Vier Jahre nach der Enttarnung der Täter hatten die missbrauchten Kinder noch keine Entschädigung erhalten, hatte der „Kölner Stadt-Anzeiger“ aufgedeckt.
Vier Jahre StillstandDie Opfer aus Lügde werden endlich für jahrelangen Missbrauch entschädigt
Es sei „erschütternd“, dass die auf einem Campingplatz in Lügde sexuell missbrauchten Kinder „bis heute noch keine Entschädigung erhalten haben“, räumte Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU) im Dezember vergangenen Jahres im Plenum des Landtags ein, nachdem der „Kölner Stadt-Anzeiger“ über den Missstand berichtet hatte. Dass mittlerweile aber vier Jahre vergangen seien, seitdem die Täter enttarnt wurden, und drei Jahre, seitdem die ersten Entschädigungsanträge gestellt wurden, dies sei „schlicht inakzeptabel, das darf einfach nicht sein“, ergänzte der Minister und versprach: „Deswegen sage ich hier auch ganz klar, dass ich davon ausgehe, dass sie im ersten Quartal des neuen Jahres abgearbeitet sein müssen.“
Das Versprechen konnte Laumann zumindest teilweise einhalten. Von den 32 Anträgen auf Entschädigung, die dem für die Angelegenheit zuständigen Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) seit Jahren vorliegen, wurden in der Zwischenzeit immerhin 23 mit einer Entscheidung abgeschlossen. Dies ist einer Stellungnahme des nordrhein-westfälischen Sozialministeriums zu entnehmen, die am Mittwoch im Gesundheitsausschuss des Landtags diskutiert werden soll.
Behörden haben Hinweise verschlampt
In elf der abgeschlossenen Fälle sind Entschädigungszahlungen demnach zugesichert worden und dreimal wurden andere Unterstützungen für die Familien und Kinder bewilligt. Drei weitere Anträge indes wurden abgelehnt, zwei zurückgenommen und in vier Fällen sei es „trotz vielfacher und auch persönlicher Versuche einer Kontaktaufnahme über einen langen Zeitraum nicht gelungen, in einen Dialog mit den Antragstellenden zu kommen bzw. deren Mitwirkung zu erreichen“, heißt es in der Stellungnahme des Ministeriums, die dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorliegt: „Daher muss zum aktuellen Zeitpunkt davon ausgegangen werden, dass an einer Fortführung des Verfahrens seitens der Antragstellenden derzeit kein Interesse besteht.“ Eine Wiederaufnahme des Verfahrens jedoch sei „jederzeit möglich“, soweit die betroffenen Familien dies wünschen.
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Jahrelang, mindestens von 2008 bis zum Dezember 2018, haben zwei Dauercamper im ostwestfälischen Lügde zahlreiche Kinder missbraucht. Unbehelligt von Jugendamt und Polizei, die Hinweise auf den Missbrauch grotesk falsch interpretierten oder schlichtweg verschlampten. Grob geschätzt geht die Staatsanwaltschaft Detmold von 1000 Einzeltaten der letztlich drei ermittelten Haupttäter aus, die mittlerweile zu langen Freiheitsstrafen mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt wurden.
In Niedersachsen wurde deutlich schneller entschieden
Die Nachricht, dass die Opferentschädigungsgesetz-Anträge aller betroffenen Familien im Verwaltungsdschungel des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe unterzugehen drohten, sorgte Ende vergangenen Jahres für reichlich Aufregung im Landtag. Unter anderem der „Parlamentarische Untersuchungsausschuss Kindesmissbrauch“ beschäftigte sich auf Antrag der SPD-Fraktion in einer Sondersitzung mit dem Thema. Was die Abgeordneten noch zusätzlich erboste: In Niedersachen, wo 13 betroffene Lügde-Kinder gemeldet waren, hatte das dortige Landesamt für Soziales bereits in sechs Fällen eine Entschädigung bewilligt. Und bei der noch nicht entschiedenen Hälfte der Anträge seien, im Unterschied zum Stand in NRW, längst die wegweisenden Gutachten in Auftrag gegeben worden, bestätigte ein Sprecher der Behörde.
Trotzdem hatte das nordrhein-westfälischen Sozialministerium dem Treiben in Westfalen-Lippe lange Zeit kritiklos zugeschaut. „Nach Kenntnis“ des Ministeriums stünden die zuständigen LWL-Mitarbeitenden doch „seit längerem in einem sehr engen persönlichen Kontakt mit den Familien der betroffenen Kinder und Jugendlichen und stimmen die notwendigen Ermittlungsschritte sowie unter anderem Untersuchungstermine eng ab“, hieß es zunächst auf eine Anfrage unserer Zeitung. Und das Ministerium wiederum stehe „mit dem Landschaftsverband in einem fachlichen Austausch, um möglichst alle Beweiserleichterungsmöglichkeiten, die das Opferentschädigungsgesetz bietet, zugunsten der Betroffenen zu nutzen, damit die gestellten Anträge mit der gebotenen Sorgfalt, zugleich jedoch so schnell wie möglich beschieden werden können.“
„Kinder, denen Unfassbares angetan wurde“
Als die Recherche dann veröffentlicht wurde, drehte sich der Wind merklich. Sicher, die schleppende Bearbeitung liege zum Teil zwar an den veralteten rechtlichen Rahmenbedingungen für die Opferentschädigung in Deutschland, sagte Minister Laumann einige Tage später im Landtag. Und es sei auch klar, dass die NRW-Verwaltungen sich an den geltenden Vorschriften orientieren müssten. Aber hinter den Anträgen stünden schließlich „Menschen, die schweres Leid erlitten haben“, betonte der CDU-Politiker. Es gehe um Kinder, „denen Unfassbares angetan wurde“, die Opfer von „widerwärtigen Verbrechen“ geworden sind.