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Fünf Milliarden neue SchuldenSchwarz-Grün in NRW vor riskantem Finanzmanöver

Lesezeit 4 Minuten
Im NRW-Parlament nebeneinander sitzend zu sehen sind Hendrik Wüst (CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, und Marcus Optendrenk (CDU), Minister der Finanzen des Landes Nordrhein-Westfalen.

Was machen wir jetzt? Nach der Expertenanhörung müssen NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst und Finanzminister Marcus Optendrenk (links) im Landeskabinett entscheiden, ob sie fünf Milliarden Euro neue Schulden mit einem Sondervermögen machen.

Die NRW-Landesregierung muss nächste Woche entscheiden, ob sie die Schuldenbremse mit einem Sondervermögen umgeht und fünf Milliarden Euro zur Bekämpfung der Energiekrise am Kreditmarkt aufnimmt. Ist das rechtlich sauber?

Das ist schon ein kurioser Tag im Düsseldorfer Landtag. Am Mittag klopfen sich die Spitzen der Regierungsfraktionen von CDU und Grünen stolz auf die Schultern, weil es ihnen gelungen ist, im Haushalt für 2023, der insgesamt knapp 105 Milliarden Euro umfassen soll, 76 Millionen umzuschichten, um wenigstens bei 0,07 Prozent der Gesamtsumme ein paar eigene Schwerpunkte zu setzen.

Unter anderem 210.000 Euro für eine Landesfachstelle zur Unterstützung Alleinerziehender, fünf Millionen Euro für das Schwimmen und gegen den Bewegungsmangel bei Kindern und Jugendlichen.

Im Zweifel entscheidet das Verfassungsgericht

Derweil fliegt ein paar Türen weiter im großen Plenarsaal den Abgeordneten bei einer Expertenanhörung im Haushalts- und Finanzausschuss die gesamte Haushaltsplanung der Landesregierung für 2023 und der geplante Nachschlag für 2022 um die Ohren.

Fünf Milliarden Euro neue Schulden, deklariert als Sondervermögen, will Finanzminister Marcus Optendrenk (CDU) nachträglich noch im laufenden Haushalt des Jahres 2022 machen, um die schlimmsten Folgen der Energie- und Flüchtlingskrise abzuwenden und hat als Voraussetzung dafür die besondere Notlage für NRW ausgerufen.

„Im Zweifel werden das die Richter des Landesverfassungsgerichts in Münster entscheiden“, sagt Professor Simon Kempny vom Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Steuerrecht der Universität Bielefeld. Bei der Aushebelung der Schuldenbremse verstünden die Verfassungsgerichter keinen Spaß. Das habe man unlängst in Hessen, Rheinland-Pfalz und bei einer Eilentscheidung des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe gesehen.

Konjunktureinbruch reicht als Begründung bei weitem nicht aus

„Ich will Sie nur warnen“, sagt Kempny. „Sie müssen konkret und substanziiert nachweisen, warum die Summe nicht besser im Kernhaushalt aufgehoben ist.“ Das sei bisher nicht geschehen. Der allgemeine Hinweis auf den drohenden Konjunktureinbruch, der NRW wegen seiner Industriestruktur deutlich härter treffe als andere, reiche bei weitem nicht aus und sei viel zu unkonkret.

„Die Gerichte werden fragen, warum man zwei Wochen vor Jahresende nochmal fünf Milliarden benötigt. Wenn Sie das beschließen wollen, dann beschließen Sie das einfach. Dann ist halt die Frage, ob es zum Prozess kommt oder nicht.“

Natürlich gibt es auch namhafte Juristen wie die Professoren Rainer Wernsmann und Till Valentin Meickmann vom Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht der Uni Passau, die den geplanten Schuldenweg der Landesregierung für verfassungskonform und damit gangbar halten. „Bei der Entscheidung darüber, ob eine außergewöhnliche Notsituation vorliegt oder unmittelbar bevorsteht, ist dem Haushaltsgesetzgeber ein weitreichender Einschätzungsspielraum einzuräumen“, heißt es in ihrer Stellungnahme.

Landesregierung geht es um Schadensbegrenzung

Vor der letzten Plenarwoche scheint nach dieser Anhörung nur eines klar. Die schwarz-grüne Landesregierung befindet sich schon bei der Aufstellung ihres ersten gemeinsamen Haushalts politisch in einer außergewöhnlichen Notsituation. Ihr erstes Finanzmanöver, angeblich überschüssige Corona-Kredite einfach zur Bekämpfung der Folgen der Energiekrise einzusetzen, hat sie Anfang November abgebrochen, weil der Landesrechnungshof ihr auf die Finger klopfte und es „verfassungswidrig“ nannte. Auch vom neuen Plan hält er nicht viel.

Schwarz-Grün scheint entschlossen, beim zweiten Manöver unter Aussetzung der Schuldenbremse das Risiko einzugehen, beim Landesverfassungsgericht auf Grund zu laufen. Ein Kläger wird sich in den Reihen der Opposition immer finden. Das zumindest glaubt der CDU-Fraktionsvorsitzende Thorsten Schick zu wissen: „Wenn das Plenum in der nächsten Woche tagt, wird es die notwendige Klarheit geben. Wir werden einen verfassungskonformen Haushalt und die notwendigen Beschlüsse auf den Tisch legen.“

Das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit, doch für den Finanzminister Marcus Optendrenk und den Ministerpräsidenten Hendrik Wüst kann es im ersten Regierungsjahr mit den Grünen nur noch um Schadensbegrenzung gehen.

SPD-Opposition legt eigene Pläne vor

Die SPD-Fraktion gibt sich angesichts des Schlingerkurses der Landesregierung ganz staatstragend und bietet ihre Mitarbeit an. „Wir müssen jetzt endlich für schnelle Hilfe sorgen und umgehend ein rechtssicheres Maßnahmenpaket auf den Weg bringen, mit dem wir die Krise bekämpfen“, fordert ihr finanzpolitischer Sprecher Stefan Zimkeit.

Das erste Paket müsse 3,5 Milliarden Euro umfassen. Konkret fordern die Sozialdemokraten, dass Familien „von Gebühren für Bildung und Mobilität entlastet werden. Kleine und mittlere Unternehmen brauchen Unterstützung, damit wir Wertschöpfung und Arbeitsplätze in NRW sichern können. Unsere Städte und Gemeinden müssen finanziell besser ausgestattet werden, um Schließungen von Einrichtungen zu verhindern, um Vereine zu retten und um Menschen zu helfen, die von der Inflation besonders hart getroffen werden.“

1,15 Milliarden wolle man Städten und Gemeinden zur Verfügung stellen, um beispielsweise Busse und Bahnen bis zur Einführung des Deutschlandtickets durch eine Mobilitätsprämie von 200 Millionen Euro billiger zu machen. „Die Frage, in welcher Höhe das Land für dieses erste Maßnahmenpaket zur Bekämpfung der Krise neue Kredite aufnehmen muss“, könne nur die Landesregierung beantworten.

Der Finanzminister müsse umgehend dem Landtag darstellen, „ob der laufende Haushalt wie vom Parlament beschlossen von der Landesregierung vollzogen wird oder ob beispielsweise bei der Besetzung von Lehrerstellen Mittel nicht abgerufen werden und für ein Krisenbewältigungsprogramm zur Verfügung stehen.“