Die Zahl der Atemwegserkrankungen ist aktuell so hoch wie seit Jahren nicht mehr zu diesem Zeitpunkt. Ein Überblick zur Krankheitswelle.
Arztpraxen sind vollNRW erlebt viermal so viele Grippe-Infektionen wie im Vorjahr
„Wir wussten, dass es eine relativ harte Grippewelle wird“, sagt Oliver Funken. „Das haben wir schon in Australien beobachtet.“ Der in Rheinbach niedergelassene Allgemeinmediziner Funken ist Vorsitzender des Hausärzteverbands Nordrhein. Als im europäischen Sommer das Influenzavirus für hohe Krankenstände in Australien sorgte, wussten Fachleute wie er: Das kommt im Winter so ähnlich wohl auch auf uns zu.
Viermal so viele Grippefälle wie 2022
Aktuelle Zahlen des Robert-Koch-Instituts (RKI) untermauern den Anstieg der Infektionen bei einigen Krankheiten. Besonders auffällig ist die gestiegene Zahl von Influenza-Erkrankungen, die sich in Nordrhein-Westfalen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum mehr als vervierfacht haben. 2022 wurden bis zum Ende der vergangenen Woche 2679 Infektionen gemessen, 2023 waren es zum gleichen Zeitpunkt laut RKI 10.874 Fälle.
Der Anstieg der Fallzahlen in NRW ist zudem deutlich stärker als im Bundesvergleich. Dort sind 2023 mit 59.587 bislang etwas mehr als doppelt so viele Infektionen registriert worden wie zum gleichen Zeitpunkt im Vorjahr. Auch bei den besonders in den Herbst- und Wintermonaten grassierenden Noro- und Rotavirus-Erkrankungen sind die Fallzahlen im Vergleich zum Vorjahr angestiegen, wenn auch nicht so drastisch wie bei der Influenza. Hier entwickelt sich NRW sogar gegen den Deutschlandtrend. Während im Bund die Zahlen leicht rückläufig sind, steigen sie in NRW an.
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Mehr Fälle auch bei Windpocken und Keuchhusten
Ein starker Anstieg ist zudem bei den Windpocken- und Keuchhusten-Fällen festzustellen. Die Zahl der Keuchhusten-Infektionen hat sich in NRW mit 264 mehr als verdoppelt, 2022 wurden bis Ende Oktober nur 120 Infektionen festgestellt. Bei den Windpocken kommt NRW auf 2476 gemeldete Erkrankungen – etwa 1000 mehr als im Vorjahr.
Etwa 7,1 Millionen Menschen in Deutschland hatten vergangene Woche eine akute Atemwegserkrankung, zeigt der Wochenbericht des RKI. Das sind rund 8,5 Prozent der gesamten Bevölkerung. Den weitaus größten Anteil daran haben weiterhin Infektionen mit dem Coronavirus: Knapp 1,16 Millionen Fälle zählte das RKI bis jetzt. Kein Vergleich zum Jahr 2022, als zum gleichen Zeitpunkt 28,4 Millionen Corona-Infektionen registriert waren. Auch in NRW ist dieser deutliche Rückgang zu sehen, fast sechs Millionen fiel die Fallzahl auf etwa 300.000.
Hierfür verantwortlich ist unter anderem das deutlich heruntergefahrene Monitoring der Krankheit. „Die meisten testen einfach nicht mehr darauf“, sagt Oliver Funken.
Inzidenz der Atemwegserkrankungen so hoch wie seit Jahren nicht mehr
Die Inzidenz der Atemwegserkrankungen ist zum jetzigen Zeitpunkt so hoch wie schon seit Jahren nicht mehr. In der vergangenen Woche zählte die Behörde etwas mehr als 8500 akute Atemwegserkrankungen pro 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner. Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr waren es um diese Zeit etwa 6300 Fälle. Und auch einige Jahre zuvor, im Jahr 2011, waren es nur rund 6400 Atemwegserkrankungen.
„Unsere Praxen arbeiten schon wieder auf Hochtouren – und das, obwohl die Grippewelle erwartungsgemäß erst noch ansteht“, berichtet Nicola Buhlinger-Göpfarth, Bundesvorsitzende des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes. Das bestätigt ihr Rheinbacher Kollege Funken: „Wir haben zurzeit eine hohe Arbeitsbelastung in den Praxen.“
Grippe-Impfung kann deutlich beim Eingrenzen der Krankheitswelle helfen
Funken sieht die wichtige Aufgabe der Praxen, die Grippewelle mithilfe von Impfungen zu dämpfen, noch nicht erledigt: „Dieses Influenzavirus hat eine höhere Virulenz, ist also sehr ansteckend und sorgt für viele Krankheitsfälle.“ Gerade deswegen sei versucht worden, so viele Menschen in der Region wie möglich so früh wie möglich gegen das Influenzavirus zu impfen. Dann aber habe es Lieferprobleme beim Impfstoff gegeben. Die Impfkampagne habe sich dadurch um zwei, drei Wochen verzögert. Umso wichtiger sei jetzt: „Wer noch nicht geimpft ist, sollte am Montag in der Praxis stehen und das nachholen.“ Der volle Impfschutz bestehe schon eine Woche nach der Impfung.
Ein Kranker stecke derzeit zwei weitere an, sagt Funken, „das ist der Schneeballeffekt“. „Jetzt hoffen wir, dass es bei uns nicht so schlimm wird wie in Australien.“ Damit das gelinge, müssten aber auch bestimmte Regeln gelten und befolgt werden: „Wer erkrankt ist, sollte sich auch entsprechend verhalten – und nicht etwa mit dem Krankenschein in der Tasche ohne Maske einkaufen gehen“, sagt Funken. „Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass Eigenschutz helfen kann.“
Bis sich die Situation in den Arztpraxen deutlich entspanne, werde es wohl noch bis April dauern, „mit dem Klimawandel vielleicht auch nur bis März“, sagt Funken. Nach Weihnachten werde es zwar erfahrungsgemäß etwas ruhiger, „aber dann ist mit der fünften Jahreszeit richtig was los“, so der Arzt. „Wenn es dann warm wird, sind wir ganz durch.“