Trauer, Mitgefühl, aber auch Misstrauen gegenüber politischer Verantwortung wird geäußert. Bundeskanzler Scholz und NRW-Ministerpräsident Wüst bleiben für die Bürgerinnen und Bürger fern.
Besuch an Gedenkstätte in SolingenEs herrscht beklemmende Stille – und es gibt viele Fragen
Die Spuren des Anschlags sind unübersehbar. Der Tatort wurde in der Nacht von den Blutspuren gereinigt, das Pflaster mit Asche abgestreut. Dies ist die Stelle, an der am Freitagabend drei Menschen ihr Leben verloren. Die Fläche ist abgesperrt. Es herrscht beklemmende Stille.
Ein paar Meter entfernt, neben der Absperrung, parkt eine gepanzerte schwarze Limousine aus Berlin. Bundeskanzler Olaf Scholz ist nach Solingen gekommen, um sich bei den Einsatzkräften zu bedanken. Die Sanitäter, die als Erstes zur Stelle waren, sind zum Teil Jugendliche. Sie haben schreckliche Bilder gesehen – und durch ihren schnellen Einsatz wohl verhindert, dass es noch mehr Opfer gab.
Solingen, schon wieder Solingen. Viele Jahre hatte es gedauert, bis die Stadt im Bergischen nach dem Trauma des Brandanschlags auf eine türkische Familie im Jahr 1993 zu ihrer Unbeschwertheit zurückgefunden hatte. „Jetzt wird der Name Solingen erneut zum Synonym für eine Untat“, sagt Bernhard Hossel, der an einer Absperrung auf den Auftritt des Bundeskanzlers wartet. Die Stadt steht unter Schock.
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Der Fronhof an der evangelischen Stadtkirche ist ein eher abgelegener Platz, auf dem nur eine kleine Bühne stand. Dass dort etwas würde passieren können, hatte wohl niemand auf dem Schirm. „Der IS will die Botschaft senden, dass man sich nirgendwo sicher fühlen kann“, sagt Mitorganisator Philipp Müller. Er zeigt sich zufrieden, dass der Kanzler gekommen ist, um seine Solidarität zu bekunden. „Ich hoffe, das passiert nicht nur für Wahlkampfzwecke. Die Horrortat ist ja leider Wasser auf die Mühlen der AfD vor den Landtagswahlen im Osten.“
Prominente Besucher sind weithin abgeschirmt – zum Unmut der Bürger, die Fragen haben
Der Anschlag spaltet auch in NRW die Zivilgesellschaft. Vor der Stadtkirche haben die Solinger eine provisorische Gedenkstätte eingerichtet. „Mitgefühl und Trauer statt Hetze“ steht auf einem Schild in dem Kerzenmeer. Aber es gibt auch andere Statements. Auf einer Papptafel steht zu lesen: „Wie viele noch?“
Mit dem Bundeskanzler ist auch die Spitze der Landesregierung nach Solingen gekommen. Neben Scholz (SPD) legen auch Ministerpräsident Hendrik Wüst, Innenminister Herbert Reul (beide CDU), Vize-Ministerpräsidentin Mona Neubaur (Grüne) und Oberbürgermeister Tim Kurzbach (SPD) weiße Rosen ab. Die Polizei schirmt die prominenten Gäste weiträumig ab. Viele sind enttäuscht, weil sie keine Chance haben, die Politiker mit ihren Fragen zu konfrontieren. Bei den meisten Schaulustigen hat sich Wut in die Trauer gemischt.
„Es ist ja gut, wenn die Politiker jetzt kommen und ihre Solidarität bekunden“, sagt eine ältere Dame, die eine Kerze anzünden will. „Besser wäre aber gewesen, die hätten vorher gehandelt“, fügt sie hinzu.
Die Meldung, dass der Täter längst hätte abgeschoben werden sollen, ist auch bei den anderen Passanten ein Thema. „Am Ende wird wohl wieder keiner die Verantwortung übernehmen“, hört man öfter. „Nach Anschlägen heißt es ja immer, dass jetzt durchgegriffen wird – aber dann passiert doch nichts.“
Olaf Scholz trifft sich in einem Bürogebäude am Fronhof mit den Einsatzkräften. Am Ende versammeln sich die Retter zu einem Gruppenfoto auf dem Platz. Solingens Oberbürgermeister Kurzbach klopft dem Bundeskanzler beim Abschied auf die Schulter. „Schock und Trauer sitzen uns tief in den Knochen“, sagt der SPD-Politiker. „Wir stehen in Solingen vor schweren Wochen.“