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Missbrauch in LügdeWarum wurden die Kinder noch nicht entschädigt?

Lesezeit 3 Minuten
Auf dem Campingplatz Eichwald in Lügde hängt vor dem versiegelten Campingwagen des Haupttäters eine Banderole mit der Aufschrift: «Polizeiabsperrung».

Auf dem Campingplatz in Lügde wurden Kinder jahrelang missbraucht.

Vier Jahre nach der Enttarnung der Täter haben die in Lügde missbrauchten Kinder noch keine Entschädigung erhalten. Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss befragte jetzt die verantwortliche Behörde.

Spätestens als für den Zeugen einige Stellen aus dem Urteil und den Ermittlungsakten zum jahrzehntelangen Kindesmissbrauch in Lügde auf einen Bildschirm gespielt werden, machen sich die Emotionen Luft. „Was reicht Ihnen daran denn nicht?“ fragt Andreas Bialas, SPD-Obmann im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss des nordrhein-westfälischen Landtages zum Missbrauch.

Der Angesprochene, als Sachgebietsleiters des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) für eine mögliche Entschädigung der Kinder zuständig, hat die Aktenauszüge gerade gelesen. Von psychisch schwerstgeschädigten Mädchen und Jungen ist in den Papieren die Rede. Von Kindern, ein Leben lang gezeichnet, von denen einige an dem Geschehen psychisch zu zerbrechen drohen. Von schwerstem Missbrauch, bis ans Unerträgliche genau beschrieben, weil die Justiz solch eine Konkretisierung für einen Richterspruch eben benötigt.

„Was fehlt denn noch für eine Entschädigung?“

„Warum aber braucht es denn noch mehr, um über eine Entschädigung für die Opfer zu entscheiden?“, fragt Bialas sichtlich ungehalten, als der Zeuge nicht antwortet. Zu Einzelfällen könne er sich leider nicht äußern, sagt der LWL-Beamte schließlich. Der 63-Jährige war vor den Untersuchungsausschuss geladen worden, nachdem der „Kölner Stadt-Anzeiger“ vor einigen Wochen berichtete, dass vier Jahre nach der Enttarnung der Täter noch kein einziges nordrhein-westfälisches Kind eine Zuwendung nach dem bundesweit geltenden Opferentschädigungsgesetz erhalten hat. Im Gegensatz zu Niedersachen, wo bereits fast die Hälfte der Anträge bewilligt wurde.

Die Fraktionen im Landtag wollen nun aufklären, warum die Bewilligungsverfahren beim Landschaftsverband so schleppend gelaufen sind. Lag der Fehler bei den Beamten in Westfalen-Lippe oder ist das Gesetz schlichtweg zu kompliziert und unbeweglich, um bei derart komplexen Fällen wie in Lügde zügig reagieren zu können?

Wann beispielweise sei denn der Ärztliche Dienst in Münster damit beauftragt worden, die langfristigen gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Opfer einzuschätzen, möchte der CDU-Politiker Dietmar Panske wissen, der den Untersuchungsausschuss als Vorsitzender leitet. Und wie lange in etwa solch eine Beurteilung denn eigentlich dauere.

Landschaftsverband hat externe Gutachter eingeschaltet

Auch das könne er nicht sagen, antwortet der Zeuge. „Das hängt vom Einzelfall ab.“ Grundsätzlich aber sei es bis heute in vielen der Lügde-Fälle extrem schwierig, an die für eine Beurteilung der Entschädigungsanträge notwendigen Informationen zu kommen. Die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft beispielsweise hätten erst im Herbst 2020 vorgelegen. Aber auch Auskünfte und Unterlagen von den jeweils behandelnden Ärzten oder Therapeuten, von einigen Krankenkassen und vor allem auch von den Eltern der betroffenen Kinder seien häufig erst nach mehrfachem Nachfragen gekommen.

Die im Strafprozess vom Gericht und Staatsanwaltschaft eingeholten psychologischen Gutachten zudem seien für die Entschädigungs-Entscheidungen „nicht verwendbar“ gewesen. Die strafrechtliche Ausarbeitung sei schließlich strikt täterorientiert. „Wir aber brauchen andere Gutachter mit einer anderen Perspektive“, betonte die LWL-Führungskraft. Dass diese „anderen Gutachter“ teilweise aber erst vor einigen Wochen beauftragt wurden, räumte der Mann erst nach weiteren Nachfragen ein.

Minister verlangt zügige Entscheidungen

Dies aber sei kein Fehler seiner Mitarbeitenden gewesen sondern der bedauerliche Verlauf aufgrund „hochkomplizierter Verfahren“, betonte der Verwaltungsdirektor des Landschaftsverbandes, der anschließend vom Ausschuss vernommen wurde. Aber dennoch, bezogen auf die bisherige Dauer der Verfahren, und trotz aller geschilderten Schwierigkeiten bei der Bearbeitung der Anträge: „Das ist nicht der Ablauf, den auch wir uns vorstellen“, ergänzte der 49-Jährige.

Dass mehr Tempo in die Abläufe kommt, dafür will jetzt auch NRW- Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU) sorgen. Nachdem er sich vor einigen Wochen auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ nicht zu dem Thema geäußert hat, äußerte er sich vor wenigen Tagen im Plenum des Landtags. Bei allem Verständnis für die komplizierte Aufarbeitung, sei es „erschütternd“ und „schlicht inakzeptabel“, dass über die Entschädigungsanträge noch nicht entschieden wurde. „Deswegen sage ich hier auch ganz klar, dass ich davon ausgehe, dass sie im ersten Quartal des neuen Jahres abgearbeitet sein müssen.“