaaktivist“ beschimpft worden sei. Dann erklärt er sehr ausführlich und eindrücklich, wie sich die Intensität der Hurrikane in den vergangenen Jahrzehnten im Zuge des Klimawandels enorm verstärkt habe. Demnach sei Helene kein „Sonderfall“, sondern ein „Vorbote der Zukunft“.
Dass Hurrikan „Milton“ seine Aussage so schnell untermauern würde, hat Morales wohl kaum vorausgesehen. „Für Jahrzehnte hatte ich das Gefühl, alles unter Kontrolle zu haben“, schreibt Morales. „Nicht das Wetter, natürlich. Aber dass ich mein Publikum, wenn es vorbereitet und gut informiert ist, sicher durch jede Wetter-Bedrohung führen kann.“ Heute sei das anders: Die durch den Klimawandel immer wärmer werdende Welt habe aus seinem „sachlich interessierten“ Verhalten „aufgeregte Bestürzung“ werden lassen.