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Kündigungen, Abmahnungen, AngstVom „beliebtesten Arbeitgeber Deutschlands“ ist nichts zu spüren

Lesezeit 6 Minuten
Der Drogeriemarkt in der Kölner Innenstadt.

Der Drogeriemarkt in der Kölner Innenstadt.

Im DM-Verteilzentrum Weilerswist geht die Angst um. Selbst der Betriebsratschef musste sich vor Gericht verantworten. Wie kann das sein?

Im Januar verkündete DM einmal mehr die gute Nachricht: Die Drogeriemarktkette ist der beliebteste Arbeitgeber Deutschlands – und das nicht zum ersten Mal. 34.000 Befragte haben in der jährlichen Studie des Magazins Stern und der Marktforscher von Statista ihre Arbeitgeber bewertet, DM landete auf Platz eins von 650 Firmen. Besonders überzeugen konnte die Firma in der Kategorie Unternehmenskultur.

Betriebsratschef Michael Betke und die Kollegen im Verteilzentrum Weilerswist dürften darüber nur schmunzeln können. Am 31. Januar hätte sich Betke erneut vor dem Landesarbeitsgericht in Köln verantworten sollen, das Unternehmen wirft ihm Arbeitszeitbetrug vor, Betke bestreitet dies. Einen Tag vor dem Gerichtstermin zog DM zurück. In erster Instanz hatte der Konzern bereits verloren. Schon Ende 2023 war die Stimmung am Tiefpunkt.

Der Ruf von DM steht auf dem Spiel

Streitigkeiten mit Betriebsräten gibt es immer wieder, zuletzt etwa beim ADAC. Doch bei DM? Dass dieser Graben existiert, überrascht. Denn DM hat unter Arbeitnehmern eigentlich einen guten Ruf. Gründer Götz Werner war bekennender Anthroposoph, er setzte als einer der ersten Unternehmer auf flache Hierarchien und einen vertrauensvollen Führungsstil. Bis heute nennt sich DM auf seiner Webseite lieber „Arbeitsgemeinschaft“ als Arbeitgeber. Götz Werner starb 2022. Intern sagen nun Mitarbeiter: DM hatte einen guten Ruf.

Vor drei Jahren, sagt Betriebsrat Betke, sei die Stimmung gekippt. Gründer Götz Werner stieg altersbedingt aus dem Aufsichtsrat aus, seit 2019 führt sein Sohn Christoph das Unternehmen. Auch die Führung im Verteilzentrum Weilerswist, in dem 2200 Menschen arbeiten, wechselte. Was sich ebenfalls änderte: 2016 registrierte der Betriebsrat im kompletten Jahr nur zehn Abmahnungen, 2019 waren es schon deutlich mehr. Für das Jahr 2024 lagen dem Betriebsrat 160 Abmahnungen von Beschäftigten vor.

„Er sagte: Michael, man sucht nach Gründen, um dich loszuwerden“

Viele Jahre sei DM ein Vorzeige-Arbeitgeber gewesen, sagt Betke. „Die Atmosphäre war von einer großen Verbundenheit geprägt und mit Vorgesetzten hatte man grundsätzlich ein gutes Verhältnis.“ Betke trat seinen ersten Arbeitstag bei DM im Mai 1999, 2016 wurde er zum Betriebsratsvorsitzenden gewählt. In dieser Funktion bekam er 2018 einen Sitz im Aufsichtsrat.

Nach einer Betriebsratssitzung kam ein Kollege auf Betke zu. „Er sagte: Michael, ich habe gehört, man sucht nach Gründen, um dich loszuwerden.“ Darüber habe er nur gelacht. Sollen sie doch ermitteln, sagte er, ich habe nichts zu verstecken.

Der 2022 verstorbene DM-Gründer Götz Werner ist im Halbporträt zu sehen auf einem Balkon vor großstädtischer Kulisse.

Der 2022 verstorbene DM-Gründer Götz Werner.

DM-Chef Christoph Werner bot ihm einen Aufhebungsvertrag samt Abfindung an, Betke lehnte ab. Kurz darauf habe er eine außerordentliche Kündigung auf dem Tisch gehabt, begründet durch Arbeitszeitbetrug. Betke widerspricht: Er sei in dieser angeführten Arbeitszeit Aufgaben für den Betriebsrat nachgegangen. Ein weiteres Verfahren widmete sich seiner Enthebung aus dem Amt des Betriebsratsvorsitzenden.

Der Betriebsratschef weigert sich weiterhin, zu gehen. 810 Stimmen habe er bei der letzten Betriebsratswahl bekommen, sagt Betke – trotz Neuwahlen aufgrund des Amtsenthebungsverfahrens. Er sei es den Mitarbeitern schuldig, zu bleiben. Betke erwartete am 31. Januar also ein weiteres Verfahren, doch der Arbeitgeber sagte einen Tag zuvor ab.

DM schreibt auf Anfrage, man werde sich zu Individualverfahren nicht äußern, da sie sich gegen eine Person richten – nicht gegen den Betriebsrat. „Wenn sich Mitarbeiter in einem persönlichen Gespräch mit Ihnen äußern, ist es ihr gutes Recht.“ Das Unternehmen halte nach wie vor an dem „Prinzip der Selbstführung und Subsidiarität“ fest. Die Entwicklung der „Arbeitsgemeinschaft“ sei ein Gemeinschaftswerk, das auf der „dialogischen Kultur des Unternehmens“ basiere. „Wir betrachten dieses Prinzip als zukunftsfähig.“

Sorge vor Krankmeldung: „Ich habe wirklich Existenzängste“

DMs kurzfristiger Rückzug vor Gericht zeigt für Özchan Özdemir von der Gewerkschaft Verdi vor allem eines: „Das Unternehmen hat keinerlei Beweise.“ Schon vor einigen Jahren habe Özdemir nach einer Sitzung des Aufsichtsrates Betke vor der Führung des DM-Erben gewarnt. „Ich sagte ihm: Zieht euch warm an, wenn der Christoph Werner mal an die Macht kommt.“

In diese Warnung sieht er sich heute bestätigt. Im Jahr 2023 habe die neue Führung des Verteilzentrums angekündigt, am Krankenstand „arbeiten“ zu wollen, sagt Özdemir. Dann seien mehreren langjährigen Beschäftigten krankheitsbedingt gekündigt worden. Einige Mitarbeiter hätten nun Angst davor, sich krankzumelden.

Einer von ihnen ist Miran Kaya, der eigentlich anders heißt. Fast 20 Jahre arbeitet Kaya nun im Verteilzentrum Weilerswist. Als er aufgrund seiner Erkrankung häufiger ausfiel, habe DM ihm einen Aufhebungsvertrag angeboten. Er lehnte ab. Und traute sich danach nicht mehr, eine Krankschreibung einzureichen. „Ich habe wirklich Existenzängste“, sagt er im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Zu oft habe er bei der Arbeit von krankheitsbedingten Kündigungen gehört, von Personalabbau. „Deshalb hatte ich keine andere Wahl, als krank arbeiten zu gehen.“ Seine Kollegen fragten ihn mehrmals, ob es ihm gut gehe. „Ich hatte permanent Tränen in den Augen.“

Das Bild zeigt das dm-Verteilzentrum in Weilerswist. Unternehmens.

Im dm-Verteilzentrum in Weilerswist hängt der Haussegen schief. Der Betriebsrat kritisiert unverhältnismäßige Kündigungen seitens des Unternehmens.

Frostige Weihnachtsgrüße

Kurz vor Weihnachten hingen im Verteilzentrum Weilerswist Grußbotschaften für die Mitarbeiter. „Frohe Festtage!“, wünschten die Abteilungsleitungen dort, in geschnörkeltem Schriftzug und hinterlegt mit einem funkelnd grünen Sternenhimmel. Einige Zeilen darunter lasen sich jedoch weniger besinnlich.

Die Mitarbeiter sollten sich Gedanken machen, wie sie zum Wandel des Unternehmens beitragen können, hieß es, und sich fragen: „Wie kann ich produktiver sein? Wie kann ich meine Anwesenheit erhöhen und mich bestmöglich im Team einbringen?“ Man sei bereit, jeden zu unterstützen, wenn es zu persönlichen oder gesundheitlichen Problemen komme. „Aber alles nur im Rahmen unserer Möglichkeiten, denn die Verantwortung für die eigene Situation liegt und bleibt bei jedem Einzelnen selbst.“ Und: „Für jene, die ihre Aufgaben vernachlässigen: Wir werden keine arbeitsvertraglichen Verfehlungen tolerieren. Maßnahmen werden ergriffen. In diesem Zusammenhang haben im laufenden Kalenderjahr über 50 Mitarbeiter das Kombi-VZ verlassen.“

Auf krankheitsbedingte Kündigungen im Verteilzentrum Weilerswist angesprochen, verweist DM auf ein Interview, das der Chef des Konzerns, Christoph Werner, dem „Stern“ gegeben hatte. Wenn Menschen „sechs Wochen krank sind, einen Tag kommen und dann den nächsten Krankenschein bringen“ wachse die Frustration bei Menschen, die „die Bettkantenentscheidung morgens immer pro Arbeit treffen“, erklärte Werner dort. Es sei wichtig, dass Führungskräfte Kündigungen aussprechen, wenn Mitarbeiter das System bewusst ausnutzten. Und: „Wenn eine Krankmeldung sich auch auf das Einkommen auswirken würde, wäre der Krankenstand in Deutschland ein anderer.“

„Mir brennt die Seele, wenn ich nach Weilerswist fahre“

Wieso sein Arbeitgeber kurz vor dem Prozesstermin am 31. Januar zurückzog, wisse er nicht, sagt Michael Betke. Auch dazu will sich DM nicht äußern. Sein Job als Abteilungsleiter beim Verteilzentrum Weilerswist ist vorerst gesichert. Weder Betke noch Özdemir glauben, dass mit dem Gerichtsverfahren auch der Streit mit der Geschäftsführung beendet ist. „Ich traue dem Braten nicht“, sagt der Gewerkschaftler. „Irgendetwas werden sie wieder versuchen, um unseren Kollegen loszuwerden.“

Miran Kaya führt derzeit Gespräche mit einer Tagesklinik: Wenn alles gut läuft, ist dort bald ein Behandlungsplatz für ihn frei. Der Gedanke, erneut eine Krankschreibung einzureichen, bereite ihm Bauchschmerzen, sagt der Mitarbeiter. Schon bei seiner letzten Erkrankung habe er fast all seine freien Tage abgebaut, um sich nicht krankzumelden. „Eigentlich habe ich den Job bei DM immer gerne gemacht“, sagt Kaya. „Nun brennt mir die Seele, wenn ich nach Weilerswist fahre.“