Eine 25-jährige Polizistin und ihr 29-jähriger Kollege wollen nach einer hilflosen Person schauen. Sie werden angegriffen und schweben in Lebensgefahr.
Explosion in RatingenWie ein alltäglicher Einsatz zu einer lebensgefährlichen Katastrophe wurde
Ein überquellender Briefkasten ist der Ausgangspunkt der Katastrophe. Die Eigentümergesellschaft eines zehnstöckigen Wohnhauses an der Berliner Straße in Ratingen ruft am Donnerstagvormittag (11. Mai) die Polizei wegen einer womöglich hilflosen Person. Nachbarn haben einen Verwesungsgeruch wahrgenommen, heißt es später aus Sicherheitskreisen.
Die Beamtinnen und Beamten klingeln gemeinsam mit Kollegen der Feuerwehr gegen 11 Uhr an der Wohnung im obersten Stockwerk. Auch der Hausmeister steht vor der Wohnung. Hier wohnt der 57-jährige Paul F. (Name geändert) mit seiner 92 Jahre alten Mutter. Als ihnen nicht die Tür geöffnet wird, wollen die Feuerwehrleute sie gewaltsam öffnen. Paul F. reißt die Tür auf, hält den Einsatzkräften einen Gegenstand, womöglich einen Stofflappen entgegen, zündet ihn an. Um 11.15 Uhr kommt es zu einer Explosion. René Schubert, Einsatzleiter der Feuerwehr, spricht später von einem „Feuerball“, der dabei entsteht.
Am frühen Abend gibt es in Ermittlerkreisen eine weitere Version des Tathergangs: Demnach soll der Bewohner die Tür nicht selbst geöffnet haben. Die Einsatzkräfte seien mit Gewalt eingedrungen, woraufhin ihnen die Flammen entgegenschlugen. Wie sich das Unglück tatsächlich abgespielt hat, ist am Abend nicht abschließend geklärt.
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Ratingen: Anwohner berichtet von lautem Knall
Ein Anwohner berichtet dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ von einem lauten Knall. Durch die Wucht der Detonation und die Flammen werden sieben Feuerwehrleute und zwei Polizeibeamte teilweise lebensgefährlich verletzt. Eine weitere Person wird schwer, eine leicht verletzt. Mit schwersten Verbrennungen werden die Verletzten von fünf Rettungshubschraubern in teilweise weit entfernte Spezialkliniken geflogen.
Die Explosion führt zum Großeinsatz der Polizei. Die umliegenden Straßen werden weiträumig abgesperrt, Scharfschützen und Sondereinsatzkräfte der Polizei beziehen Stellung auf Balkonen und Dächern mit Blick auf den Balkon der Wohnung. Eine Drohne der Polizei steigt vor dem Balkon auf, berichtet ein Anwohner. Stunden vergehen, in denen die Lage unklar ist. „Man kennt sowas sonst nur aus dem Fernsehen“, sagt der Anwohner. „Ich hätte nie gedacht, dass so etwas mal hier in Ratingen passiert.“
Der 57-jährige Paul F. ist in dieser Zeit immer wieder auf seinem Balkon zu sehen, läuft auf und ab, zündet sich eine Zigarette an. Er wird dabei von Nachbarn gefilmt. Unterdessen quellen Rauchschwaden aus seiner Wohnung, er hat Feuer gelegt. „Er wollte nicht aufgeben“, sagt Raimund Dockter, Chef der Düsseldorfer Polizei, über die Kommunikation mit dem Täter.
Wurden die Polizisten in eine Falle gelockt?
Eine Frage steht im Raum: Wurden Polizistinnen und Polizisten von ihm gezielt in eine Falle gelockt? Sie bleibt am Donnerstag unbeantwortet. Gegen Paul F. liegt ein Haftbefehl vor. Er soll eine Ersatzhaftstrafe antreten, weil er die Geldstrafe nach einer Verurteilung wegen Körperverletzung nicht gezahlt hat. Polizeichef Dockter will am frühen Abend nicht ausschließen, dass Paul F. sich für den Besuch der Beamten gewappnet und den Angriff vorbereitet hatte.
Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) sitzt im Innenausschuss des Landtags, als ihn die Nachricht vom Angriff auf die Einsatzkräfte erreicht. Er lässt sich fortlaufend informieren. Reul berichtet, die Recherche in Sozialen Netzwerken habe ergeben, dass sich Paul F. im Umfeld von Coronaleugnern bewegt habe. Die Redaktion erfährt später, dass dieser Einschätzung womöglich eine Namensverwechslung zugrunde liegt.
Um 13.30 Uhr werden die Schulen in der Gegend geräumt, Eltern sollen ihre Kinder abholen. Die Sondereinsatzkräfte bereiten sich darauf vor, die Wohnung zu stürmen. Um kurz nach 15 Uhr erfolgt der Zugriff, Paul F. wird überwältigt. Er wehrt sich, wird leicht verletzt. Schüsse, die Nachbarn gehört haben, werden wohl abgefeuert, um Fenster für den Zugriff zu zerstören.
Die weibliche Leiche weist Brandspuren auf
In der verrauchten Wohnung finden die Einsatzkräfte eine weibliche Leiche. Sie weist Brandspuren auf, erfährt der „Kölner Stadt-Anzeiger“ aus Sicherheitskreisen. Es gibt Hinweise darauf, dass es sich um die 92-jährige Mutter handelt – und dass sie schon länger tot ist. Wie sie gestorben ist, wird Gegenstand von Ermittlungen.
Innenminister Reul trifft um kurz nach 17 Uhr am Ort der Katastrophe ein. „Das sind Männer und Frauen, die wollen helfen, und dann werden sie angegriffen“, sagt Reul. „Es ist nicht nachvollziehbar, was hier los ist mittlerweile, wie Menschen mit Menschen umgehen.“ Er sei traurig, bekundet Reul. Er spricht von einem Routine-Einsatz, von Menschen, die sich dazu entschieden haben, anderen Menschen zu helfen, „und dann sorgt einer dafür, dass sie schwer verletzt sind.“ Er zollt den Polizistinnen, Polizisten und Feuerwehrleuten größten Respekt: „Die ganzen Kräfte haben einen super Job gemacht, großes Kino, große Klasse.“ Er ist sichtlich mitgenommen und betont erneut: „Man trifft auf eine stinknormale Situation, denkt, da ist was nicht in Ordnung, will helfen, und dann endet der Tag so.“
Reul weiß da schon, was der Düsseldorfer Polizeichef Raimund Dockter den anwesenden Journalisten dann berichtet: „Eine Polizeibeamtin, 25 Jahre alt, und ein Polizeibeamter, 29 Jahre alt, beide lebensgefährlich verletzt.“ Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf wertet die Tat als mehrfachen versuchten Mord.
„Das erschüttert uns zutiefst“, sagt Dockter. „Das macht uns zornig. Wir können nur beten, dass sie den Kampf um ihr Leben überstehen.“